Herrn Prediger Schleiermacher / in / Berlin [Bl. 33v]

Hamb. den 19ten Aug.

Ihr lieber Brief war mir eine ganz besonders große Freude, bester Schleiermacher, nur daß Sie so viel leiden betrübt mich sehr da ich aus eigner Erfahrung weiß wie schwer es ist bey immer anhaltenden Schmerzen ein mühseeliges Geschäft fortzuführen. Gott gebe den besten Erfolg vom Magnetismus alsdann will ich auch meinen Wiederwillen dagegen ganz aufgeben. An Ihrem häuslichen Glück habe ich wenngleich entfernt immer den herzlichsten Antheil genommen und mich oft in Gedanken zu Ihnen hinversetzt. Was ich der Herz schrieb betraf wohl mehr die unglücklichen Umstände die uns so lange von einander entfernten, als Sie selbst, bester Schleiermacher denn als ich so leidend so aller Kraft der Seele durch Körperliche Schmerzen beraubt war, da dachte ich doppelt wehmüthig der schönen Zeit wo ein tröstliches Wort ein Beweis der Theilnahme von Ihnen mir alles war ich fühlte dann daß es mit mir noch immer dasselbe sein würde wenn wir zusammen wären, aber daß Sie im Gegentheil Ihre Theilnahme so mannichfachen und so viel würdigern Gegenständen schuldig sind, und daher bin ich Ihnen nun doppelt dankbar für Ihr freundliches Andenken. – Ich habe 11 glückliche Tage in Giebichst zugebracht und die guten Eltern ohngeachtet der großen Beschränktheit in welcher sie leben recht ruhig und zufrieden und die jüngern Schwestern gar sehr liebenswürdig und schön und gut gefunden. Aber wie ist Halle verändert. Ihre Kirche ist zum Schauspielhaus umgeschaffen das ist dann doch den Frevel etwas zuweit getrieben, ich hätte mich auch nie entschliessen können hinein zugehn. Man hat mir sagen wollen es wäre eigentlich nie eine Kirche gewesen aber ich sage es ist die einzige wahre Kirche die ich in dieser | 32v Welt gekannt habe, ein solches inniges Beysammen Seyn, eine ganze Gemeinde gleichgestimmter Gemüther das ist doch wohl etwas so schönes, so gar seltnes in unsren Zeiten, daß ich nicht wüste was dann noch Kirche genannt werden sollte wenn dies nicht, ein Gedanke daran füllt mir die Augen mit Thränen, und mir ist seit der Zeit die Bibel und die ganze Welt verständlicher geworden. – Steffens habe ich nicht gut gestimmt gefunden und Hanne und Jule fast zu sehr den Vergnügungen hingegeben, die junge Prefectin, eine ganz gemeine Berlinerin, mit der sie sehr liirt sind, giebt darin den Thon an. Clärchen ist ein sehr gutes Kind aber sie würde viel Liebenswürdiger seyn – wenn sie recht mit Liebe und Sorgfalt erzogen würde. Jule ihre Kinder sind allerliebst, sie hat ein kleines Mädchen was ich ihr stehlen möchte, so denke ich mir Ihre Elisabeth – Mein armer Fritz ist in einer schlechten Schule und wird sehr verwahrlost seinetwegen ist es mir besonders lieb daß ich zuhause war da er nun doch vor dem Winter sicher in eine bessre Lage kommt, was ohne mein hinzuthun nicht geschehn wäre.  Meine hiesige Lage ist in diesem Augenblick die einsamste die es geben kann, in einem Hause welches man wohl einen Pallast nennen könnte wohne ich mit wenig Domestiquen ganz allein da die Familie seit mehreren Monathen abwesend ist während dieser Zeit haben 6 andre Familien meiner liebsten Bekantschaft Hamburg verlassen und mehrere wollen noch fort, dadurch verliehre ich viele liebe Schülerinnen, die Anzahl derer die mir bleiben ist indess immer noch groß genug um mich in den kurzen Wintertagen hinlänglich zubeschäftigen. Ich habe nun mehr Musse, lese einmahl wieder recht viel und lebe gröstentheils ganz allein, das heist nachdem die Stunden vorbey sind. Nanny grüße ich auf das Herzlichste, ich bin | 33 eben dabey meine Liedersamlung in Ordnung zubringen die ich einmahl versuchen will selbst auf Subscribtion heraus zugeben, wenn Nanny sich mit dafür interessiren wollte so könnte sie mir vielleicht noch Subscribenten verschaffen. Reimer nimmt vielleicht auch eine Anzahl Exemplare. Es sind 18 deutsche Gesänge mit Begleitung des Piano und der Preis wird etwa einen r. vieleicht auch geringer sein können. Ich verlange nicht guter Schleiermacher daß Sie hierauf antworten und grüße Sie und Ihre liebe Frau mit der herzlichsten Liebe und Freundschaft.

Ihre treue Louise R.

Zitierhinweis

3664: Von Luise Reichardt. Hamburg, Sonntag, 19.8.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007395 (Stand: 26.7.2022)

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