Heidelberg, 4. April 1810.

Hochzuverehrender Herr Doktor!

Schon längst wünschte ich mit dem Manne, der mich als Jüngling für die Theologie begeisterte, schriftliche Bekanntschaft anzuknüpfen, da die persönliche bisher unmöglich war. Die Scheu, den ersten Schritt zu tun, überwindet jetzt ein anderer Wunsch. Ich habe mit Liebe bisher an einer  Johann Christian Wilhelm Augusti und Wilhelm Martin Leberecht de Wette: „Die Schriften des Alten Testaments“, Bd. 1–5 (1809–1811); die Bd. 1-3 erschienen 1809, Bd. 4 1810 und Bd. 5 erst 1811. [Schließen] Übersetzung des A.T. gearbeitet. Ich sah vorher, daß sie vom jetzigen theologischen Publikum nicht ganz beifällig aufgenommen werden würde, und faßte mich im voraus darauf: allein jetzt wünschte ich doch eine Stimme zu hören, die meinem Bestreben im ganzen (denn die einzelnen Fehler sehe ich selber recht gut ein) Gerechtigkeit widerfahren ließe, die mich versicherte, den rechten Ton der Übersetzung getroffen zu haben. Von allen Theologen in ganz Deutschland hat keiner Geschmack und Sinn für wahre Übersetzung. Nur der Übersetzer des Platon konnte über eine Bibelübersetzung urteilen. Sollten Sie mit einem literarischen Institut in Verbindung stehen, so ließ es sich vielleicht machen, daß Sie eine Anzeige unserer Übersetzung übernähmen. Eichstädt habe ich schon meinen Wunsch ausgedrückt. Es folgt hierbei ein Exemplar zur Ansicht, das ich geneigt von mir anzunehmen bitte.

Unser aller Wunsch, Sie bei uns angestellt zu sehen, wird zu nichte durch Errichtung der Berliner Universität , die gewiß bald viele übertreffen wird. Bei uns besteht manches Gute, anderes ist angefangen, aber unvollendet gelassen. Für die Theologie ist vieles zu wünschen übrig: für mein Fach besonders: ich muß einen Gehilfen haben, oder ich werde der Sache überdrüssig. In Norddeutschland blühen die Universitäten besser durch die bessern Schulen und den mehr vorbereitenden Geist des Studiums. Auch sind bei uns die Juristen zu überwiegend. – Daß Sie für unsere   „Heidelberger Jahrbücher“  [Schließen]Jahrbücher noch nichts geliefert haben, verzeihen wir Ihnen nicht. Dem theologischen Heft fehlen Mitarbeiter wie Sie sind. Das Geschwätz ist manchmal zu seicht und breit darin. Lassen Sie bald von sich sehen!

Ich ergreife diese Gelegenheit, Ihnen meine innigste Hochachtung zu bezeugen und bin

Ihr gehorsamster Diener

W.M.L. De Wette.

Zitierhinweis

3418: Von Wilhelm Martin Leberecht de Wette. Heidelberg, Mittwoch, 4. 4. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007247 (Stand: 26.7.2022)

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