Meaux den 28ten März 1814.

Heut früh mit Tages Anbruch sind unsre Truppen, und zwar speziel die Brigade von Horn vom Yorkschen Korps ohne Widerstand hier einge rückt, nachdem gestern Abend eine Stunde von hier zwey Brücken über die Marne waren geschlagen worden. Unsre Truppen, d.h. die ganze Schlesische Armee und der größte Theil der böhmischen oder großen Armee sind den ganzen Tag durch die Stadt gezogen und verfolgen in Eil den Weg nach Paris, morgen rücken die Garden und die Fürsten hier ein und morgen hoffen wir vor den Mauern von Paris zu stehen. Man fürchtet dort wenig Widerstand da sich nur Trümmer geschlagener Korps und etwas NationalGarden darin befinden sollen. Marmont und Mortier sind völlig geschlagen und zerstreut sie haben zuerst am 9ten bey Laon 46 Geschütze und viele Gefangene verloren und sind etwa vor drey Tagen von den Russen unter Blücher bey Chalons mit einem Ver luste von 72 Geschützen aufgerieben worden, General Pacteau ist gefan gen, den fliehenden Trümmern haben wir vorgestern noch 14 Geschütze abgejagt. Die große Armee hat am 20ten und 21ten den Kaiser selbst bey Arcis an der Aube geschlagen oder doch zum Rükzug gezwungen, heut und morgen vereinigt sie sich mit uns, der Kaiser sucht auf Um wegen, über Troyes, Paris zu erreichen, wir haben gestern und heut un geheuere Märsche gemacht und hoffen er soll um mehrere Tage zu spät kommen. Alles kündigt einen baldigen und glücklichen Ausgang des großen Kampfes an. Gestern erhielten wir die Nachricht daß Lyon und Bordeaux in unsren Händen sind, auch will man wissen daß die Vendee die weiße Cocarde aufgesteckt habe. Wenn nicht von Gott eingeflößter Wahnsinn die Pariser in den Untergang treibt so hoffen wir in Frieden uns dort aufzustellen, aber wer mag das Verhängniß dieser Sündenstadt errathen?

