An Hr Prof. Schleiermacher in Berlin

Syndruphoff bey Flensburg den 15t Oct. 1810.

Es ist eine misliche Sache, Ihnen hochgeschätzter Profeßor einen Jüngling zu empfehlen, wenn der Unterzeichnete noch nicht weiß: ob er sich schon selbst gehörig empfohlen hat. Es muß indessen im geselligen Leben, wie in der Mathematik, doch etwas voraus gesetzt werden, mithin postuliren Sie nur: daß ich Sie unaussprechlich liebe, wie meinen besten Freund – und wenn Ihnen dies auch gleichgültig wäre, so können Sie es mir doch nicht wehren.

Ich bitte Sie daher dringend, sich des jungen Ritters, als Überbringer dieses, bestens anzunehmen; er ist ein würdiger Musensohn und mein wakkerer Frend – der Ihrer neuaufblühenden Universität und der Wissenschaft Ehren machen wird. Als ein wahrhaft religiöser verabscheute er in Kiel den Schutt in der Theologie, und wandte sich daher lieber zur Medicin, um sich an dem Lebendigen in dieser Wissenschaft besser und schöner zu beleben. Hätte er sich früher in Ihren theologischen Vorlesungen belehren und erbauen können; er wäre gewiß seinem ersten Vorhaben getreu geblieben. | 3v

Das wesentliche der Wissenschaft ist indessen in allen Fakultäten religiös, und wenn die Jurisprudenz bis itzo noch am wenigsten davon eine zu haben scheint; so liegt dies wohl nur an der kristallisirten Behandlung – und in dieser Rüksicht beklage ich Ihre neue Universität am meisten – und bedaure es zugleich daß Sie Sich auch in ein bestimmtes Fach haben einzäunen lassen, statt wie ein jüngerer Plato die Seele der Wissenschaft auch in den Branchen darzustellen, um das Ganze mit Würde und mit Kunst zu leiten und zu lenken. Ein Dutzend Ihrer Kollegen schiene mir dort überflüßig; aber den Doctor Köthe für die sogenannte höhere Jurisprudenz und unsern Freund Steffens für die Naturwissenschaft entbehre ich schmerzlich.   Adam Müller wäre in Ihrem Verein wohl nicht an seiner rechten Stelle; er gehört mit größerm Recht für die selige Reichs-Ritterschaft und deren unmündigen Vormünder. Den neuaufgeblüthen  Pseudonym des Georg Christian Otto [Schließen] Georgius würde ich mit Vergnügen zum Kommerz- und Finanz-Rath empfehlen – jedoch unter der ausdrüklichen  | 4 Bedingung: nicht zum Vielschreiber auszuartern; es würde dann, für die Staatswohlfahrt, viel von ihm zu lernen und mit großem Nutzen anzuwenden seyn.  Georgius: „Metamorphose des germanischen Adels“ (1810) [Schließen] Sein Buch über den Adel kenne ich noch nicht; aber ich meine daß ein solches Buch Zeitbedürfniß ist – und muß um Verzeihung bitten, wenn  Es ist unklar, auf welche Person des schlesischen Adelgeschlechts sich diese Anmerkung bezieht.  [Schließen]Graf Kalkreuth und Andere mir dies übel nehmen. – Den bürgerlichen Adel in der Gesinnung aufzusuchen, scheint mir eben so unrichtig, als ihn von dem Verfahren zu leihen: über die Würde des Menschen kann kein Mensch sondern nur Gott vollgültig urtheilen; aber über die Würde des Staatsbürgers steht von Rechts wegen der Mayestätt ein Urtheil zu. Alle Militär- und Civil-Beamte (geistlichen und weltlichen Standes) sind als Zweige und Blüthen der Mayestätt anzusehen. Eigentlich sollten Alle, auch als solche, schon adelich seyn (sonst stehen sie mit sich selbst in Widerspruch) – indeßen müssen die Tüchtigsten und Vollkommsten d.h. die Tapfern, die sich im Thun auszeichnen, auch von der Mayestätt bürgerlich ausgezeichnet werden. Der Schulmeister im Dorfe und der Unterofficier in der Armee sind, wie der Kanzler und der Feldmarschall Beamte des Staats, in denen der Abglanz der mayestätischen Würde postulirt werden muß.  | 4v Soll daher ein bürgerlicher Adel im Staate seyn (was ich ungern bejahen möchte!) so ist er nur auf diese Weise mit Grund zu etabliren. Bey den sogenannten höhern Bedienungen scheint den meisten Staaten diese sublime Idee schon immer dunkel vorgeschwebt zu haben; vielleicht haben sie sich, wie gewöhnlich, nur vor der Konsequenz gescheut und besonders beim Lehr-Fach (!!) wohl gemerkt, daß hier das vornehme Befehlden nicht aushelfen könne. Ich hätte lieber über diese und ähnliche Ansichten mündlich mit Ihnen ein lebendiges Wort gewechselt – und es fehlte wenig daran, so wäre ich in diesen Tagen persönlich zu Ihnen gekommen; meine Frau fürchtete für meine Gesundheit, daher unterblieb es diesmal. Grüßen Sie meinen Landsmann Niebuhr und meinen alten Lehrer Fichte ; ich erinner mich seiner noch mit Vergnügen und Dankbarkeit, als er die Wissenschaftslehre in dem lieben Jena zu Tage föderte.

Gruß und Freundschaft von Ihrem, Sie innig ergebenen Thaden.

Zitierhinweis

3526: Von Nicolaus von Thaden. Sünderuphof, Montag, 15. 10. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007355 (Stand: 26.7.2022)

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