Endlich einmahl, mein Lieber, komme ich mit der Feder in der Hand zu dir und concipire, was nur selten nötig ist, um die Gedanken an Euch dorten an einander zu reihen – nicht daß es izt grade Schulgerecht werden soll, denn damit weiß ich nicht sonderlich umzugehen, nein, daß ichs nun nicht länger bei mir allein hegen und bewegen kann. Du zweifeltest nie, daß ich mit dir, und – und – fortlebe; wie kann man das auch, wenn man einmahl einander angehört? – plus oder minus – so, wies war in der Gegenwart, so bleibt es mir in der Abwesenheit – und noch sind die Farben, von jener aufgetragen, lebhaft genug, sie bis heute zum Heute zu machen. Gerne verdanke ich Dir, den Kiel nicht abgewandt zu haben, und wenn gleich deine Zeilen von Zeit zu Zeit keines Weges sich beschwerlich bemühen mußten, ihn von anderswoher zurückzuziehen,  Vgl. Brief 3433. [Schließen]so gab mir doch deine Hinweisung auf deiner Henriette Geburts und auf Eure Bundes-Feier einen festen Standpunkt gleichsam, von dem ich Euch recht behaglich rück- und vorwärts beschauen konnte; wie es so gekommen ist und wie es gehen wird fürderhin. Für lezteres entdekt dir meine Wünsche und Hofnungen dein eignes Herz daß du in lezteren frölich fortlebest, wenn auch die Erfüllung zögert, kann ich dir wohl zutrauen und so wird es nicht stören, nur ermunternd für dich seyn, was Louise von meiner zweiten Grosvaterschaft wird geschrieben haben – da ich weiß, wie gerne sie in solchen Fällen anticipirt, habe ich der formellen Anzeige mich überhoben – denn kurz konnte sie nur werden, in der ersten Zeit, da der Sommer-Taumel schon begonnen und die so lange aufgehaltne Reiselustige Welt der hier gewendete Krieg gleichsam losbändig gemacht hatte. Mein erster Enkel, den meine Kinder haben zurükgeben müssen, stand, seit ich ihn in Schweden sah, in meinem Cassabuch ausser der Linie – schien mir schon damals, obwohl nicht krank, ein Schwächling und so war es so besser. Die Aerzte hatten dem Kinde die Reise nicht nachteilig gehalten, die im bedekten Wagen, bester Witterung, mit aller Vorsicht gemacht wurde – doch war in Ystadt der kurze Faden abgeschnitten – Das ihnen wiedergeschenkte Mädchen scheint ein köstliches Mutiges Wesen zu seyn – die  Charlotte geb. von Willich (Name des Ehemannes nicht bekannt) [Schließen] Mutter sehr glüklich in dem väterlichen Hause zu Kindbette reicht ihr, wie deutschen geziemt, die eigne Brust von Rechts wegen und befindet sich mit dem Kinde vortreflich dabei. | 12v

Hier muste ich seit einigen Tagen abbrechen – es überfluteten uns manche Fremde – die beiden Declamatricen Madame  Wohl Sophie Antoinette Schröder (geb. Bürger), eine berühmte Schauspielerin, die seit 1810 mit Henriette Hendel-Schütz bekannt wurde.  [Schließen] Burger und  Henriette Hendel-Schütz war damals zweimal geschieden und einmal verwitwet; von Friedrich Karl Julius Schütz ließ sie sich 1827 scheiden.  [Schließen] Hendel (izt Schütz mit ihrem neuen Gemahl, der vieleicht auch bei ihr nicht alt wird) ein robuster, wenig ausgebildeter Dichter Dr Pastor August Schröder – ein leise auftretender Conrector Janssen aus Stettin – und endlich nach andringt(?) der OberConsistorialRath Nagel aus Berlin mit Familie – Er hat eine leibliche Kousine von mir zur Frau – Ihr habt ihn in Eure Rechnung nicht mit aufgenommen, um der Frau willen hatte ich sonst gewünscht daß unsre  Henriette Schleiermacher [Schließen] Henriette ihrem Namen mögte Gerechtigkeit lassen wiederfaren und einen Bruder von ihr, der Euch dorten besucht, näher an sich gezogen haben. Sie haben diese Reise hauptsächlich zu allen, was Willich heißt, gemacht und da konnten sie nicht anders als gute Aufname bei uns finden. Er, obwohl nicht alt, stellt sich wahrscheinlich nicht in die Reihe der neuern Gelehrten und steht dir, wie es mir scheint, eben nicht sehr nahe; läßt dir jedoch alle Gerechtigkeit wiederfaren.  mutmaßlich eine Verwandte der Dorothea Schlegel - vielleicht ein Bruder und dessen Frau  [Schließen]Auch die Madame Mendelsson kam mit einer addresse von unsrer nicht(?) rangirten Herz hier – daß sie ihren Mann nicht mitbrachte, war mir etwas störend und sie war zu sehr allein – indes haben wir einen Mittag und Abend sie bei uns gehabt, nicht lang genug um sie zu gewinnen – der Herz bitte jedoch bestens zu danken für die Anweisung  –

Mitlerweile hat meine Tochter Charlotte, die zu rasche Fortschritte aller Warnung ohnerachtet machen wollte, sich rheumatische und andre Beschwerden zugezogen, die nun einer langsamer Cur weichen; das denn die Freude des Beisammenseins etwas stört.

