Bresl. den 26ten Septbr. 1810.
Mein Brief, liebster Schleiermacher sollte Sie eigentlich bei
Ihrer Rückunft nach Berlin bewillkommnen; ich konnte es aber nicht möglich machen.
Doch habe ich indeß an Nikolovius
geschrieben, sehr ausführlich von allem was zum Geschäft
gehört, weßhalb ich Sie auch über diesen
Gegenstand an ihn verweise. Sie sollen dagegen erfahren, wie
es mir und den Meinigen im häußlichen
Leben geht und wie sich unter den hiesigen
Umgebungen die Privatverhältniße gestalten. Vgl. Brief
3504.
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Vorher aber muß ich Ihnen doch meine recht
herzliche Freude über Ihre schon lange von mir
erwartete Anstellung bei der
Sektion
bezeugen. Hätte man Sie auch nur in die
Abtheilung für den Cultus aufgenommen, denn grade
hier scheinen Sie mir weit nothwendiger, als bei
dem öffentlichen Unterricht. Ich sollte meinen, dieß müßte der Friedrich Ferdinand Alexander Graf zu
Dohna-Schlobitten
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Minister
selbst einsehen
und habe mich daher in der That über
diese Art der Anstellung etwas gewundert. Hoffentlich sehe
ich doch auch diesen Wunsch bald erfüllt, denn ich
sehe nicht ab, wer anders, als Sie gefragt werden
müßte und zu antworten im Stande wäre,
wenn es erst an die Ausführung allgemeiner das
Ganze umfaßender Pläne geht.
Daß man damit endlich hervorrükken mögte erwarten wir
allerdings mit großer Ungeduld, indem unsre
Wirksamkeit für das geistliche
und Schul-Wesen der Provinz davon abhängt
und wir die günstige Stimmung,
welche durch die Organisation | 56v der Deputation in
vielen rechtschafnen Geistlichen und
Schulmännern für die Aufnahme des Beßern, das eben so sehr
ersehnt wird, als es allenthalben Noth thut, [erregt worden] ungerne durch
Zögern ermüden, oder völlig mögten verschwinden laßen. Die
ehemaligen Ober-Consistorien haben sich mit ihrer Leitung
der kirchlichen Angelegenheiten den Himmel nicht
verdient, das weiß Gott und es ist ganz dieselbe
Verwirrung, womit sie uns die Akten und die
Angelegenheiten selbst übergeben haben. Aber alles richtet
jezt sein Auge jezt auf die Deputation und
erwartet von ihr schleunige Rettung. Und was sollen wir nun
wohl machen, so lange wir nicht wißen, wo man in
Berlin hinauswill, so lange uns noch überall die
Hände gebunden sind und wir über alles anfragen
müßen. Dauert dieß lange, so verlieren wir das Zutrauen;
und man wirft uns mit den ehemaligen Consistorien in eine
Classe und es gilt von uns, was von jener
Leichenpredigt gesagt wird „hätte sie nicht einen andern
Text, ich glaubte, es wäre der alte Hirsch.“
Doch ich wollte eigentlich von diesen Dingen nicht
schreiben; aber ich bin so voll davon, daß ich es nicht
zurükkhalten kann.
Nikolovius habe ich es so grade heraus
nicht schreiben mögen; aber
gegen Sie will ich es nicht bergen, sondern noch die Bitte
hinzufügen, daß Sie auch hierin das Beßre fördern, wie
und wo es Ihnen möglich ist.
Anspielung auf die Schwangerschaft Henriette
Schleiermachers
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Die Veränderung in Ihren öffentlichen Verhältnißen
haben Sie mir gemeldet aber was sonst
noch ein Gegenstand neuer, großer und gerechter
Freude in Ihrem Hause ist, das muß ich von | 57 Andern erfahren.
Darüber sollten wir billig schelten, liebster
Schleiermacher doch es sei darum,
genug, daß wir es wißen und
eine langerwünschte Gelegenheit haben, uns auch auf diese
Weise recht herzlich mit Ihnen zu freuen. So ist der Segen
des Herrn zwiefach gekommen; aber es wird sich an Ihnen
nicht bestätigen, Spr 10,22
[Schließen]
daß er reich mache ohne Mühe.
