Halle, den 5ten Jan. 11.

Lassen Sie mich vor allen Dingen, mein lieber glücklicher Schleiermacher Ihnen sagen, welche Freude es mir und uns allen hier gemacht hat Sie dieses Jahr so überaus herlich beschert zu wissen. Auch wir sind zwar an jenem Abend wohl heiter und fröhlich gewesen, so daß ich darüber selbst des Kopfweh vergaß die mir die angestrengte Arbeit für das Fest sehr unwillkommen verursacht hatte, jedoch knüpfte sich eben an den schönen Abend manche wehmüthige Erinnerung für unsern guten Steffens und es war sichtbaar genug daß er sich etwas ängstlich bemühte so viel Freunde als möglich um sich zu versammlen. Es thut mir unendlich wohl nachdem ich die letzten Jahre so manches Leid meiner Freunde getheilt wie denn kaum einer darunter war der nicht auf eine schmerzliche Weise von der Zeit und vom Schiksale wäre berührt worden, endlich auch eine reine und schöne Freude mit Ihnen theilen zu können. Auch unser Rienäcker ist schon vor längerer Zeit ebenfalls mit einer Tochter beglückt worden. Dies frohe Ereignis hat einen sichtbar heilsamen Eindruk auf ihn gemacht, er ist heitrer als ich ihn seit lange nicht gesehen, nur bricht seine Aengstlichkeit zuweilen in, wie mir scheint, sehr ungegründeteste Besorgnisse für die Erhaltung des Kindes wieder hervor.

Es hat sich seitdem ich Ihnen zuletzt geschrieben ja nun alles aufgeklärt und bestimmt und ich bin darüber nun soweit beruhigt als man es über ein Unabwendbares wenn gleich trauriges Schiksal sein kann. Mein Wunsch aber Halle zu verlassen und wo möglich nach Berlin zu kommen ist aber dennoch der nehmliche, denn Sie sollten kaum glauben wie in jeder Rüksicht elend es hier aussieht. Wenn Harscher, wie ich vermuthe, der Ueberbringer dieses Briefes ist wird er Ihnen manches nähere darüber sagen können. Vor einigen Tagen hatte ich einen Ruf nach Dresden an Ricquets Stelle der nach Stettin geht, allein die viel bedeutendere Arbeit, das Predigen in zwei Sprachen | 55v die Abhängigkeit von der Gemeine der Druck unter welchem die Reformirten noch immer in Sachsen stehen und die Gallomanie der meisten Dresdener verleiden mir die Sache so daß ich sie sogleich abgeschrieben habe. Zum Abwarten einer bessren ist meine Stelle hier gut genug. Wahrhaft erstaunt aber bin ich gewesen zu erfahren daß Theremin an Ancillons Stelle gekommen. Ich hofte man würde end- lich an Einziehung dieser Stellen denken und konnte überdies kaum glauben daß man dem Theremin seine Sanderschen Verhältnisse so leicht vergeben würde. Ich wollte ihn den Dresdenern vorschlagen die mich im Fall ich es ausschlüge um Rath gebeten hatten, ich sehe aber kaum wo sie nun einen hernehmen wollen, ließen sie sichs gefallen daß nur deutsch gepredigt würde so könnte ich mich vielleicht noch eher entschließen ihre Stelle anzunehmen um doch in Ermanglung bessrer Umgebungen wenigstens eine freundliche Stadt und herrliche Gegenden um mich zu haben. Sie sehen ich spreche immer noch in der Voraussetzung Steffens könnte uns wohl noch genommen werden, obgleich ich für Ostern wenigstens die Hofnung ziemlich aufgegeben habe. Er selbst ist, wie Sie ihn ja auch wohl kennen, bald empört über die Verzögerung und beinahe entschlossen gar nicht hinzugehen, bald wieder sieht er die Erfüllung seines Wunsches näher als sie wohl sein mag. Könnten Sie es nur möglich machen ihm öfter über die Lage und den Gang der Sache zu schreiben, sie glauben nicht wie peinlich eine solche Ungewisheit ist, besonders da, wie ich es nicht bergen kann, die gewis durch Reils gewöhnlichen Ungestüm herbeigeführten Misverständnisse zwischen Ihnen und ihm uns die ganze Sache noch dunkler machen. Steffens ist hier warlich übler daran als Sie wohl glauben, die gemeinste Gemeinheit ist gewaltig oben auf und findet einen sehr willkommenen Haltpunkt in dem Kanzler, dazu kommt daß unter solchen Umständen | 56 Steffens keine andern Vorlesungen als etwa Oryktognosie und Geognosie zu Stande bringt. Ich möchte behaupten daß seine letzten Arbeiten recht treue Spiegel sind seines innren Zustandes, so hat er sich in dem Aufsatze im Reilschen Journal auffallend zu einer ihm sonst nicht ganz zugehörenden Mystik geneigt und von der andern Seite arbeitet er mit großem Fleiße an einem Handbuche der Mineralogie welches wirklich wie ich hoffe durch Vollständigkeit und Genauigkeit Aufsehen erregen muß. Ich wünschte aber sehr er fände zwischen beiden Extremen die Innre NaturGeschichte der Erde bei seinen gewöhnlichen, eigenthümlichen Beschäftigungen und Richtungen wieder, und das geschieht gewis nur in Berlin.

