Liebster Schleiermacher,

Bis hier sind wir gestern gekommen, freilich nicht ohne kleine Unfälle, die sich freilich finden, wenn man des Reisens nicht mehr gewohnt ist; aber was das übelste ist, mit einem kranken Kinde. Unsre Cäcilie, deren Genesung wir vor der Reise erwarteten, macht uns in der That Unruhe und es scheint, als hätten wir noch in Berlin bleiben und ihre völlige Genesung abwarten sollen. Wir wollen indeß hoffen, es wird beßer werden, denn die vielen guten Wünsche unsrer Freunde, die uns begleiten, können doch nicht unerfüllt bleiben.

Der Ueberbringer dieser Zeilen ist der Ihnen schon bekante Grell, der jezt als Lehrer beim Friedrich Wilhelm Gymnasium angestellt ist. Es ist ein sehr redlicher Mann und nicht ohne Kentniße; davon habe ich mich überzeugt, seit ich ihn kenne. Er wünscht Ihre nähere Bekanntschaft; laßen Sie Sich ihn von mir empfolen sein und fördern Sie, wo es sein kann, seine Absichten, mit denen er eine wirlich gute Gesinnung verbindet. Die Gründe, aus denen er nicht wünscht im Schulstande zu bleiben, wird er Ihnen selbst sagen, wenn Sie Zeit haben, ihn anzuhören. Er hat mehr den Wunsch,  | 52v Prediger zu werden. Er ist aber noch auf den Gedanken gekommen, ob es nicht möglich wäre, als Sekretair bei der Sektion zu arbeiten. Daß er dazu brauchbar ist, bezweifele ich nicht; haben Sie doch die Güte, darüber mit Nikolovius zu sprechen und ihm diesen jungen Mann zu empfehlen, ich glaube versichern zu können, daß er es verdient. Das weitere wird sich ja dann finden.

Wir wißen noch nicht, ob wir morgen weiterreisen; doch denke ich es. Die Kleine hat sonst sehr gut geschlafen, aber sie bricht zum öftern, will nichts genießen und ist verstopft. Der Himmel wird ja alles wohl machen.

Leben Sie recht wohl, mein theurer, geliebter Freund. Gott lohne Ihnen alles Gute, was ich Ihnen verdanke. Wir grüßen Sie und Reimers und alle unsre Freunde. Behalten Sie immer lieb

Ihren Freund

Gaß.

Neuendorff den 29 Jun. 10.

Zitierhinweis

3455: Von Joachim Christian Gaß. Neuendorf, Freitag, 29. 6. 1810 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007284 (Stand: 26.7.2022)

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