Leipzig den 22t. Jun 10.

Ich eile, lieber Schleiermacher Ihnen einiges über meine Erkundigungen in Wittenberg und Leipzig zu schreiben. In Wittenberg war der einzige Mann den ich sprach Lobek , ein Mann den ich sehr lieb gewann und auch von Seiten des Geistes zu schätzen lernte. Bei ihm fragte ich auf eine Art daß von meinem Zwek nichts erhellen konnte nach Schleiermacher und erfuhr was man mir hier bestätigte, daß er wirklich ein Mann sei deßen Lehrvortrag sehr vorzüglich sei, daß er einer der besten Philologen unter den Theologen sei, kurz alles empfehlende. Über seine dortige Lage soviel: er und der Herr Superintendent Nitzsch sind die best besoldeten dort; da aber der größte Theil des Gehaltes naturalia sind so läßt sich dies nicht recht auf unsere Art stützen. Itzt bei den wohlfeilen Preisen sagte er möge seine Einnahme auf 1200 R sich belaufen; zu anderen Zeiten aber bedeutend höher. In preußisch Curant gehört also schon eine ziemliche Summe dazu um dies lockend zu überbieten. Auf der einen Seite ist aber zu erwägen, daß er in Wittenberg so gut wie nichts von Collegien einnimmt, in Berlin aber sich von dieser Seite aber gewiß weit besser stehn würde. – Dagegen steht wieder von der anderen Seite daß er an eignem Vermögen sehr wohlhabend ist, was man mir dort und hier sagte.

Als ich hier mit Gedike unten noch von dem Bedürfnis eines Theologen für Berlin sprach, sagte mir dieser, wenn wir grade nicht einen Mann von gewißen Jahren brauchten ob nicht auf den Schott zu reflektiren wäre denn kürzlich | 25v  Vielleicht ist der Pädagoge Karl August Gottlieb Dreist gemeint, ein Schleiermacher-Schüler aus Halle, der ab 1809 bei Pestalozzi studierte. Dreist war jedoch nach gegenwärtigem Wissen zuvor nicht in Leipzig oder Umgebung wohnhaft. Möglich wäre auch - zumal der betreffende Einschub grammatikalisch nicht vollständig ist - dass mit „dreist“ keine Person gemeint ist sondern es für „ohne Umschweife“ steht. [Schließen]dieser habe hier mit großem Beifall Dreist sei weggegangen mit allgemeinem Leidwesen p: dieser wäre gewiß leicht zu haben, denn nach dem schlechten Sächsischen Besoldungssystem stand er hier mit 100 R und itzt in Wittenberg mit 300. Diesem Lob von Gedike muß ich aber das Urtheil des Hermann entgegensetzen, der ihn zwar von mehreren Seiten auch lobte dabei aber hinzusetzte daß es ihm doch an ordentlichem indicio fehle, daß er einen abominabeln deutschen und Lateinischen Stil schreibe, und daß sein Beifall sich hauptsächlich darauf gründe, daß er Carus Schüler sei, und daß er bei allem schlechten Stil doch einen ganz besonderen Fluß in beiden Sprachen, und besonders das habe was er die theologische Rhetorik nannte, das was er vorher mit kräftigen Worten gesagt, gleich mit schwächeren zu wiederholen.

Interessanter ist, was ich über Hermann selbst zu sagen habe. Dieser ist keinesweges so fest hier durch eigne Wahl oder äußere Bande, als man bei uns glaubt. Seine erste Antwort als ich ihn fragte, ob er wol wegginge und namentlich zu uns, war sogleich, warum nicht? Er sei sehr unzufrieden mit dem Ton der erstlich hier hersche, und noch mehr mit dem der zwischen hier und oben hersche; selbst von dem itzt alles vermögenden, den wir wozu er uns gratuliert nicht bekommen haben hat er mir einiges gesagt, was nach seiner Darstellung freilich – und er ist betheiligt – viel eingekopfte und unzusammenhängende Herrischkeit verräth, wobei der ächt liberale Sinn fehlet. Was die Leipziger so fessle sei nicht die Größe der Vortheile die sie hier hätten, sondern die Sicherheit der Fundirung derselben. Er selber habe alles in allem nur 800 Thaler. Er äußerte mir dabei sehr viel gute Meinung die er von Berlin hege, wie gern er in solchen Umgebungen lebte wie wir dort pp und gab mir das vollkommen zu was ich über das sicher und nicht sicher überhaupt und namentlich in Beziehung auf Lauten eines gewißen Rufes und Verdienstes sagte. Demnach sollte man also denken er müsse schon für 1500 kommen; und nur das Decorum  | 26 wird erfordern, daß wenn man ihn haben will, überhaupt etwas bieten kann man ihm 2000 biete: für diese aber möchte ich sagen kommt er gewiß; und was mehr ist er kommt Michaelis wenn man will. Seine einzigen Bedenklichkeiten waren, man möge vielleicht zu große Foderungen an einen philologischen Professor machen, da man z.B. Spalding und Heindorf habe und diese nicht nehme . Auch er sei nichts weniger als bereit gleich itzt die eigentlichen philologischen Disziplinen wie griechische undmische Alterthümer und Litteratur zu lesen; er habe sie hier nie gelesen und die Bücher fehlten ihm hier um sie auszuarbeiten. Ich versicherte ihm daß wenn er im ersten halben Jahre mit einem interpretirenden Collegio anfinge man gewiß zufrieden sein würde, und da er dann nichts anderes zu thun habe, so habe er Muße genug um auch Collegien jener Art auszuarbeiten, und es sei keinesweges die Meinung daß einer alles lesen solle, sondern daß man mehrere die sich darein theilen wünsche. Er hatte hierauf nichts zu erwidern und blieb, nach allem was wir sprachen vollkommen bereit. Ich trug ihm alles dies ganz unverhohlen als Idee vor, deren Realisirung bloß möglich wäre, weil man noch nicht im Stande sei alles auszuführen; vor der Hand seien es also bloß Ideen und Wünsche von Privatpersonen namentlich von mir.

