Halle den 25 Junio 1810

Erstlich muss ich deine Frau danken, für den freundlichen Brief, und dass sie sich die Mühe gab uns Nachrichten mitzutheilen, die du für wichtig hieltest. Ich bedaure nichts mehr, als dass die alberne Wendung die die Sachen bei euch genommen hat, mich verhindert hat diesen Frühling nach Berlin zu kommen. Ich hätte auf die wohlfeilste Weise hinkommen können, so aber wollte ich nicht, um mich nicht selbst zu compromittiren, und jezt muss ich es wohl doppelt bedauern, da es immer ungewisser wird, ob ich je in Berlin angestellt werde. Deine herrliche Frau, die mir alle Freunde nicht genug loben können, bitten wir beide herzlich zu grüssen: Und wir hoffen, dass wenn du nicht Zeit hast, ich öfters das Glück haben werde, von ihr einen Brief zu erhalten. Ich würde mich auch diesmahl an Sie gerichtet haben, wenn nicht der Ton, der in diesem Brief herrschen muss, der Lage der Sachen nach, in einen Brief an einer Frau, meinem Gefühle nach, unschicklich sein würde. Für die Zukunft freue ich mich ordentlich darauf mit deiner Frau in Briefwechsel zu treten.

Als der Brief deiner Frau ankam kehrte ich eben von einer Harzreise zurück. Ich war mit meine Zuhörer – Blanc, Haxthausen , die Söhne von Reil und Bückling, die das Bergwerksfach gewählt haben, einen herrlichen  August Albrecht Meckel [Schließen]Bruder von Meckel , und einen 6ten auf dem Harz vierzehn Tagelang, und die geognostischen Untersuchungen gelangen diesmahl unendlich besser.  Friedrich Hausmann war ein bekannter Mineraloge und Geologe, dessen Forschungen sich vor allem dem norddeutschen Gebirge, insbesondere dem Oberharz zuwandten. Die „genauen Beobachtungen“, auf die sich Steffens hier bezieht, könnten die „ Norddeutschen Beiträge zur Berg- und Hüttenkunde “ (Braunschweig 1806-1810) oder der frisch erschienene (allerdings kurze) Aufsatz „ Über den Strontianit vom Iberge bei Grund im Harz “ (in: „Der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin Magazin für die neuesten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde“, 4 Jg. (1810), Nr. 2, S. 158–160) sein. Steffens erwähnt mehrfach anerkennend in seinen Schriften die Arbeiten Hausmanns, so z.B. in seinen geognostisch-geologischen Aufsätzen (1810), S. 153.  [Schließen]Die genauen Beobachtungen von Hausmann dienten uns als Leitfaden, und es gelang uns eine Menge schöne und bedeutende Verhæltnisse zu entdecken, auch waren die meisten schon tüchtige Mineralogen – auch Blanc – und, spornten mich durch ihren Eifer und Unverdrossenheit an. Die Reise hat mir daher ausserordentliches Vergnügen gemacht. Als ich zurückkam erfuhr ich, dass mein Junge in meiner Abwesenheit gefährlich krank gewesen war. Du kannst dir meine Schreck vorstellen. Reil versichert, dass schon ein Anfang von Brustentzündung da war – ein Schritt weiter, und er wære todt gewesen. Glücklicherweise ahndete  Johanna Steffens [Schließen] Hanne nichts davon, eher als alles vorbei war, und jezt ist er vollkommen gesund. Eine starke Er | 53vkältung hatte ihm die Krankheit zugezogen. Und der fatale winterliche Sommer hatte sie so gefährlich gemacht.