Münchow kommt nun nicht nach Berlin, er ist zum Professor extraordinarius in Jena ernannt und es wird ihm dort eine Sternwarte eingerichtet wozu die Instrumente theils aus Weimar theils aus Seeberg zusammengebracht werden. Er ist überaus zufrieden damit obwohl ihm nur 200 rth Gehalt angewiesen sind. Es freut mich sehr den treuen braven Menschen einmal in einer unabhängigen, ehrenvollen Lage zu sehen. Er geht Ostern nach Jena

Sie lieber Freund mögen wohl gewaltig mit Geschäften und Arbeiten überhäuft sein sonst würde ich Sie schelten daß Sie keine Anstalt machen einen Band FestPredigten oder andre herauszugeben. Ich möchte Sie wohl eine längere Zeit in Berlin hören um zu wissen ob Sie dem so überaus einfachen und rührenden Ton Ihrer zwei letzthin gedrukten Predigten, immer treu zu bleiben vermögen. Harscher der 2 Monat hier gewesen und Ihrer ganz außerordentlich bedarf wenn es jemals besser mit ihm werden soll, besitzt ein Heft Ihrer Ethik wovon er mir eine Abschrift versprochen sobald seine Sachen angekommen sein werden. Erinnern Sie ihn doch ja daran, Sie können wohl denken wie wichtig es Rienäcker und mir wäre sowohl Ihre | 56v Ethik als auch Ihre Dogmatik zu kennen. Gäbe es denn kein Mittel uns eine Abschrift von dieser letzteren zu verschaffen? Ich hoffe wohl einzelnes, und hin und wieder in Ihrem Sinne das rechte getroffen zu haben, aber die Freude eine gründliche Anschauung des Ganzen zu haben kann ich und mag ich auch keinem andren als Ihnen verdanken.

Schulz aus Weimar hat mir seine Predigten geschickt worin mir ein schönes Talent aber viel Eitelkeit zu sein scheint, ich war diesen Sommer einige Tage in Weimar und habe viel mit ihm darüber gesprochen aber es war mir nicht möglich mich mit ihm zu einigen, weil er über das Was zu geben sei gar zu schnell entschieden, und nur über das Wie gar zu peinlich und eitel schien.

Die arme Kammerräthin war diese Zeit her sehr in Sorgen, Müfling verlangte das Kind auf einige Monate, was ihr natürlich sehr schmerzlich sein mußte wenn man den Menschen genauer kennt und die Art wie er das arme Wesen in den wenigen Tagen behandelt wo er es diesen Sommer gesehen. Er hat wie er nun sagt den Gedanken aufgegeben, läßt aber deutlich merken er wünsche sich wieder zu verheirathen um das Kind zu sich zu nehmen. Sie müßten seine Briefe gelesen haben wie ich um zu fühlen welch ein roher, ja in jedem Sinne gemeiner und erbärmlicher Mensch es ist. Wir mögen die arme Lotte nun glücklich preisen daß sie durch den Tod dem traurigen Schicksal mit ihm zu leben entgangen ist.

Wenn die Gelder nur nicht so knapp wären so hofte ich Sie nächsten Sommer zu sehen wonach ich eine rechte Sehnsucht habe, aber ich bin voriges Jahr etwas viel herumgestrichen, besonders mit Steffens auf dem Harz, und meine Kasse empfindet noch die Nachwehen. – Gott erhalte Ihnen Frau und Kind gesund, ich küsse der einen die Hand und dem andern Mund und Augen; auch bitte ich die Tante Nanny in ihrer neuen Würde zu grüßen. Finden Sie einmal ein viertel Stündchen Zeit so schreiben Sie

Ihrem Blanc.

Zitierhinweis

3564: Von Ludwig Gottfried Blanc. Halle, Sonnabend, 5.1.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007423 (Stand: 26.7.2022)

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