Seidler wird schwer wegzubringen sein. Er ist als Tertius mit 400 R bezahlt und macht nächstens eine gute Heirath: an einen weniger bedeutenden Ort würde er also wol nicht so leicht zu ziehen sein. In alles Vortheilhafte von ihm namentlich als Docent stimmt er aber sehr ein. Dagegen empfielt er zwei andere jüngere Leute sehr, einen gewissen  Vielleicht Karl Ernst Christoph Schneider [Schließen] Schneider , der ganz besondere Fähigkeit zum Dociren habe, sehr guter Philolog sei, eine vorzügliche Klarheit des Vortrags p, und einen Näke von vorzüglichen Kenntnißen, aber wenig äußerem, etwas langsam und ernsthaft, habe seine Gabe zu dociren indeßen noch nicht eigentlich zeigen können, doch zweifelt er nicht daran daß er sie habe. Beide sind unbemittelt, Privat- oder Unterlehrer und würden eine Stelle an einer preußischen Anstalt, auch an kleinen Orten gewiß annehmen  | 26v und gewiß auch gut ausfüllen. Dies sind die Resultate meiner Erkundigungen. Ich füge noch ein paar Worte über Lobek hinzu. Dieser Mann steht sich ebenfalls erbärmlich hat 300 R als Rektor des Lycei zu Wittenberg wo er sehr wenig Aufmunterung hat, da man an diesem – dort einzigen – Gymnasio im Griechischen nicht weiter kommt als zu Neuem Testament und  Friedrich Gedike (Hg.): „Griechisches Lesebuch für die ersten Anfänger“ (1782) [Schließen] Gedikes Lesebuch . Bei der Universität ist er nun außerordentlicher ohne Besoldung und liest publice vor 4–5 Zuhörern, zu seiner Erholung irgend ein griechisches Stück. Natürlicherweise sucht er in bessere Verhältniße zu kommen, verdient es sehr, bei seiner Genügsamkeit aber und da er ledig ist, will er nur an Orte wo ein gewisses litterärisches Verkehr, etwas Bücher u.d.g. seien. Er hat einen Ruf an das Gymnasium zu Danzig und ist gewiß ihn anzunehmen wenn er noch einige Erkundigungen wird eingezogen haben, ob es dort an diesen Punkten nicht grade fehlt. Also an kleine Orte ginge er gewiß nicht, aber nach Königsberg oder Frankfurt wie er mir selbst sagte, gleich. Ich schreibe Ihnen dies alles ohne zu wißen was Sie damit machen können, trage Ihnen aber als Pflicht auf, diesen Brief Süvern mitzutheilen der mir zum Theil dieselben Sachen aufgegeben hat wie Sie.

Noch eine andere Pflicht die ich Ihnen auftrage ist, daß Sie mir dafür, daß ich so hübsch ausrichte, was Sie mir auftragen, sogleich nach Lesung dieses in die Myliussche Buchhandlung gehen, und fragen ob man einen Brief den ich gestern mit dem zurükkehrenden Fuhrmann geschrieben schon erhalten habe, im verneinten Falle, sagen Sie dort (an Madame Mylius oder Herrn Behrend) daß ich gesund und glüklich am Donnerstag Abends um 6 hier angekommen, daß meine Kinder (?) zwar immer noch ganz vorzüglich husten, dabei aber fieberlos und munter und lustig sind, und uns keine Beschwerden machen als die sich von selbst verstehn; daß ich heute Freitag hier geblieben bin und morgen früh über Gera nach Beireuth abreise . Grüßen Sie die Ihrigen, die Unsrigen und was Sie von Meinigen etwa sehen. Adieu.

Zitierhinweis

3450: Von Philipp Karl Buttmann (vormals Wilhelm Uhden zugeschrieben). Leipzig, Freitag, 22. 6. 1810, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007279 (Stand: 26.7.2022)

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