H. Am 6. Oct. 10

Weil Sie es denn so dringend begehren, verehrtester Herr Kollege, und ich es aus einer Rücksicht für nüzlich halte, so will ich Ihnen denn auch mit meiner ganzen gewöhnlichen Offenheit über Ammon mein Urtheil sagen. Als ich hörte, daß er movirt worden (wovon er in Erlangen an öffentlichen Orten, selbst gesprochen) so dachte ich in meinem Sinn, das sey gewiß von Herrn Hardenberg ausgegangen, auf dessen Gewogenheit aus langen Zeiten er sich sehr viel zu gut thut und hätte ich es früher erfahren, es würde bey meiner Berufung nicht wenig störend für mich und kein geringes Moment der Bedenklichkeit gewesen seyn. Ich muß es Ihnen nur aufrichtig sagen, daß ich ihm hauptsächlich vor 3 ½ Jahren hieher aus dem Wege ging, weil durchaus auf keine Weise mit ihm auszukommen ist. Ich ehre gewiß, so gut wie einer, sein mannichfaltiges Wissen, seine ausgebreiteten gelehrten Kenntnissen, auch seinen glänzenden oratorischen Vortrag, am rechten Ort; ich weiß es auch zu schätzen, was Sie, besonders in den Augen des Publicums, auf das man doch auch sehen muß, an ihm in Berlin gehabt hätten: denn er hat keine geringe Celibrität. Aber in Rücksicht unserer collegialischen Verhältnisse und überhaupt in rein menschlicher Rücksicht hätten wir wahrhaftig keine sonderliche Acquisition gemacht. Möchten Sie doch Andere lieber, als mich, darüber reden lassen, wenn es ihnen vergönnt wäre, offen vom Herzen wegzusprechen; ich betrachte ihn wirklich auch jezt, nachdem ich von ihm weg bin, wie alle in Erlangen die nicht unmittelbar mit ihm zu schaffen haben, Autorfußnote (am unteren Rand) ⎡ wie der Hofrath Horn in Berlin der ihn auch kennt aus einem lächerlichen Gesichtspunct; doch ich will jezt ernsthaft sprechen und wahr, wie es geziemt und weil es wichtig ist. Ich könnte Ihnen, nun es die Zeit dazu, eine Schilderung machen von ihm, daß Sie den Mann ganz lebendig vor Augen haben sollten: denn ich habe ihn kennen gelernt in allen Beziehungen. Aber  | 1v ich will nun kurz seyn und Ihnen einige Züge von ihm geben, die ihn lebendig characterisiren. Herrschsüchtig und despotisch ist er auf eine so überfließend höfliche und lästige Art, daß er dabey immer zugleich eine äußerst geringe Meinung von dem Verstande Anderer voraussezt, als wüßten sie nicht leere, nichts sagende Worte von seiner wahren entgegengesezten Meinung zu unterscheiden. Argwönisch und in dieser Hinsicht gefährlich ist er, so, daß er keine Predigt hören oder halten kann, die nicht Beziehungen haben müßte auf den einen und andern und so glaubt er auch immer, daß Andere an ihn denken bey jeder Untugend, die man nur öffentlich nennt. Dieß alles aber nur, weil er es so gewohnt ist und solche Sticherleyen immer anbringt. Glatt ist er, gewandt, ein wahrer Hoftheolog (  Sophie Caroline Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth [Schließen] bey der Frau Markgräfin in Erlangen ) mit halb deutscher, halb französischer Sprache und von ganz unausstehlicher Höflichkeit. Selbst sein gelehrtes Treiben ist meistentheils nur auf den Prunk und Schein berechnet, obgleich er allerdings Vieles sehr gründlich weiß; wie er denn mit seiner Moral, die er Ihnen geschickt hat, ein solches Stück machte. Vgl. Christoph Friedrich von Ammon: „Lehrbuch der christlich-religiösen Moral“ (1806, 4. verbesserte Aufl.). [Schließen] Dazumal nemlich, als diese so genannte vierte Ausgabe gemacht werden sollte, die aber nur die zweite ist, [(]weil er ein früheres Compendium damit zusammenschmolz) so bat er von mir sich mein altes, vielfältig beschriebenes Exemplar aus, um danach mit seinen Zusätzen die neue Ausgabe drucken zu lassen, weil er, wie er vorgab, kein Exemplar mehr hätte. Ich hatte nun dieses Exemplar mit vielen Citaten beschmuzt von allen den Lesungen, die ich 6 Jahre hindurch in moralischer Hinsicht gemacht hatte und alle diese meine Citate von zum Theil seltenen Büchern, die er nie gesehen, hatte er auf eine äußerst lästige Weise alle mit abdrucken lassen, um nur desto größern(?) Schein von seiner Belesenheit zu machen; ich aber ignorirte das natürlich. Ein andermal, als ich zum erstenmal in meinem Leben die Kirchengeschichte laß, kündigte ich blos dieß eine Collegium an, um das Heft mit allem Fleiß zu machen, erhielt hierauf vom Herrn Minister von Hardenberg ein eigenhändiges Schreiben, worin er mir auf eine äußerst humane Art meldete, das Concuratorium(?) habe mit  | 2 Misfallen bemerkt, daß ich nur ein Collegium angekündigt und es gereiche zum Ruhm der Universität, wenn jeder Docent wenigstens mehrere Vorlesungen anzeigte, worauf ich denn nicht nur in meinem Antwortschreiben dem Herrn von Hardenberg meine Gründe entwickelte, sondern auch den durch die Ankunft Fichte's veranlaßten Umdruck des Katalogs benuzte, um noch einige Vorlesungen anzukündigen. Was that Ammon dabey? Nachdem er von weitem gehört, daß ich den Brief an mich beantwortet, kam er mit unbeschreiblich höflichem Ungestüm zu mir, zeigte mir die Gefahren, die daraus entsprängen, wenn ein inferiöres Glied der Universität sich an einen so hohen Minister wage, daß ich mich hätte an ihn wenden müssen, er wollte mich vertreten haben bey dem Herrn Curator und fand es zulezt im höchsten Grad indelicat und unschicklich, daß ich ein solches Privatschreiben selbst beantwortet hätte. So will er in allen Dingen den Protector machen. Wie viele solcher Stücke könnte ich Ihnen noch erzälen, besonders von seiner listigen und überlistenden Klugkeit, bey der man wie verrathen und verkauft ist, wenn man an gar nichts schlimmes denkt; von seiner überfließenden Süßigkeit, bey der er, wenn er sich umgedreht hat, das entgegengesezte thut und mit einem Wort von der Zweydeutigkeit seines Characters. Das ist das rechte Wort für diese Sache und nun habe ich Ihnen auch Alles gesagt, was zu sagen war.