Zu Ihrer Reise sind Sie wenigstens vom Wetter sehr begünstigt worden. Wir haben in der Zeit recht oft an sie gedacht, besonders als auch wir noch eine kleine Exkursion, wenn gleich nicht ins Gebirge selbst, doch in die Vorhalle deßelben machten, ich meine nach Fürstenstein, etwa 10 Meilen von hier. Minchen hatte dergleichen noch nie gesehen und wir brachten einen sehr frohen Tag auf der Burg zu, der nur durch den Gedanken an den Tod der Königin getrübt ward, der hier ein Ritterspiel gegeben ist. Der Balkon, von welchem sie zugesehen und die Preise vertheilt hatte, stand noch, aber er ist die Remise eines Tischlers der hier seine Bretter aufbewahrt. – Reichardt ist in Leipzig gewesen, doch hoffe ich, werden Sie ihn noch in Dresden gesprochen haben und mir gelegentlich ein Wort über ihn mittheilen. Aber auch sonst wird es Ihnen dort nicht an intereßanten Menschen und Gegenständen gefehlt haben.
Mit der Berlin-Universität
ist es also bis zum realen Anfange gekommen. Von
der feierlichen Inauguration wäre ich doch gerne ein Zeuge
gewesen; ich denke indeßen noch Ihnen unsern Manso zu schikken
Vom Hg. korrigiert.
und
| 57v und
durch diesen zu erfahren, wie es dabei zugegangen. Ich bin doch begierig,
ob sich wohl eine bedeutende Anzahl junger Leute von
auswärts einfinden wird. Ich zweifle fast, denn
man ist noch gar nicht recht für die ganze Sache gestimt
und die alten Zweifel und Einwendungen wollen sich nicht
wegschaffen laßen. Von den Abiturienten Außer dem (ehemals jesuitischen) katholischen
St.-Matthias-Gymnasium gab es noch drei evangelische: das
Maria-Magdalenen-Gymnasium oder Magdalenäum, das Elisabeth-Gymnasium
oder Elisabethanum und das Heilig-Geist-Gymnasium.
[Schließen]beider hiesigen Gymnasien geht nur einer nach Berlin, alles übrige zieht von hier nach Leipzig.
Auch hat man es hier wohl etwas übel genommen,
daß die Universität nicht hierher gelangt
und an die schon vorhandene katholische angebaut ist; wofür sich
allerdings manches sagen läßt, besonders von der
ökonomischen Seite
angesehen, wie es mir aber scheint, noch mehr aus einem
höher liegenden Grunde, nemlich um das
wißenschaftliche Intereße in Schlesien
zu vermehren und die
überwiegende Tendenz zur Fabrikation und den Sinn für
das unmittelbar Nüzliche, der hier noch eine gewaltige
Herrschaft ausübt, zu beschränken und
zu dämpfen.
An den Heidelbergern machen Sie eine gute
Acquisition, besonders an Marheineke, der mir immer
mehr gefällt, je mehr ich von ihm lese und der
große Hofnungen von der Zukunft erregt.
Ammon,
wenn er kommen sollte und sein Vortrag nicht
vorzüglich ist, wird schwerlich viel leisten. Er scheint
mir, wie Stäudlin, doch gar nicht fest in sich
und zu einer bestimmten Ansicht vom
Christenthum durchgedrungen zu
sein.
Haben Sie Sich nicht nach Heinrich Gottlieb Tzschirner
[Schließen]
Tschirner
erkundigt? Aber was wollen Sie mit allen Philologen? An Herrmann ist auch noch ein Antrag
geschehen, aber abgelehnt.
Warum ist Heeren nicht
gerufen, da man für die Geschichte noch keinen hat?
Er geht jezt nach
Leipzig und wäre gewiß
auch nach Berlin gekommen.