So ungefähr mußte ein Brief an Sie, lieber Schleiermacher anfangen den Sie nach langem, sträflichen Schweigen von mir erhalten. | 66v Hätten Sie indeß einen deutlichen Begrif von dem unbeschreiblich unruhigen und gestörten Leben welches ich hier führe so würden Sie mich gewiß ent schuldigen. Nicht die ewigen, sehr oft bis in die Nacht hineinreichenden Märsche, nicht die Ermüdung, die häufigen, wenn gleich unbedeutenden Gefechte sind das am meisten stöhrende; aber die elende Sorge für die ersten Lebensbedürfnisse für Menschen und Pferde, der Schmutz und die Verwüstung der Wohnungen und das enge Beisammenseyn mit vielen, nicht immer aufs beste zusammen passenden Menschen. Den Tisch habe ich zwar beym Prinzen Wilhelm bey dessen Brigade ich stehe, das hindert aber nicht daß nicht zuweilen ganze Tage gehungert werde und wochen lang Schmalhans Küchenmeister ist. In der Umgebung des Prinzen sind einige trefliche Leute, vor allen der Graf Anton von Stolberg, ein wahr haft frommer Ritter, dann der Major von Hedemann ein großer Anhän ger von Fichte, ein junger Rochow und noch einige, dafür aber auch einige die etwas unleidlich sind und einen starken Anstrich von Garde Offizier und Adjudanten Art haben. Meine Brigade selbst, die 8te, kann mit Recht in jeder Beziehung die beste in der Armee genannt werden; in Hinsicht der Tapferkeit wird sie selbst im Yorkschen Korps ausgezeichnet und das Brandenburgische Infantrie Regiment woraus sie zum Theil be steht, zeichnet sich noch außerdem durch Ordnung, Mannszucht und frommen kindlichen Sinn aus: der Kommandeur derselben, und zur Zeit der ganzen Brigade Major von Ottograf, ein Freund meines seligen Kro sigk ist ein ganz treflicher Mann; auch das Füsilier Bataillon welches Krosigk führte gehört zu unsrer Brigade, ich sehe es leider wenig weil es beständig bey der AvantGarde steht. Leider giebt es für mich gar wenig zu thun, erst zweimal habe ich gesprochen, den 11ten nach dem Siege bei Laon, bey einem abscheulichen Schneegestöber im Freien, und heut früh zweimal beim Uebergang über die Marne bey Sonnen Aufgang, vor den beiden Regimentern der Brigade einzeln in einem schönen Thale, beym herlichsten Wetter im dicken Frühnebel, den die Sonne eben durchbrach. Dazu hat mir der Herr einen rechten Pfahl ins Fleisch an meinem Küster, einem ehemaligen Praefectur Chargen (?) aus Halle, gegeben der der un nützeste Bengel ist den die Sonne bescheint und den ich nächstens einmal unterzustecken denke, schade nur daß er so feig ist. Uebrigens habe ich den Krieg seit den letzten 2 Monaten in seiner furchtbarsten Gestalt ge sehen und hoffe eben darum zu Gott daß er bald ende. Die elende Be schaffenheit der Champagne pouilleuse worin wir uns Wochen lang um hergetrieben, das langfortgesetzte Aussaugungs System der Regierung, die Armuth der Einwohner, ihr Geiz, die Schnelligkeit unserer Operationen die uns nicht erlaubt unsre Verpflegung von fern her zu ziehen, das ra sende Verfahren der Russen welches leider unsre Truppen zum Theil nachahmen die schändlichen Verläumdungen die gegen uns verbreitet werden, die Unbekanntschaft der Einwohner mit dem Kriege, ihre innre unmänliche Erbärmlichkeit, endlich das beinahe völlige Verlassen aller Dörfer und vieler nicht ganz unbedeutender Städte führt ein furchtbares Plünderungs System herbey, wozu sich noch der Holzmangel und die bis vor etwa 8 Tagen anhaltende strenge Kälte gesellten und die Truppen nöthigten beinahe alle Häuser abzubrechen: alles dies zusammen und un tereinander wirkend macht den Krieg und den Anblick des Landes zu dem schauderhaftesten was man sehen kann. Bey uns fängt die Ordnung an wieder hergestellt zu werden, bey den Russen ist an keine Vernunft zu denken. Meaux ist die erste Stadt die bis jetzt noch völlig unbeschädigt geblieben ist und es auch wohl bleiben wird. Denken Sie Sich nun das Sichherumtreiben in so gründlich ausgeplünderten Dörfern daß meistens nur die Mauern und einige Lappen und Lumpen in den Stuben, übrigens kein Meubel und kein Geschir übrig sind, und kein lebendiges Wesen zu sehen. Mehreremale beim Einrücken in kleine Städte sind mir die Feen märchen eingefallen wo Städte im Zustande der Bezauberung nur todte öde Mauern darbieten, worauf plötzlich auf den Schlag der Ruthe Stra ßen und Märkte wieder von Menschen wimmeln. Zur rechten Besinnung komme ich selten, zum Lesen noch weniger und zum ruhigen Denken gar nicht. Hier zum erstenmale seit 3 Monaten bin ich einige Stunden ruhig und allein: daher erhalten Sie auch hier einen [Brief] | 67v wie ich ihn noch nicht aus Frankreich geschrieben. Von unsren spiralförmigen Märschen können Sie aus den Zeitungen eben so gut und besser unterrichtet seyn als ich: das aber bitte ich Sie dem Berliner Zeitungs Schreiber zu sagen daß er sich an Gott und unsren braven Truppen wie an ganz Deutschland durch seine übermoniteurischen Lügen versündigt, so läßt er uns bey Brienne 200 Geschütze erobern und 15 oder 18 Tausend Gefangene machen, wo wir doch mit Gott und Ehren 65 Geschütze erobert und ungefähr 1200 Gefangene gemacht haben, bey Montmirail den 10ten und 11ten Februar sollen wir 28 Geschütze erobert haben und haben in der That 3 verlohren und die Russen viel mehr, und wäre nicht die Tapferkeit unsrer Truppen so erlagen sie gänzlich dem übermächtigen Feinde: und diese letzte Lüge hat Justus Gruner mit seinem Nahmen unterzeichnet.

Nun noch einiges von unsren Freunden. Alexander von Marwitz ist leider seit dem 11ten Februar verschwunden, sein verwundetes Pferd ist gefunden, nach seinem Schicksale sind alle Nachforschungen bis jetzt vergeblich gewesen: wenn die Schwestern es noch nicht wissen sollten so unterrichten Sie sie davon. Raumer ist nach Lüttich geschickt um die dortigen Gewehrfabriken für uns in Thätigkeit zu setzen. Steffens ist noch im Hauptquartier, leider unbeschäftigt, ohne Hofnung es je zu werden und daher äußerst übler Laune: dazu ist er jetzt ganz verlassen denn auch Focke ist als Intendant kürzlich ins Oise Departement abge gangen. Ich wünschte er wäre zu Hause, er paßt durchaus nicht für den Krieg.

Nun leben Sie wohl lieber Freund, unendlich sehne ich mich, wenn ich die wahrscheinlich nahe bevorstehende Schlacht überlebe, drey bedeuten de habe ich bis jetzt mitgemacht, nach einem ruhigen Leben im Arbeits Zimmer und im Umgange mit Freunden; möchte es mir verliehen seyn einst wieder in Berlin zu leben. Tausend herzliche Grüße an Ihre Frau, an Nanny an Caroline an Schede, an Ludwig Wucherer und alle Freunde. Gott behüte Sie und gebe uns baldigen Frieden

Blanc

Zitierhinweis

4017: Von Ludwig Gottfried Blanc. Meaux, Montag, 28.3.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007434 (Stand: 26.7.2022)

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