 In Henrich Steffens' Autobiographie findet sich folgendes Zitat, das – so erinnert jedenfalls Steffens viele Jahre später – angeblich aus einem Brief Schleiermachers stammt und ein Gerücht Goethe betreffend zum Thema hat: „Du bist, wie man mir sagt, von Goethe öffentlich angegriffen. Du mußt von liebender Theilnahme aufgeregt, ihm öffentlich gegenübertreten. Wie viel Du ihm auch verdankst, wie hoch Du ihn auch verehrest, Du darfst ihn nicht schonen.“ („Was ich erlebte“ (1840-1843), Bd. 6, S. 150). Allerdings ist aufgrund dieses Briefs anzunehmen, dass Schleiermacher dieses Gerücht seiner Frau zur Mitteilung auftrug und nicht selbst an Steffens schrieb. Es handelt sich um Goethes Farbenlehre (die „Goethische Schrift“), in der mutmaßlich Steffens Farbenlehre „mein kleiner Aufsatz“ angegriffen würde. Der entsprechende Satz findet sich im zweiten Band der Goethischen Farbenlehre (vgl. Johann Wolfgang von Goethe: „Zur Farbenlehre“, Bd. 2 (1810), S. 701): „Die Farbenlehre scheint überhaupt jeßt an die Tagesordnung zu kommen. Außer dem was Runge in Hamburg als Maler bereits gegeben, verspricht Klotz in München gleichfalls von der Kunstseite her einen ansehnlichen Beytrag. Placidus Heinrich zu Regensburg läßt ein ausführliches Werk erwarten, und mit einem schönen Aufsatz über die Bedeutung der Farben in der Natur hat uns Steffens beschenkt. Diesem möchten wir vorzüglich die gute Sache empfehlen, da er in die Farbenwelt von der chemischen Seite hereintritt und also mit freyem unbefangenem Muth sein Verdienst hier bethätigen kann. Nichts von allem soll uns unbeachtet bleiben: wir bemerken, was für und gegen uns, was mit und wider uns erscheint, wer den antiquirten Irrthum zu wiederholen trachtet, oder wer das alte und vorhandene Wahre erneut und belebt, und wohl gar unerwartete Ansichten durch Genie oder Zufall eröffnet, um eine Lehre zu fördern, deren abgeschlossener Kreis sich vielleicht vor vielen andern ausfüllen und vollenden läßt.“ Goethe bezieht sich auf Runges Untersuchung „Farbenkugel oder Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zu einander und ihrer vollständigen Affinität“ (1810) und hatte möglicherweise Klotz' Skizze, der erst 1816 erschienenen Farbenlehre vor Augen: ( „Erklärende Ankündigung einer Farbenlehre und des daraus entstandenen Farbensystems“ , 1810). Okens Auseinandersetzung mit Newton findet sich in folgendem Aufsatz: „Newtons erster Beweis für die verschiedene Brechbarkeit der Lichtstrahlen, wodurch die Verschiedenheit der Farben erzeugt werden soll, widerlegt von Oken“, in: „Journal für die Chemie, Physik und Mineralogie“, Bd. 8 (1809), S. 269–276. [Schließen]Der zweite Schrecken hatte mir der Brief Deiner Frau verursacht. Gegen einen alten Mann, den ich, unter allen jezt lebenden so vorzüglich schäze, den ich zu achten gewohnt war seit meiner frühen Kindheit, der auf meine Bildung, auf die ganze Richtung meines Geistes einen so entschiedenen Einfluß gehabt hat, gegen den herrlichsten geistigen Heros unserer Tage sollte ich auftreten. Wahrlich, was mich dazu bringen könnte, müsste ein harter, furchtbarer Angriff sein. Auch müsste es so sein, wenn du es nothwendig fandst. Ich kann dir den wunderbaren Eindruck, den diese Nachricht auf mich machte nicht schildern. Zwar sonderbar schien es mir, dass während meiner Abwesenheit von Cotta eine Anzeige der Goethischen Schrift, die er selbst aufgesezt hate, zur Ausbreitung mitgetheilt war, zugleich mit einer Vertheidigung der Wahlverwandtschaften – Zur Ausbreitung einer Schrift in der ich hart angegriffen war, sollte ich selbst beitragen – und dass muthet mir der Verleger zu. Ich hatte die Schrift nicht gesehen, und brachte eine fatale, schlaflose Nacht zu, wenig geeignet mich von meiner geognostischen Anstrengung zu erholen. Den Tag darauf eilte ich die Schrift zu erhalten und las schnell die lezten Bogen durch, denn in diesen musste ich angegriffen sein, weil mein kleiner Aufsaz ja erst seit ein 2–3 Monathe gedruckt ist. Auch werde ich erwæhnt, nehmlich p. 701 des zweiten Theils. Nachdem Runge , Klots , Placidus Heinrich , die sich theils mit den Farben beschæftigt haben, theils es zu thun versprechen nur erwähnt sind, heisst es – „und mit einen schönen Aufsaz über die Bedeutung der Farben in der Natur hat uns Steffens beschenkt. Diesem möchten wir vorzüglich die gute Sache empfehlen, da er von der chemischen Seite in die Farbenwelt hineintritt und also mit freiem, unbefangenem Muth sein Verdienst hier bethätigen kann“. Vergebens suche ich eine andere Stelle, die nur eine entfernte Beziehung auf mich haben könnte. Wie ist nun das verfluchte Geschwäz entstanden? Ich vermuthe so: Goethe ist mit Oken’s Aufsaz über das Licht, und Angriff auf Newton höchst unzufrieden, und er beschuldigt ihn vieles von ihm gehört, und – ohne ihm zu nennen – schlecht benuzt zu haben. Dieses weiss ich – sondernbar genug  | 54 – von HumboldtGoethe hat daher auch Oken gar nicht genannt, und eine Stelle, die vor der erwæhnten – 700–701 – steht, geht offenbar auf ihm. Hat nun ein Klætscher – wissentlich oder unwissend – mich mit Oken verwechselt? Haben es die respectiven „Autoritäten“ mit Freude aufgenommen – Mir ist es wahrscheinlich – Armer Freund! in welcher Klatschboutike bist du gerathen – Welch ein albernes, erbärmliches, veræchtliches Volk ist es, das entweder hasst und fürchtet, oder sich nach Ost, West, Nord und Süd umdrehen muss, um zu erfahren ob es verachten oder schäzen soll? Ich soll endlich einmahl gegen meine Gegner auftreten! Wo ist denn das Volk? Ich kenne es nicht. Gegen die albernen Berliner Klætschereyen willst du doch nicht, dass ich auftreten soll, gegen anonyme, handschriftliche Recensionen, die ich nie gelesen habe. Soll ich in Hamburger Zeitungen die Herren bitten sich ergebenst vors erste zu melden? Mir wære es lieb und eben recht, wenn ein ganzes Rudel eurer kläglichen Autoritäten hervortrat, vielleicht wære es möglich, dass sie in Verbindung etwas hervorbrächten, worauf es der Mühe werth wære zu antworten, was zu einen Aufsaz Anlass gab, der die Wissenschaft fördern könnte – Zu gemeinen Zänkereien beleidigter Autoreitelkeit; zur gewöhnlichen Polemik soll mir das Volk nicht bringen. Ich habe erfahren, dass Runge und ich im Goettinger Gelehrten Anzeigen angegriffen sind, von ein Newtonianer. Gelesen habe ich es noch nicht. Aber kaum werde ich jezt dagegen auftreten. Ich muss erfahren, was man gegen Goethe vornimmt, und wenn der Streit einen grössern Character annimmt werde ich wohl Theil daran nehmen – wahrscheinlich in Jenaischen LiteraturZeitung mit meinen Nahmen versteht sich.