| 58
Nun auch noch etwas von hier und von uns selbst! Wir haben uns leidlich
eingewohnt und können eben nicht klagen, daß es
uns schwer geworden ist. An Umgang fehlt es uns nicht, doch
leben wir noch sehr einsam, weil auch hier der Winter die
eigentliche Zeit der Geselligkeit ist. In Ansehung des geselligen Tons ist aber ein
großer Unterschied zwischen hier und
Berlin. Es ist wohl nur selten der
Fall, daß sich eine Gesellschaft zusammenfindet,
die einen Abend ohne Spiel zubringen kann. Wer die Freuden
der Tafel liebt, der findet hier seine Rechnung, denn dabei
geht es ganz anders her, wie dort. Daher mir die gepries'ne
Wolfeilheit von Breslau nur eine Täuschung zu sein
scheint, denn was im Täglichen gespart wird, geht oft in
der Theilname an der Geselligkeit zweifach wieder darauf. Was
aber offenbar Breslau gegen Berlin zurükksezt ist die weit weniger hier
verbreitete allgemeine Bildung; man ist nicht so reich an
solchen Kentnißen, die jenen Namen verdienen
und sie sind lange nicht in einem so leichten
Tausch und Umlauf als in Berlin. Es
kann sein, daß ich bei Ihnen und durch den Umgang
mit unsern dortigen Freunden sehr verwöhnt bin; aber ich
habe diesen Mangel oft recht empfindlich gefühlt. Unter allen Bekantschaften, die ich gemacht habe,
ist die mit Manso unstreitig die vorzüglichste
und hie und da vielleicht eine einseitige Ansicht
abgerechnet, verdient er in der That den Namen
eines Gelehrten. Ich verdanke seinem Umgange schon manche
angenehme und für mich lehrreiche
Stunde. Die übrigen Schulmänner gehören fast
immer nur einem Fach an. Mit
den Geistlichen ist am wenigsten aufzustellen und
nur unter | 58v den
jüngeren sind einige, die etwas Hofnung für die
Zukunft geben. Mit meinem Collegen Fischer geht es mir am
unglüklichsten; unsre Ansichten und
Bestrebungen sind so von Grund aus verschieden, daß sich
über die Kluft zwischen uns gar keine Brükke schlagen läßt
und wenn es zu Erklärungen komt, so sprechen
wir neben einander hin, daß ich lachen müßte, wenn es mich
nicht in der That traurig machte. Es ist ein Mißgrif gewesen, ihn in
die Deputation zu nehmen, aber Merkel ist daran
unschuldig und
vielleicht war es die dira necessitas ihn zu
nehmen.
Mit Hermes wäre es doch nicht gegangen, denn
wiewohl es ihm nicht an Kentnißen fehlt, wie sie sich bei
einem Manne seines Alters erwarten laßen, so ist er doch ein
solcher Confusionarius, daß er zu aller Geschäftsführung
unfähig sein muß und ich noch nicht weiß, wie es
ihm mit der Superintendentur ergehen wird. Zu
mir thut er sich sehr freundlich und ich glaube im Ernst er
hat mich lieb. Auch ist sein Unwille nie gegen mich, oder meine
Herberufung, sondern allein gegen die Erhebung
des Fischer
gerichtet gewesen, und darin kann ich ihm gar
nicht abstehen.
Nur Einen finde ich unter der hiesigen
Geistlichkeit, deßen Umgang mir lieb sein kann; es ist ein
Feldprediger
Graim
(?), der aus Warschau
hierherversezt und
von daher noch Hitzigs Freund ist. Er ist hier der Einzige, der
Ihre Schriften sehr fleißig gelesen hat und mit
dem ich schon für den Winter einen Abend
verabredet habe,
wo wir ihre Ethik und
Dogmatik zusammen
durchgehen wollen,
womit ich ihn sehr erfreuen
werde. Er predigt auch recht gut, dagegen kann
man bei den Andern [es] oft nicht
aushalten.
Welche erbärmliche Sachen sind hier bei
der Todesfeier der Königin
| 59 von den Canzeln
gehört!
Dem Hermes wurde sogar vom Generalfiskal das Concept
abgefodert; er ist indeßen noch mit einem
Verweise davon gekomen.
Am 5.8.1810 fanden an mehreren Orten in Berlin
Gedenkgottesdienste für die gestorbene Königin statt. Im
Dom
unter Anwesenheit der königlichen Familie predigte der
reformierte Hofprediger
Friedrich Ehrenberg
, in der
St. Nicolai
der Beichtvater der Königin und Probst Konrad Gottlieb
Ribbeck, in der Klosterkirche der Cöllner Probst
Gottfried August Ludwig Hanstein und Schleiermacher in
der Dreifaltigkeitskirche - alle über Jes 55,8 f. Die Gedächtnisreden erschienen 1810 in der Sammlung „Zum Angedenken der Königin Luise von Preußen“ . Zu Schleiermachers
Leichenreden zum Tode der Königin Luise vom 22.7. und 5. 8. 1810 vgl.
KGA III/4, S. 123-150 und Brief
3504.
[Schließen]
Aber die Sachen der Berliner
Pröbste haben mir auch nicht gefallen.
