Hab. d 17. May 1810

Sehr viel dachte ich an Euch in diesen Tagen Ihr Lieben heute besonders freute ich mich Eures Glük’s welches Beiden gewiß noch groß und wichtig – denn Ihr findet es Eins in des Andren Liebe – und in der Kinder unschuldigem Triebe – nicht wahr! Gern hätte ich darüber schon manches sagen und schreiben mögen – aber leider – sind meine Umgebungen so traurig – und erfüllen mich gleichsam wieder meinen Willen so sehr – daß wirklich Geist und Cörper darunter leiden – wir hatten Heute einen wirklich götlichen May-Tag – alles junge Gehölz so grün die Teiche voll SilberWellen auf denen das FederVieh wechselsweise sich belustigt auf den gemeinden Anhöhen die Lämmer über welche  Bertha von Seidlitz [Schließen] Bertha so viel Freude hat, daß sie am liebsten unter sie spränge – wir aber schleichen ganz traurig und langsam hinter ihr her – die arme Sell ist sehr abgemattet – obschon es jezt noch mehr  | 1v Krampfartige Umstände sind – so glaube ich doch – wegen dem immerwährenden Husten, daß es eine langsame Auszehrung ist – dazu komt nun – daß die Vormünder hier waren – auf Johanny die Pächter weggehen müßen – und das Gut so lange durch einen kräftigen Mann besorgt wird – und von den Curatoris administrirt wird – bis das  Behörde, der die Vormundschaftsangelegenheiten unterlagen [Schließen]pupillen Collegium entscheidet – ob das Gut im Ganzen oder Theilweise verkauft wird – denn bei den jezigen Zeiten und schlechten hiesigen Umständen – kann auf eine neue Verpachtung kaum angetragen werden; auf jeden Fall verliert die Arme, ihren Auszug an victualien – worunter das Pferdefutter ein großer punct – noch dazu fallen 3000 Thaler nach der Ehebeen(?)dung wieder an die Kinder – so daß sie mit den Zinsen der übrigen 3000 – nur sehr sparsam versorgt ist – sich keine Pferde halten kan – und nothgedrungen nachher mit Sell zu gehen | 2

 Vgl. Brief 3429. [Schließen]Seit ich dieses schrieb – scheint mir der schwächliche Zustand meiner guten Kranken noch bedenklicher vor einigen Tagen hat sie sich endlich wieder in die Cur des Arztes begeben – da sie aus mehreren falschen Grundsäzen seit ihrer Trauung fast gar nicht oder alles nur halb gebraucht – und seit 4 Wochen sich blos auf Kräuter The beschränkt – Gestern kam Sell nach der revüe wieder – das Standtquartier komt auf ein Jahr nach Glaz – wie herzlich er ihr das vorher geschrieben – und wie wieder schön Er mit ihr thut – da sie wie ein Schatten aussieht – ich denke die immer steigende Wärme wird bald entscheiden! ich schikke diesen Brief heute mit auf die Post – und bitte recht sehr mir so bald als möglich zu schreiben – ob du  Vgl. Brief 3429. [Schließen]lieber Bruder die Unterstüzung worum ich dich ersucht mir leisten kanst – damit ich meine kleine  | 2v Einrichtung machen kann – Es fällt mir sehr schwer – Dir dadurch lästig zu werden mein Lieber – aber ich sehe nicht ein, wie ich im Chor Hause bey Erhöhung aller Abgaben, ohne, deine Güte bestehen solte – Gott – wenn ich nur in der Jugend allerley feine Arbeiten gelernt hätte – oder im SchwesternHaus die Schneiderey so könte ich mich mit lezterer jezt gut durchbringen – ich könte mir wie die gute Sell auch viel Würgebänder machen, daß ich ihren Antrag angenommen und mich aus dem AnstaltsWesen raus begeben – in welchem ich jederzeit Brodt gehabt hätte – aber wozu das!  Vgl. Brief  [Schließen]von Kleitsch, die aber nicht zur Gemeine gehören, auch mit ihren Dienstboten fast alle Monate wechseln, würden sie mich immer gern annehmen – aber es sind viel Knaben nur 1 Mädchen – auch kann ich mich zu dergleichen gar nicht mehr entschließen – Die Comtesse Posadowsky – die sehr nahe verwandt billigt es auch sehr daß ich nicht hingehe

 am linken Rand von Bl. 1
Sachanmerkung:

Litums] Ein von Charlotte Schleiermacher geprägter Neologismus und meint eine verdrießliche Angelegenheit.
 [Schließen]
Grüße dein liebes Weib herzlich – und verzeiht mir – wenn meine Briefe confuser als jemals sind – und voller Litums – aber es
 am linken Rand von Bl. 1v [Schließen]kann jezt nicht anders sein! – es kann seyn ich schreibe manches 2mahl  am linken Rand von Bl. 2
Sachanmerkung:

Kindern] Kinder der Henriette Schleiermacher aus erster Ehe

Nany] Anne (Nanny) Schleiermacher
 [Schließen]
laßt mich bald von Euch wißen, und von den Kindern – und ob und wie Ihr den 18ten gefeiert habt – – auch Nany grüßt sehr herzlich
 am linken Rand von Bl. 2v [Schließen]ist die Herz noch bei Euch? ich bat sie um ihre adresse nach Dresden . Lotte

Zitierhinweis

3434: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher (auch an Henriette Schleiermacher). Habendorf, Donnerstag, 17. 5. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007263 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.