B. d 29t. Dec. 1810
vgl. Brief
3517 und Brief
3533.
[Schließen]Indem ich so lange und auf mehrere Briefe von Ihnen lieber Freund
geschwiegen habe, habe ich sehr auf Ihre Nachsicht und auf Ihre richtige
Vorstellung von der Masse von Geschäften die mich drükt
gerechnet. Diese Weihnachtsferien hatte ich mir ganz eigen
zum Briefschreiben ausgesezt aber es ist nun doch
nicht halb das geworden was es werden sollte theils weil ich
genöthigt war auch einige bedeutende Sectionsarbeiten auf
die Ferien aufzusparen, theils weil ein anderes sehr schönes
Intermezzo eingetreten ist, was ich Ihnen eigentlich als den
besten Bissen aus dem ganzen Briefe, den ich hier zu
schreiben gedenke, bis zu lezt versparen sollte, aber doch
lieber gleich vorangebe.
Nemlich am Weihnachtsabend kurz vor Mitternacht in
der rechten Stunde der Christmette hat uns
Henriette Schleiermacher
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Jette
ein gesundes tüchtiges
Clara Elisabeth Schleiermacher
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Mädchen
geboren. Es hat sich ganz herrlich
getroffen. Mir war
immer bange gewesen sie möchte einmal während der Predigt
oder währender | Session niederkommen wollen und mir
damit zur großen Störung und Unruhe gereichen. Nun aber
konnte ich ganz ruhig am ersten Festtag Morgens auf die
Kanzel steigen. Sie hätte selbst noch (wiewol mit großer
Anstrengung, und gewiß würde sie noch munterer
sein wenn sie sich nicht in den lezten Tagen so sehr angegriffen
hätte) das ganze Weihnachtswesen angeordnet und war noch zu Reimers
gefahren um dort bescheren zu sehen. Um halb zehn Uhr trieb sie uns
nach Hause,
Ribke wurde
geholt und als es Zwölf
schlug lag sie schon mit dem Kinde im Arm im Bett. Alles geht nun sehr gut, sie hat zwar
Gestern und Vorgestern etwas gefiebert aber das soll ja
ganz in der Regel sein, und heute war sie auch schon
eigentlich ganz munter.
Gott sei Dank daß sich das so herrlich und
glüklich gemacht hat.
Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
und
Luise
Willich die den Winter bei uns bleibt
pflegen sie nun gemeinschaftlich.
Vgl. Brief
3533.
[Schließen] – – Ihr Besuch in Gnadenfrei hat mir zur großen Freude gereicht. Es ist Ihnen gewiß eine sehr erfreuliche Erscheinung
gewesen von vielen Seiten. Aber lieber Freund daß Sie
soviel von mir gesprochen haben, damit haben Sie | wahrscheinlich Sich und mir dort Schaden
gethan. Die Leute wollen nun alle meine Bücher lesen
und da ist doch vieles was von ihnen sehr
leicht kann mißgedeutet werden, und das kommt dann alles
auf Ihre Kappe mit und Sie verderben sich einen Theil des
guten Einflusses den Sie haben könnten. Glauben Sie nur
lieber Freund es ist viel besser daß Sie etwas vorsichtig
umgehen mit dem Vertrauen welches Sie einem so
verkezerten Menschen schenken als ich
bin.
Vgl. Brief
3539.
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Meine Schwester aber hat eine gar
herzliche Freude gehabt an Ihnen und an dem Effect den Sie dort
gemacht haben; und mir ist es sehr lieb daß sie eine solche Erscheinung
gehabt hat, das frischt sie immer auf lange Zeit
auf. – Friedrich Schleiermacher: „Kurze Darstellung des
theologischen Studiums“ (1811), vgl. KGA I/6, 243-446.
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Die theologische
Encyclopädie ist nun endlich
fertig geworden und ich bin neugierig ob sie eine neue
Quelle von Verkezerungen werden wird. Mir sind die Sachen
nun durch die vielfache Bearbeitung so familiär geworden
daß ich nichts darin finde was Anlaß dazu geben könnte, nur
daß viel Gespenster darin wären werden die Leute sagen,
theologische Disciplinen die es nie gegeben habe
und nie geben werde. Da werde ich nun den Beweis durch die
That zu führen haben was aber freilich zum Theil erst nach Erscheinung
meiner Ethik geschehen kann.
Mit meiner Sublevation bin ich nun auch
endlich seit Anfang dieses Monats zu Stande. Der DomCandidat Pischon,
den Sie wol kennen ist ordinirt und ordentlich als
Hülfsprediger eingeführt und ich weihe ihn nun
nach und nach in alles ein.
Die wissenschaftliche
Deputation
| gebe ich nun mit Jahresschluß auch ab, und so
denke ich etwas über Wasser zu kommen.
Ob aber dennoch im Sommer
die Reihe an den Plato kommen wird steht dahin. Es wird viel darauf ankommen was
ich im Sommer lese.
Ich bin schon angesprochen worden um die Ethik allein
ich habe einmal verschworen so lange Fichte der
einzige Professor der Philosophie ist kein philosophisches
Collegium zu lesen;
und sollte sich das bis Ostern ändern so hätte ich Lust erst als
Einleitung zu meinen philosophischen Vorlesungen
die Ethik
Dialektik zu
versuchen die mir lange im Kopfe spukt. Doch ist das noch in weitem
Felde.
Friedrich Schleiermacher las im WS 1810/11 „Die
Schriften des Lucas“ (vgl. A. Arndt und W. Virmond: „
Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis)
“ (1992), S. 305).
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Mit dem Lucas geht es mir recht gut, wenn ich ihn noch ein
Paarmal durcharbeite so denke ich kritisch ganz
aufs reine mit ihm zu kommen und dadurch wird meine
ich ein großes Licht über den Kanon aufgehn.
Ihre Lage in Breslau habe ich mir ohngefähr so gedacht wie Sie sie mir
schildern. Gedulden Sie Sich nur aus dem schlechten Ton
heraus wird sich Ihnen doch mit der Zeit etwas erfreuliche
Gesellschaft anbilden. Und mit
den Geschäften wird es schon gehn wenn Sie nur erst einen
Schulrath haben und wenn erst die kirchlichen Sachen
vorwärts kommen[.]
Vgl. den Druck dieses Plans in KGA II/12,
Amtliche Voten zum öffentlichen Unterricht, Votum Nr. 32.
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Ich gehe mit dem Gedanken um meinen Plan
drukken zu lassen aber mit Erläuterungen
wodurch sich alles begründet; noch kann ich nur nicht dazu kommen. Ich habe Ihnen noch vieles zu
beantworten und das geschieht nächstens. Tausend Grüße an Wilhelmine Gaß
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Wilhelmine
. Empfehlen Sie mich Wunster
und grüßen Sie Wenzel
von mir wenn Sie ihn sehen.
Ganz der Ihrige
SchleiermacherB d 31t Dec
Schreiben Sie nur um Gotteswillen nicht Staatsrath denn ich heiße nicht so. Glük zum neuen Jahr
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