Es war mir daher eine wahre Freude, als
ich die Ankündigung der Ihrigen laß. Ich besize
sie nun selbst und es scheint mir doch, als könne es nicht Ihr
Ernst sein, wenn Sie besonders auf die zweite
keinen Werth legen wollen. Ich habe sie einige mahl und immer mit
steigendem Wohlgefallen gelesen und
danke Ihnen recht sehr dafür.
Schleiermacher predigte sowohl am 10. als auch am
11.6.1810 in der Dreifaltigkeitskirche, vgl. KGA III/4, S. 91-111, beide
nicht zu Schleiermachers Lebzeiten gedruckt.
[Schließen]Was ist aus Ihren lezten Pfingstpredigten
geworden?
Von meinen Beschäftigungen will ich Ihnen künftig mehr schreiben,
noch habe ich sie nicht zu meiner Zufriedenheit anordnen
können. Gaß war Regierungsrat in Breslau, erst ab 1811
Professor an der neu gegründeten Breslauer Universität.
[Schließen] Meine eigentlichen Berufsarbeiten
werden mir nicht schwer, nur sind sie oft mir als
einem Fremdling mühsam und zeitfreßend. Gelingt es mir nur hie
und
da etwas Gutes zu bewirken, so werden sie mir auch
Freude machen. Die Canzel aber vermiße ich doch oft recht
schmerzlich, und werde nicht aufhören mich
darnach zu sehnen, bis ich sie wieder habe. Zwar habe ich
schon 2 mahl gepredigt und es ist mir immer eine
Herzstärkung unter meinen troknen Arbeiten gewesen, aber
es ist doch ein ganz ander Ding,
wenn man ein eignes Amt hat. Sonst ist es hier eine
köstliche Sache in den ganz gefüllten Kirchen
zu predigen, und wenn man nicht so viel Zeug am
Leibe trüge (gewiß 30–40 Ellen Seide und
Leindwand) so wäre es noch viel beßer. Ich habe mich auch
schon ganz auf Breslauische Weise kostümirt
und Sie werden finden, daß ich recht stattlich darin aussehe.
Ich wollte Ihnen als Mitglied der Sektion noch allerlei Wünsche in Ansehung des hiesigen Schulwesens mittheilen; Vom Hg. korrigiert. aber | 59v aber Zeit und Papir sind schneller als ich dachte zu Ende gegangen. Das dringendste Bedürfniß ist ein philologisches Seminar, und wir werden ernstlich darauf dringen müßen. Erhalten wir noch einen eignen Schulrath, der uns ohne eine solche Anstalt ziemlich überflüßig ist, so muß es sein erstes Geschäfte sein, eine solche einzurichten. Geld werden wir schon schaffen. In Ansehung andrer Gegenstände habe ich Nikolovius sehr weitläuftig geschrieben.
Vgl. Brief
3504.
[Schließen]Von der Anwesenheit des Königs habe ich wenig
genoßen, ihn selbst auch nur ein mahl
gesehen. Ich hatte etwas Gicht am Fuß und mußte 2
Tage das Bette hüten. Der König hat hier sehr für sich
eingenommen, und
wo könnte ein Herz sein, das ihm nicht anhinge, der so
viel erfahren und
dulden muß und der es mit einem in der That
bewundernswürdigen Muthe trägt. Ganz aber haben
mir die Breslauer doch nicht gefallen, denn erst dann
ließen sie ihre Freude recht laut werden und waren seines Lobes
voll, als er ihre Wünsche in Ansehung der Wälle erfüllte
und sie ihnen schenkte mit Ausnahme zweier
Plätze, des einen zur Anlegung eines
botanischen Gartens und des andern zu
einem Exercirplaz. So sind die Menschen.
Ich muß hier schließen. Meine Frau
badet seit mehreren Wochen täglich und
das bekommt ihr sehr wohl. Die Veränderung des Clima und der
Lebensart hat uns doch beiden etwas Uebelbefinden
zugezogen.
Gaßens Tochter
[Schließen]
Cäcilie
ist ein allerliebstes Kind. Nächstens werden ihr die
Augenzähne durchbrechen und wir hoffen
es soll gut gehen.
Tausend Grüße an alle Ihrigen von uns und an alle unsre Freunde. Leben Sie alle wohl, Gott erfülle alle Ihre Wünsche. Ich bleibe von ganzem Herzen Ihr Freund
Gaß.am linken RandEmpfehlen Sie mich Ancillon
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