Der Gedanke, liebster Schleiermacher, ietzt in eine Lage kommen zu können, wo ich von dem lähmenden Druck, unter dem ich je länger je mehr seufze, befreit mich freier und vielseitiger ausbilden, und, was mir immer vorschwebt, mehr erringen kann, hat mich so ergriffen, daß ich nicht umhin kann, Dir eine Idee mitzutheilen zur Prüfung. Auf Dich könnte ja der Wunsch auch Deines liebsten Freundes keinen schädlichen Einfluß haben, sobald Du nicht von der Sache selbst überzeugt bist, und mich kennst Du hierin wohl auch. Daß ich die Gabe habe, einen lebhaften zusammenhängenden Vortrag zu halten, bei dem die Zuhörer angeregt werden, davon hat mich die Erfahrung überzeugt. Bei der immer zunehmenden Kraft und Gesundheit glaube und fühle ich, daß aus mir im akademischen Lehramte noch etwas werden könnte, statt daß ich bei der immer steigenden Unlust im Schulamte am Ende ganz verkomme. Unter der Voraussetzung also daß Wolf wieder kömmt und seinen Namen der Sache giebt, wünschte ich, daß man Boekh als Professor der griechischen Litteratur und der Eloquenz beriefe, mir aber mit 1000 r (wobei ich etwas von meinem jetzigen Gehalte einbüße) die Professur der römischen Litteratur gäbe. Es ist wahr, daß in Boekhs Schriften von Seiten des Stils Einzelheiten sehr fehlerhaft sind, aber  Gemeint ist August Boeckhs Vorrede zu den unechten Platonischen Dialogen, die er dem Simonis, einem gelehrten Schuster, zuschrieb: „Simonis Socratici ut videtur, dialogi quatuor, De lege, De lucri cupidine, De iusto ac De virtute. Additi sunt incerti auctoris dialogi Eryxias et Axiochus. Acc. varietas lect. Stephanianae“ (1810), „praefatio editoris“ S. III.-XL. [Schließen]seine letzte Vorrede zu den Schuster-Dialogen, die er mir geschickt hat, ist doch frei davon, und von dergleichen kann sich ein Mann, der soviel antiken Sinn hat und doch auch im Schreiben zeigt, immer mehr frei machen. Was aber die Hauptsache ist, wenn Boekh Programme schreiben muß,  | 36v so kriegen wir immer gediegne und großentheils neue Sachen. Wie oft wird denn eine Rede zu halten sein, die ja ohnehin verhallt. Im Lateinischen weiß ich mehr als Boekh, und wenn ich, wozu mich immer eine alte Schwäche treibt, mehr Zeit auf die römische Litteratur wenden könnte, so wollte ich darin wohl etwas leisten. Dabei bliebe mir ja wohl unverwehrt, griechische Collegia zu lesen, z. B. gleich im ersten Jahre nebst einem Colleg über römische Litteraturgeschichte auch eins über griechische Antiquitäten.   David Ruhnken [Schließen] Ruhnkenius las ja neben Valkenar auch Collegia über griechische Litteratur. Kurz, wenn ihr meine Brauchbarkeit nicht bezweifelt, so hätte das Ding einen Namen. Wollt ihr für die römische Litteratur einen Mann haben, der sich darin besonders einen Namen erworben hat und von dem sich doch auch als Docenten etwas Tüchtiges versprechen läßt, so bitte ich, mir den in Deutschland zu nennen.

Alles, lieber Schleiermacher ist nur ein Nothbehelf, da Hermann abgesagt hat, und was ich schreibe, ist auch nur eine seit gestern entstandne Aufwallung bei noch nicht kaltem Blute, die du deinem gedrückten unter der Last niedriger geisttödtender Arbeiten seufzenden Freunde verzeihen und auf die du nicht die mindeste Rücksicht nehmen wirst, wenn du über die ganze Sache andrer Meinung bist. Nur damit, bitte ich, mich zu verschonen, daß man mir anträgt, mit dem einen Fuß in der Schule, mit dem andern dort zu stehen, wozu ich ganz unfähig bin. Dergleichen wehre doch ab, weil ich gewiß weiß, daß ich mich selbst dann nirgends befriedigen würde.

Dein Heindorf

d. 2ten Sep. 10.

Zitierhinweis

3506: Von Ludwig Friedrich Heindorf. Sonntag, 2. 9. 1810., ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007335 (Stand: 26.7.2022)

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