Vgl. Brief.  [Schließen]Ihr Absagebrief Verehrtester Freund war mir ein recht unerwarteter Schlag. Ich habe wirklich das beste gehofft von Ihren ersten Aeußerungen und mich schon recht in unser Zusammensein und Arbeiten hineingelebt. Aber ehe ich noch die unterstrichene Verneinung gesehen hatte ahndete ich schon aus der Kürze des Briefes seinen Inhalt. Es ist ein wahres Unglük für unsere künftige Universität daß Sie Sich so bestimmt haben, ein in jeder Beziehung unersezlicher Schade und für mich – doch was helfen die leeren Klagen! Ihr Entschluß ist so bestimmt und so ganz in Rüksichten begründet auf welche wir hier gar keinen Einfluß haben können daß das Unglük zu den unabänderlichen gehört. Nun ist aber das zweite übrig: da Sie nicht kommen wollen so rathen Sie wenigstens und erlauben Sie mir das Prädicat Freund was Sie mir beigelegt haben durch einige vertrauliche Aeußerungen und Fragen in Anspruch zu nehmen. Mein Hauptgedanke ist daß unsere theologische  | 152v Facultät in Ermangelung eines größeren Reichthums der ihr für den Anfang wenigstens gewiß versagt ist mit einer solchen Trias von Lehrern beginnen müsse durch welche die drei Hauptfächer Exegese Kirchengeschichte Dogmatik so viel es sich thun läßt doppelt besezt sind  über der Zeilewären . Ich meines Theils werde mich der Exegese und Dogmatik widmen, in der KirchenGeschichte würde es mir in den ersten Jahren unmöglich sein Studien zu machen die mich irgend befriedigen könnten. Gedacht habe ich nun an Schleusner und Münscher oder an De Wette und Marheineke. Wissen Sie besser zu rathen? oder wohin würden Sie Sich unter diesen am liebsten wenden? Ich kenne die Männer alle nur aus ihren Büchern, stehe mit keinem von ihnen in irgend einer Verbindung außer daß Schleusner mich einmal in Halle besucht und Marheineke ein Paar Mal an mich geschrieben hat; von ihren Lehrgaben weiß ich gar nichts denn es ist mir früherhin (wie ich denn überhaupt in jedem wissenschaftlichen Sinne vorzüglich aber was die Theologie betrift so sehr eine Spätgeburt bin) nie eingefallen mich um dergleichen zu bekümmern. Schleusner altert schon; und was kann er noch außer dem Gebiet der philologischen Theologie noch leisten? Die leztere Frage gilt wol auch von De Wette, Marheineke wird gewiß wie ein geistvoller Mann wirken aber glauben Sie wol daß er  | 153 bald zu völliger Klarheit und Gediegenheit kommen wird? Thun Sie doch mir und der Sache die Wohlthat mir recht bald und recht offen (ich betheure Ihnen nicht erst daß Sie vor jedem Mißbrauch sicher sind sondern rechne darauf daß Sie mir darin vertrauen) Ihre Meinung zu sagen oder Ihre anderweitigen Vorschläge mitzutheilen. Ich habe wol auch manchmal meine Augen auf Schwaben gerichtet; allein Süßkind steht uns wol zu hoch und zu fest dort als daß wir ihn sollten abreichen können, und auf  über der Zeile von   Johann Friedrich (1759-1821) und Carl Christian (1772-1843) von Flatt [Schließen]den beiden noch vorhandenen Flatts weiß ich bei meiner geringen theologischen Literatur zu wenig. Sie können mir gewiß mehr sagen. Ammon gestehe ich Ihnen scheint mir weder von Seiten der Gesinnung noch der Behandlung freundlich genug um ihn eigentlich zu wünschen. Doch ich will nicht erst noch ein längeres Register durchlaufen sondern lieber erst abwarten worauf Sie mein Augenmerk hinlenken werden.

Sie sprechen so bescheiden von Ihrer  Johann Ernst Christian Schmidt: „Theologische Encyclopaedie für seine Vorlesungen“ (1811), vgl. Brief. [Schließen] Encyclopädie daß ich nun gar nichts von der meinigen sagen mag. Ich habe dabei freilich auch unsere künftigen Studirenden im Auge, Ihnen gleich anfangs eine allgemeine Uebersicht des Studiums zu geben schien mir ganz unentbehrlich; und weil mir kein Compendium bekannt war woran ich mich ordentlich halten könnte habe ich mich selbst daran gegeben. Ich sehne mich aber sehr danach der Sache entübrigt zu sein. Ein  | 153v Compendium ist für mich eine noch ganz unversuchte Gattung und erscheint mir ungeheuer schwer so daß ich mich auch schon überzeuge der Zeitaufwand würde in gar keinem Verhältniß stehn mit dem Gewinn den die Sache davon hätte. Das gilt fast von meiner ganzen Schriftstellerei: ich bin kein Erfinder und sage den Leuten höchstens etwas herzhafter was sie sich schon selbst gesagt haben.  Vgl. Brief. [Schließen] Mit dem Timotheus scheint nun auch dies nicht einmal der Fall zu sein. Indeß gestehe ich Ihnen gern, noch finde ich mich nicht veranlaßt von meiner Meinung abzugehen.  Heinrich Ludwig Planck: „Bemerkungen über den ersten Paulinischen Brief an den Timotheus in Beziehung auf das kritische Sendschreiben von Hrn. Prof. Fr. Schleiermacher“ (1808) [Schließen] Dem jüngeren Plank fehlt es bei allen schönen Kenntnissen doch durchaus an dem kritischen Takt um das Gewicht gewisser Gründe zu fühlen, wie ich aus den Aushülfen schließen muß bei denen er sich beruhigt, und es ist eine gar jugendliche Rhetorik am Ende der sonst herzlich trokenen Schrift daß er die Frage aufwirft ob es wol auch mit der ganzen Sache mir Ernst möchte gewesen sein . Eine ganz kekke Zuversicht habe ich auf den Brief an den Titus auch nicht aber ich habe bis jezt noch nirgend darin so bestimmte einzelne Anstöße gefunden – Schade bleibt es doch für mich um alles was ich noch hätte lernen können wenn Sie gekommen wären. Lassen Sie mich wenigstens hoffen daß mein Zusammenhang mit Ihnen nicht ganz wieder abgebrochen wird.

Von ganzem Herzen der Ihrige

Berlin d 23t Jun. 10.

Schleiermacher

Zitierhinweis

3452: An Johann Ernst Christian Schmidt. Berlin, Sonnabend, 23. 6. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007281 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.