Nachmittags 5 Uhr

Wir sind Heute allein geblieben, Israel der freundliche Nachbar, will viel leicht noch’n bischen her kommen, doch bis zum The will ich diesen Brief schließen damit er Morgen mit der Colmar oder mit der Post weg kömt. Am vorigen Sontage vor 2 Jahren predigtest Du in Sagard lieber Schlei ermacher, wir hatten den Jüngling von Nain, und Du sprachst so recht zum Herzen über die schönen Worte, „und da er sie sahe jammerte sie sein“.

Lotte Kathen wollte mir auch noch’n bischen schicken, ich meine ’n Schriftliches für Dich, doch ists nicht gekommen, und ich wollte nicht gerne länger meinen herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und herrli chen Predigten zurük behalten, ich denke sie hat das Ihrige an Lotte Pistorius geschickt, die an Jettchen geschrieben hat. Lotte hat mir wieder ein Blättchen für Dich geschikt, ich mag auch gerne zu Dir kommen in lieber Begleitung.

Seht Ihr denn Luise Mathäi oft? grüße sie doch freundlich, in Sagard ist alles wohl. Alles –? ja Schleiermacher Mariane ists doch nicht recht – an sie denke ich jezt immer mit einger Sorge – Zu sehr hatte sie sich dem Interreße der Wirtschaft hin gegeben – oder zu einzig vielmehr denn jezt – da die Willich sich eine Haushälterin an geschaft hat, und die Anordnung des Hauswesens selbst übernommen, hört Marianes Wirkungskreis auf – es scheint nicht recht zu wißen wo sie ein neues Interreße des Lebens und Wirkens anknüpfen soll – sie ist sehr still – oft unwohl – und ich kann sie nicht ohne Mitleid ansehen – könnte sie sich nur entschließen anders wohl als in Sagard zu leben aber nirgend kann sie es anders aushalten die lange Gewohnheit steht ihr im Wege. Übrigens zeigt die Willich ihr nun Liebe und Freundlichkeit, aber bei dieser Begegnung ist sie doch, es thut mir weh es aus zu sprechen – und im tiefsten Vertraun spreche ich es allein Dir und Jettchen aus, ein ganz überflüßiges Mitglied des Hauses geworden, in hinsicht der Wirtschaft wie der Kinder. Mariane fühlt dies tief, sie spricht es selten mit Worten aus, um so mehr greift es sie an – die Willich ist brav und gut, aber über alles geht nach meiner Einsicht ihre Klugheit – Niemand kann sie tadeln nie erscheint sie so – sie giebt und nimt, sie übersieht uns Alle | 79v auch – ganz leise spreche ich es aus auch Willich – Ich kann es nicht unrecht finden, ich finde es vielmehr recht, daß sie, Frau vom Hause auch die Pflichten derselben übernimt – ich kann ihr in Wahrheit nicht unrecht geben – und doch beengt mich das Leben zwischen ihr und Marianen – sie kennt Marianen nicht genug von der edlen seite – das muß Mariane fühlen – manches könte anders sein, wenn Mariane, Jemand im Hause hätte mit der sie ganz offen sein könnte, die Hane war es, diese aber hängt so ganz an die Willich, daß sie ihr alles ist – und Marianen gegeben wird uns – ich weiß nicht wie ichs nennen soll, aber dies Gefühl habe ich und mehrere um alle Gerechtigkeit zu erfüllen – Weist Du noch Schleiermacher wie Du sagtest: „wenn nur Mariane glüklich bleibt?“ – ach unglücklich kann man sie auch nicht nennen, denn ja sie wird gütig und freundlich behandelt – aber ach es fehlt etwas ohnedem einem nichts hilft – Ich bin sehr offen gewesen Schleier nie redet Ihr zu Niemand darüber – zu Niemand in der Welt – und vieles mögte ich der Willich nicht Unrecht thun, denn sie zeigt uns Allen ja nur Liebe.

 korr. v. Hg. aus: DasDaß Lotte nicht mehr bei Euch ist hat mich recht betrübt kann sie denn nicht thätig sein in Eurem Hause? waren ihres Bruders Kinder ihr nicht die Nächsten, mir war so wohl dabei, sie bei Dir und den Kindern zu wißen. Dreist hat mir eine recht liebe Schilderung von ihr gemacht. Ich werde bald an sie schreiben Heute kann ich nun nicht mehr – Die glük liche Lotte, daß sie sich durch ihre Talente nüzlich machen kann – ich klage nicht darüber – doch wüste ich wohl was ich thäte könnte ich mich Fremde nüzlich machen –

Solgers Aufenthalt in Sagard hat uns viel Freude gemacht, Du bekömst nun noch einen mehr zu grüßen, denn diese must Du nebst Dreists noch zu den alten Freunden grüßen. Lebe wohl lebt Alle wohl – auch Du gute Nanny, und grüße Lotte und die Herz. Von hir grüßt alles. Die Kinder auch mein süß schmeichelndes Lieschen grüß es nur

Zitierhinweis

4074: Von Luise von Willich. Poseritz, Ende September 1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007399 (Stand: 26.7.2022)

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