Poseriz den 22ten Juny –10

 Sophie Schlichtkrull [Schließen] Sophie hat freilich nur vorigen Postag geschrieben aber ich muß doch den Blättern von Ehrenfried ein par Worte bei legen, ich muß Dir doch danken lieber Schleiermacher,  Vgl. Brief 3431. [Schließen]für Deinen Brief.   Vgl. Brief 3433. [Schließen] Ich war in Sagard wie ein Brief an Wilich an kam worauf ich Deine Hand erkannte, ich nahm ihn entgegen, und ich hatte ein sonderbares Gefühl dabei, denn ich hatte wohl in länger als einem halben Jahr Deine Züge nicht gesehen. Willich war ins Feld gegangen, und nach dem ich den Brief untersucht hatte ohne dem Siegel zu schaden, machte ich  Marianne von Willich [Schließen] Marianen Hoffnung ein Brief von  Henriette Schleiermacher [Schließen] Jettchen sei für sie darin, dann ging ich wieder hinauf und schrieb da es grade Postag war, nicht lange wärte es, da brachte mir  vielleicht Julie Hochwächter [Schließen] Julie Deinen Brief, mir war ganz blöde zu Muth, und auch wieder noch anders, ich legte ihn unentfaltet neben mir, und schrieb weiter. Bald kam Mariane, „nun was schreiben sie?“ ich reichte ihr den Brief, und bat sie: ihn nur leise für sich zu lesen. Wie ich mit meinen Briefen fertig war, und sie mit Julie (es war ein schöner Frühlingstag) zum dicken Hesper gebracht hatte zur weiterbeförderung – er wohnt in Mutters Hause – wie ich nun das schöne junge Laub an unsern Linden vor meiner Mutter Thüre, recht an | 56vgesehen hatte und daran dachte, wie mir Sontags Morgens gewöhnlich wenn es zur Kirche leutete, die lieben Briefe ins Fenster gereicht wurden, da endlich öffnete ich Dein Brief. Ich dankte Dir herzlich dafür –

Freilich hatte ich es aufgegeben, ein freundliches Wort von Dir zu bekommen – auch hatte ich den Schmerz darum überstanden lieber Schleier, verlohren habe ich natürlich viel dadurch – aber ich habe es nun auch schon gelernt verlihren zu können ohne Murren – Es ist mir lieb daß Du mir sagst, Ihr habt meiner mit Theilnahme gedacht in jener Zeit, da mein geliebter  Ehrenfried von Willich [Schließen] Bruder starb – ich gestehe  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich das nicht gefühlt habe – wohl aber habe ich die innige Gemeinschaft mit ihm gefühlt! meinen Schmerz, und das höhe Glück was daraus für mich hervorgeht!

Daß ich Eure Theilnahme nicht fühlte, wie auch nicht Deine Liebe lies: in [Schließen] ist Jettchens seltnen Nachrichten, das lieber Schleier must Du mir nicht verdenken – für mich liegt etwas fremdes darin,  korr. v. Hg. aus: dasdaß man grade dann, wenn man am glüklichsten ist, sich nicht am liebsten seinen Freunden mit theilt – sich grade dann nicht am liebsten  Röm 12,15 [Schließen] freut mit den fröhlichen, und weinet mit den Weinenden ! –  | 57 bin ich glüklich, o dann mögte ich die ganze Welt mit Liebe umfaßen! – und nur zu bewährt hat sich bis jezt  korr. v. Hg. aus: daßdas Sprichwort an mir erwiesen,  Mt 12,34 bzw. Lk 6,45 [Schließen] wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über – aber – ich bin klüger geworden – nicht mehr in den Wind rufe ich was ich immer tiefer hätte in mir verschließen sollen. Dies lieber Schleier führt mich zu der herzlichen Bitte, meine Briefe zu verbrennen.  Vgl. Brief . [Schließen]Ich habe neulich wieder eine unangenehme Erfahrung gemacht, welches ein Gegenstük abgeben kann zu dem was ich erfur wie ich Dir geschrieben hatte als ich Dich in Rambin Predigen hörte Kalvern(?) nemlich hatte an der Kathen einen Brief von mir gegeben, den ich an der Herz geschrieben hatte, fieleicht hatte ich noch nie so aus meinem innern Gemüth gesprochen wie hirin, ich hatte mir, mich selbst klar vor Augen gerückt wie ich es selten kann – er hatte den Brief in ein Buch gefunden was er der Herz geliehen hatte – fieleicht ist er so discret gewesen ihn nicht zu lesen, fieleicht nicht.

Ehrenfrieds Blätter sende ich hierbei, und | 57v danke Jettchen daß sie sie mir so lange ließ ungerne trenne ich mich davon, aber sie sind ihr Eigenthum.

Mein lieber Schleier, kalt glaube ich kann ich nimmer werden gegen Euch – oft zwar ist mirs so, als fühlte ich nicht mehr die Anhänglichkeit – oft aber ist mir so bewegt zu Muthe wenn ich an Euch denke – und ich sehne mich dann, Euch zu sehen, darum glaube ich, es liegt wohl nur an Euch – Aber zum schreiben habe ich fast nie mer Lust  ohne Klammern mit Einfügungszeichen am linken Rand (Ich meine nach Berlin – sonst habe ich etwas schönes in diesem Ort gewonnen!) – und darin will ich mir keinen Zwang auf legen.  Daß indeß meine lezten Briefe wo ich an  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny und Jettchen schrieb an gekommen sind, weiß ich durch die Besorgung des Schleiers, wofür ich sehr danke, das Geld werde ich an Kathen geben, gesagt habe ich es ihm schon. Unsre  Charlotte Hasselbach [Schließen] Lotte ist noch nicht entbunden, sie ist sehr liebenswerth geworden!! Das Schiksal hat es gut mit ihr gemeint – sie ist geprüft – !  Offenbar war der neugeborene Junge von Steffens krank, vgl. Brief 3454 und es gab einen Orkan in Schmiedeberg, vgl. Brief 3446. [Schließen] Die Nachricht von Steffens Kind hat Euch gewiß recht bewegt – und recht geängstigt hat mich die Nachricht aus Schmiedeberg – mein Gott, das ist ja schreklich – sag lieber Schleier haben die Deinigen auch sehr gelitten die armen armen Menschen!

Wie gerne mögte ich das nähere, was dem

 Die Überlieferung bricht hier ab. [Schließen]  Schadhafte Stelle [...]

Zitierhinweis

3451: Von Luise von Willich. Poseritz, Freitag, 22. 6. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007280 (Stand: 26.7.2022)

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