Sollte er nach Berlin kommen, so werde ich suchen in so wenig als möglich Berührung mit ihm zu kommen; gereuen sollte michs aber nicht, ihn Ihnen so geschildert zu haben, denn Sie werden doch Gelegenheit haben, ihn aufs Haar genau so zu befinden; wie er denn wirklich in Erlangen so allgemein von dieser Seite bekannt ist, daß kaum noch einer der Professoren mit ihm umgeht. Und steht der Mann nicht auch leibhaftig so gedruckt da, ich meine in seinen Büchern?  Etwas auf beiden Achseln tragen meint, es sich mit keinem verderben zu wollen.  [Schließen]Trägt er nicht immer den Baum auf beiden Achseln, hat er wohl eine eigne, feste Wahrheit und Ueberzeugung, ist nicht alles so oberflächlich und seicht, wie  obruieren: überladen, überlasten [Schließen]obruirt mit Büchertitelei(?) und großer Gelehrsamkeit. Immer schwankt er hin und her, zu jeder Partey, die das herrschende ist, hält er sich und selbst  | 2v zum Mysticismus, der ihm so fatal ist, wird er sich noch bekennen, wenn es darauf ankommt. – Auch den Ruf nach Berlin hat er bey der Baierischen Regierung angetragen 1) auf seinen bisherigen Professorsgehalt nun (2100 fl.) 2) Freyheit von den Pfarrgeschäften (die nämlich an sich ohne Besoldung sind) 3) Beibehaltung der Superintendentur, die ohngefähr noch 1000 fl. einträgt und 4) den Wittwengehalt, der ihm preußischer Seits zugesichert war. Zu gleicher Zeit, höre ich, soll er auch einen Antrag der Superintendentur in Greifswalde haben, die 5000 fl. einbingt. – Es wäre allerdings zu wünschen und ist sehr schön gedacht von der preußischen Regierung, daß sie die theologische Facultät mit so vielen Gliedern besezt, besonders nun noch einen oder den andern zu wünschen von recht großer Erudition und Celebrität (denn in diesen beiden Beziehungen werden Sie doch mit de Wette und mir nicht viel machen können) einen Mann oder zwey,   Lk 2,52  [Schließen] von Alter und Weisheit und Gnade bey Gott und den Menschen. Aber wo in der Schöpfung sind die zu finden oder [...] zu machen? Sie müssen allein am Ende unser Hauptmann seyn aber auch bleiben, der, in welchem die unsichtbare Kirche sichtbar ist, aber auch, wie die katholische, nicht zur Philosophie übergehen.

 Gemeint ist wohl das einseitige Vorwort des deutschen Lektionskataloges für 1810/11, das Nicolovius im Namen der Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts unterzeichnete.  [Schließen] Die Einleitung Ihres deutschen Katalogs hat hier überall die schönste Sensation gemacht; wie fühlte man sich erhoben bey solcher Sprache und Gesinnung! ich würde ordentlich nur(?) heimlich, Trauer haben, wenn ich nicht Theil haben sollte an solchem Streben. Als ich die mir nun bewilligte Erhöhung des Reisegelds wünschte, hatte ich einen geheimen Grund noch, den ich Ihnen nun auch offenbaren kann. Ich muß die Reise doppelt machen und fürchtete dadurch nicht ohne Grund, mit meiner Oeconomie ins Gedränge zu kommen. Meine Frau gab mir abdazumal(?) noch etwas zweifelhaft die schönste Hofnung, die nun zur Gewisheit geworden ist. Sie hat mir das erstemal eine Fehlgeburt gemacht in ihrem fünften Monat und das nach einer Reise nach Hanau; dafür, daß wir nun diese Ferien hier geblieben sind, habe ich versprochen, sie den Sommer bey ihren  Familie Blum aus Hanau  [Schließen] Eltern zu lassen und sie der Gefahr und Unbequemlichkeit der Reise nicht auszusetzen.

Mar

Zitierhinweis

3523: Von Philipp Konrad Marheineke. Heidelberg, Sonnabend, 6. 10. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007352 (Stand: 26.7.2022)

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