Was für eine Wendung nun die Sachen in Berlin nehmen werden bleibt wohl ungewiss. Doch glaube ich, dass du Grund genug hast auf das Alberne, innerlich Hohle und Kernfaule der Cabalen aufmerksam zu machen, und ich glaube doch nicht, dass es bei euch so kläglich steht, dass „Autoritäten“, die zu solchen Mitteln zu greifen genöthigt sind noch ferner gefährlich sein können. Ich bin, wie es ein Mann sein muß, auf alle Fälle gerüstet, und es sollte wunderlich zugehen, wenn das erbärmliche Volk mich aus meiner guten Laune brächte. | 54v

Ihr seid noch bedenklich krank, wie es scheint, und zu dem Herzklopfen (in den Schlachten) und das Magendrücken (durch die Commissairs) ist noch ein Drücken in der Herzgrube, ein bitterer Geschmack im Munde, ein Flimmern für die Augen und ein bedenklicher Schwindel getreten. So muss man Schonung haben. Sonst seid ihr vernünftige Leute und wenn ihr völlig gesund seid lässt sich vielleicht noch ein vernünftiges Wort mit Euch sprechen.

Nimm mir’s nicht übel, lieber Schleiermacher dass ich so schreibe. Gewiss bist du meiner Meinung – und weiss wie ich mit meinen wohlgemeinten Streben, mit meinem Fleiss, und meiner Begeisterung, mit meiner Gesinnung und meiner Liebe, in meinem Vaterlande, in München , hier und nun in Berlin – ohne, dass ich jemand angegriffen habe, ohne dass ich etwas anderes als meinen eignen Weg stille verfolgt habe, immer von hinterlistige Bestien im Dunkeln bin gehezt und gehudelt, verläumdet und nichtswürdig behandelt worden. – Die Berliner Sache hat mich am meisten geærgert – Ich stehe allein, da ist eine gelehrte Academie, berühmte Empiriker, Männer die mit die Franzosen correspondiren, warum tritt das Volk nicht hervor – ich habe sie ja Jahrelang erwartet. – Lieb ist es mir indessen, wenn ich je hinkommen sollte, dass der Kampf vorher ausgestritten wird. Käme ich hin, so hätte ich schon gewonnen durch mein blosses Hinkommen – Sollte aber einer in Berlin wirklich oeffentlich hervortreten, so lass mirs ja bald wissen – wer weiss, vielleicht käme doch etwas tüchtiges [zum] Vorschein – Nun desto besser.

Dass du dich wohl befindest ist mir sehr lieb. Dein Wirkungskreis muss dir angenehm sein und du hast mit einer solche Clique, die mit Retorte, Kolben, beissende Säuren als „Chemiker und Giftmischer“ – ausserdem mit Batterien allerlei Art und mathematische Beschwörungsformeln bewafnet sind, Gottlob nicht zu kämpfen. Meine Frau grüsst – und wenn Du Zeit hast schreibst Du ja wohl

HSteffens

Meine Frau fürchtet, dass du über diesen Brief böse würdest. Werde das nicht, lieber Freund. So ungeschickt ist er nicht, dass eine Zeile darin wære, die es nur ahnden liess, dass ich vergässe, was ich deiner Freundschaft, deinen Bemühungen schuldig bin. Er schildert aber meine Laune, und warum sollte ich die für dich verbergen?

Zitierhinweis

3454: Von Henrich Steffens. Halle, Montag, 25. 6. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007283 (Stand: 26.7.2022)

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