An Herrn D. Schleiermacher

Ich glaube Ihnen, hochgeehrtester Freund, etwas einiger maßen Angenehmes von einem Ihrer Freunde schreiben zu können, und so mache ich mir gerne das Vergnügen, dieß zu thun.

Ich bin auf meiner neulichen Reise nach Marienfelde und Tuchel von Montags Abend bis Sonnabends früh bei Büntingh auf seinem 5 Meilen von hier und 1 Meile von Rummelsburg belegenen Gute Waldow gewesen, und soll Ihnen von ihm melden, daß er so gern Ihrer gedenkt, und Sie hochschätzt und liebt. Er hat sich durch die trübsalvolle Zeit tapfer hindurch gearbeitet, hat zwar ökonomisch eine große Einbuße erlitten, bleibt aber doch noch ein wohlhabender Mann, und geht muthig der Zukunft entgegen, obgleich diese bei dem allgemeinen Geldmangel und dem dadurch verursachten tiefen Fall der Producte und Landgüter den Gutsbesitzern keine heitere Aussicht begünstigt. Er lebt und webt in der Landwirthschaft und in der Verbeßerung seines Gutes, das in beiderlei Bedeutung des Worts höchst perfectibel ist. Er hatte diesen Frühjahr die Unannehmlichkeit erlebt, daß sein  Johann Christoph Prochel [Schließen] Prediger gänzlich abbrannte, und derselbe dadurch moralisch tief erschüttert wurde, daß er ganz verzagt, muthlos, und daher leider auch etwas mißtrauisch und argwöhnisch wurde. Dadurch hat denn auch das gute Vernehmen gelitten, was sonst zwischen ihnen beiden bestanden hatte, was aber sich, wie ich hoffe, wieder erneuern wird, da der Prediger, dem vorigen Winter auch die Frau gestorben war, jetzt während meines Daseyns zu seiner Hochzeit verreiset war, und durch Liebe und Freude wieder aufgehellt und erheitert  | 53v werden wird. Sie schrieben mir einmal von Büntinghs Vater etwas höchst trauriges. Ich habe noch nie eine in jeder Hinsicht sichere Gelegenheit gefunden, mich über einen solchen leider so höchst intereßanten Punct näher zu erkundigen. Daraus, daß Büntingh bloß von den letzten Stunden seines Vaters spricht, und bloß seines christlichen andächtigen und seligen Todes gedenkt, läßt sich wol nichts folgern.

In Marienfelde ist eine neue Herrschaft, der Neveu des ehemaligen Obersten, dem Sie nicht bekannt sind. In Tuchel aber, wie hier in Stolpe spricht man überall von Ihnen mit ausgezeichneter Hochachtung. Man hat neulich gehofft, daß die ruhmvolle Erwähnung  Predigt vom 16.5.1810 in der Dreifaltigkeitskirche in Berlin über Prediger 3, 11-13, KGA III/4, S. 66-79. [Schließen]Ihrer Bettagspredigt Ihnen dieselbe zwar nicht ablocken, aber doch abbitten werde. Das, sehe ich, ist nicht geschehen. Eine sehr andächtige Zuhörerinn haben Sie an Madame Genz, die an ihre Cousine, meine Frau bisweilen von Ihren vortrefflichen Predigten schreibt, und eine, wie ich schon aus ihren Briefen sehe, sehr gebildete Frau ist.

Nun, lieber Schleiermacher, viel Glück dazu! ich habe mir neulich sagen laßen, Sie hätten jährlich an die 4000 r.

 Friedrich Delbrück: „Schmerz und Freude am Sarge der Königinn“ (1810); Schleiermachers Gedächtnispredigten zum Tode der Königin Luise , gedruckt 1810: „Zwei Predigten am 22. Julius und am 5. August“ (KGA III/4, S. 123-150)  [Schließen]Dellbrücks – des Prinzenerziehers? – Scherz und Freude  | 54 habe ich mit Rührung gelesen, doch muß ich gestehen, daß ich Seite 7. mit „Rükkehr nach ewiger Trennung zu ewiger Trennung“ keinen Sinn zu verbinden weiß. Sacks simple und feierliche Worte mit seiner hochpriesterlichen Würde gesprochen am Sarge müßen tief gerührt haben. – Unser armer König! Ihre Gedächtnißpredigt laßen Sie vielleicht drukken.

Herr Hering hat sein hiesiges Bürgerrecht abgegeben, und ist jetzt Besitzer seines voriges Jahr erkauften und ¾ Meile von hier belegenen Gutes, die Reitz benannt. Er kommt doch zu Zeiten mit seiner Familie herein, und wird künftigen Winter hier wohnen. Unser Presbyter, Senator Nogier ist dieß Frühjahr gestorben.

 Der „Geist der Alten“ meint nicht die Griechen, sondern die erste Fassung „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre“ von 1794/95; die neue Darstellung meint hier nicht den „ Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre “ von 1797 (in: „Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten“ 5 (1797), H. 1, S. 1–47), sondern wohl die Fassung von 1810: „Die Wissenschaftslehre in ihrem allgemeinen Umrisse dargestellt“.  [Schließen] Ob Fichte in seine neue Darstellung der Wißenschaftslehre den Geist der Alten wol treu niedergelegt, und seine neuen Ideen mit jener in bündigen Zusammenhang gebracht hat? Eins von beiden möchte ich selbst so kühn seyn zu bezweifeln; unter Schellings Vorwürfen scheint mir der Eine viel befaßende nicht grundlos, der, daß wie ehemals bei ihm die Moral alles auch die Religion verschlang und sich subordinirte, so jetzt umgekehrt die Religion alles auch die Moral.   Zur Schellings Kritik an Fichte vgl. „Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre“ (1806), in: „Werke“, Bd. 3 (1927), S. 620.  [Schließen]Wenn Fichte hierauf antwor | 54vtet: ich habe vor diesem in meinem Leben erst die Moral, noch nicht die Religion gehabt, bin jetzt aber auch zu dieser gekommen, so scheint mir doch diese Widerlegungsart: ich habe es ehemals noch nicht gewußt, weiß es aber jetzt; eine Abfertigung, die sich Schelling billigerweise dann gefallen laßen müßte.

Der junge Carl Sack hat neulich an mich einen mir wahrhaft festlichen Brief geschrieben. Es muß ein trefflicher junger Mann geworden seyn, voll Sinn für Christenthum, der ihn von der Jurisprudenz zur Theologie zurük geführt hat, voll Eifer, sich und mit sich die Menschheit zu bilden. Der alte Sack ist doch ein sehr glücklicher Mann. Der Sohn gedenkt im Briefe Ihrer mir Hochachtung und Liebe.

Leben Sie wohl und bleiben meiner mit Liebe eingedenk; meine Frau und  Marie Elisabeth Charlotte Thiele [Schließen] Schwiegermutter gedenken Ihrer mit Verehrung und Dankbarkeit; jene ist guter Hoffnung, und wie ich neulich gehört habe, soll es auch Ihre liebe Frau seyn. So helfe Gott denn beiden, und mache uns zu glücklichen Vätern. Grüßen Sie Ihre liebe Frau, der ich mit Liebe verbleibe  Ihr

Freund Metger.

Stolpe den 8t Aug. 1810.

Zitierhinweis

3485: Von Friedrich Severin Metger. Stolp, Mittwoch, 8. 8. 1810 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007314 (Stand: 26.7.2022)

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