Kiel den 16ten September 1810.

Wohlgeborener Hochgelahrter Herr Professor, Hochzuverehrender Herr.

Die Ungewißheit über die zu Berlin zu errichtende Universität und eine dadurch für mich entstehende große Verlegenheit macht, daß ich Sie mit einem Briefe zu belästigen wage. Darf ich aber auch hoffen, daß Sie deswegen einem ganz Unbekannten diese Kühnheit verzeihen, daß Sie ihm selbst die Erfüllung einer dadurch veranlaßten Bitte nicht abschlagen werden? Ich weiß nicht, ob es die Erzählungen andrer von Ihnen, oder ob es das Bild ist, das man bey der Lesung Ihrer Schriften sich von Ihnen unwillkührlich macht, was mich auch dieses hoffen ließ.

Seit dritthalb Jahren habe ich mir die allgemeineren philologischen, philosophischen und theologischen Kenntnisse zu erwerben gesucht, welche demjenigen nothwendig sind, der aus diesen Fächern sich einst einen besondern Zweig zu seiner Bearbeitung wählen will. Nicht eben sehr vom Glücke begünstigt, strebte ich zugleich mit einiger Anstrengung nach den Mitteln, den Unterricht großer Männer auch außerhalb Dännemarks , meines Vaterlandes, benutzen zu können. Dies ist mir jetzt, beynahe am Ende meiner akademischen Jahre gelungen. Wie groß war daher meine Freude bey der Nachricht, daß in Berlin, wo alle die Männer versammelt sind, die ich täglich mehr  | 1v bewundern gelernt hatte, Michaelis eine Universität errichtet werden würde! wie groß mein Eifer, alles so einzurichten, daß ich dahin gehn könnte!

Da aber Michaelis immer näher heranrückte, ohne daß, so viel ich weiß, über die Einrichtung der Akademie eine öffentliche Anzeige geschehen wäre, so mußte ich wenigsten daran, daß die Universität als solche zu der Zeit zu Stande kommen würde, zu zweifeln anfangen. Indeß schmerzte es mich zu sehr, einen Wunsch aufgeben zu sollen, dessen Erfüllung ich so sicher glaubte, als daß ich nicht die Hoffnung ergriffen hätte, es würden, wenn auch nicht die Universität organisirt werden, doch vielleicht wohl die Vorlesungen ihren Anfang nehmen. Wirklich hatte man mir geschrieben, daß namentlich Sie Encyclopädie der Theologie und  Schleiermacher las im WS 1810/11 keine philosophische Ethik, sondern erst wieder im WS 1812/13.  [Schließen] Ethik , daß außerdem auch Herr Geheimerath Wolf und die Herren Fichte , Heindorf , Buttmann , Spalding , Hirt , Bernhardi lesen würden. Aber sollte ich es wagen, bei unsichern Nachrichten eine so weite Reise zu unternehmen, die bei dem Aufwande an Zeit und Geld, den sie forderte, mir den Besuch einer andern Akademie unmöglich machen mußte? Dazu kam noch ein Gerücht, daß der Herr Geheime Rath Wolf die preußischen Dienste verlasse. So unwahrscheinlich dies mir anfangs war, so wurde es doch durch zwei Zeitungen,  Gemeint ist die „Privilegirte Liste der Börsen-Halle“ (1805-1824), vgl. „Zeitung für die elegante Welt“ 10 (1810), Nr. 175 (1.9.), Sp. 1392: „Der Geheime Rath Wolff ist entlassen, und seine Pension von 3000 Thlr. eingezogen worden, weil er sich, wie man sagt, in Töplitz, wo er sich jetzt aufhält, unschickliche Aeußerungen über den Preuß. Staat erlaubt haben soll.“ Der Herausgeber der „Zeitung für die elegante Welt“ war ab 1805 Siegfried August Mahlmann.  [Schließen]durch die Nachrichten der hamburgischen Börsenhalle , und durch die Zeitung für die elegante Welt, deren Redacteur mir als ein sehr vorsichtiger Mann geschildert ward, bestätigt. Um so nothwendiger wurde es mir, auf die übrigen philologischen Vorlesungen wenigstens sicher rechnen zu können.

In dieser Ungewißheit, da ich kein andres Mittel, etwas Sicheres zu erfahren, kannte, entschloß ich mich, mich an Sie zu wenden, und Sie um die Güte zu bitten, mir durch  | 2 einige Zeilen Nachricht zu ertheilen, ob Sie und andere Gelehrte in Berlin gewiß Vorlesungen halten werden, oder, wenn darüber etwas durch den Druck bekannt gemacht seyn sollte, mir dieses zu übersenden.

Ich fühle, daß meine Bitte fast unbescheiden ist, um so mehr, da ich im Anfange des folgenden Monats meine Reise antreten, und also vor dieser Zeit noch Antwort wünschen müßte. Können Sie dieselbe nicht erfüllen, so verzeihen Sie wenigstens, daß ich sie wagte.

Ew. Wohlgebohrenen gehorsamster Diener August Twesten, stud. theol. & phil. auf der Universität zu Kiel im Holsteinischen

Zitierhinweis

3516: Von August Twesten. Kiel, Sonntag, 16. 9. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007345 (Stand: 26.7.2022)

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