Sorge wird es auch izt für mich, daß ich immer noch keinen Lehrer für meine beiden   Ernst Wilhelm Johann Theodor und Karl Adolf Philipp Simon von Willich  [Schließen]Knaben finden kann wie viele Freunde ich auch darum angesprochen habe – mißlich indes ist es mit den Empfelungen, wie das lezte Götemizer Beispiel zeiget –  Vgl. Brief 3433. [Schließen]Ob ich sicher gehe, wenn ihn erst selbst sehen  | 13 will? doch ists mir, als wenn ich ohne das nicht ruhig bin – Es ist mir nun ein junger Mann vorgeschlagen, der cj.(?) von der Akademie in einem Junkerhause es satt gekriegt hat und sich nach meiner Art Leuten sehnet – Er soll nicht tief gelehrt seyn; da passen wir beide zusammen – und ich denke auch für so kleine Knaben ist es dienlicher, wenn er nur gründliche Schulwissenschaft hat? – sonst soll er bei edlem Sinn viel Charakter-Stärke haben – ich habe Hofnung zu einem Besuch von ihm a la fortune – und werde Dir weiter melden, ob es geglükt. Ruhen werde ich nicht eher, als bis ich einen jungen Mann habe, der künftigen Sommer auch deine Zufriedenheit gewinnt.  Vgl. Brief 3433. [Schließen] Die Aussicht auf euren Besuch erfreut uns nicht wenig; daß uns nur nichts dazwischen komt und Sagard das Hauptquartier wird – ich denke,  Luise von Willich [Schließen] Louise als meine chargée d’affaire wird dafür wirken. Noch leidet sie Pein am Reiseendschluß, weil die  wohl Ingeborg Juliane Elisabeth Schildener [Schließen] Schildner sie gerne grade in den 6 Wochen bei sich haben will meint die Hülfsleistung dem Gelüste ihres Herzens zu euch vorziehen zu müssen – ich denke aber, sie balancirt nur zwischen Freunden in Greifswald und Freunden in Berlin – Aufs reine ist sie nicht darüber und ihr Herzklammern ist interessant anzusehen – die Gelegenheit mit Reimer scheint den Ausschlag geben zu sollen und mein Vorschlag, über diesen Block in(?) (Gelegenheit) wegzuhüpfen, hat nicht den Beifall.

 Vgl. Brief 3433. [Schließen]Was du mir, lieber Schleier, von Deinem Predigen schreibst, vergleiche ich gern mit dem, was ich selbst davon weiß und was ich von Berlinern höre – Die Berichte nehmlich daß du dein eignes auditorium, nur die gebildeten, hast und ich kann denken, daß manche sich eindrängen, um für gebildete zu gelten – die werden sich dann nothwendig bald wieder verlaufen müssen, da sie sich in sich selbst oder deine Klasse der Gebildeten irren – man sagt mir, du wärst dem Volk unverständlich – ich widerspreche dem aus  | 13v hiesigen Erfarungen – man bewundert dann daß du das auch könnest, stellt mir deine Kritik der Moral , Reden über die Religion pp entgegen und wundert sich, warum du denn nicht dorten auch die populäre Sprache wählest. Du kannst denken, daß dergleichen sehr interessante Unterhaltungen für mich sind, und daß ich, auch dadurch mit dir zusammen geführt, alle 8 Tage wenigstens und während in der 8 Tage, indem ich von einem Sonntage zum andern den nächsten vor mir habe, dich in Gedanken habe – Im allgemeinen bin ich mit meinen freien Vorträgen zufrieden izt, wie im Anfange; doch entschlüpft mir mehr, wenn ich gar nicht die sonst gewohnte Feder zur Hand gehabt habe – Ganz frei fühle ich mich auch noch nicht von der leidigen alten Beifallssucht – der Fehler liegt gar tief, um sich ganz davon loszureissen und ist sehr hinderlich – Sehr gerne sähe ichs, wenn Du mir gelegentlich eine Liste Deiner edelen(?) Werke und Piecen zuteilst, daß ich das mir wünschenswertheste auswäle, wenn du das nicht eben so gut kannst als ich – vom Plato habe ich nur 3 Bände – hast du von einem oder dem anderen verlegne Exemplar e, so bring sie mir mit.

Deiner Henriette sage zu Ihrer Beruhigung, daß die zulezt von mir angeliehenen 50 rthr bezahlt sind – doch habe ich keine Zinsen weder dafür, noch für die restirenden 300 Thr gewollt und wären wir so weit aufs reine

Daß ich nur 1 Auge zum disponiren habe, macht mir das Schreiben etwas schwer – eine einzige Himbeere, die ich unvorsichtig pflükte, kam mir so theuer zu stehen; doch wird es bald gehoben seyn – welch eine Kleinigkeit den Todt einer Königin mag veranlaßt haben! um nur das gute zu sehen, so hoffe ich: daß vieleicht ein neuer(?) König, in dem er weniger aufs Spiel zu setzen hat, männlicher und stärker sein Hausrecht verteidigen und nicht mehr sich wird zwingen lassen, Minister gegen seine Wünsche ab und ein zu sezzen. Eher wirds doch mit Euch Preussen nicht besser – Ich wiederhole, was mein ganzer Brief dir sagt – unser aller herzliche Liebe

Sag. den 2. Aug. 10.

CvW.

Zitierhinweis

3472: Von Heinrich Christoph von Willich. Sagard, Ende Juli bis Donnerstag, 2.8. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007301 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.