An Hr. Prof. Schleiermacher / in Berlin [Autorfußnote Bl. 1]

Synderuphoff bey Flensborg den 4t Aprill 1810.

Meinen freundlichen und herzlichen Gruß zuvor.

 Das mitgesandte Manuskript ist nicht gedruckt worden. [Schließen]Ihnen, geliebter und hochgeschätzter Schleiermacher, sende ich anliegende Fragmente mit der Bitte: selbige, wenn ihre Ausstellung etwa fruchtbringend seyn könnte, zum Druk zu befördern. Mein Gemüthe ist von der harmonischen Bewegung in den Verhältnissen der Gesellschaft schon lange tief ergriffen – und ich kann mich nicht überzeugen, daß in diesem Geiste entworfene Grundlinien, abgesehen von den meinigen, eitel sein sollten. Unser ZeitAlter soll, wie die Herausgeber von zwey Zeitschriften mir sagen, durchaus nichts von ideellen Staatsverfassungen hören wollen – da die neue ins Leben gerufenen, andere Früchte trügen, als die Blüthen versprachen. Ich will gerne glauben daß diese Männer in ihrer Sphäre Recht haben; aber ich glaube in der Idee auch Recht zu haben – und mögte daher sehnlichst, daß die Sache von neuem ernstlich und mit Umsicht verhandelt werde, haben Sie, als Eingeweihter in diese Mysterien, daher die Liebe für mich, diese Fragmente, im Pythagoräischen Sinn, entweder gleich als Vor- oder Nach-Reden, oder gelegentlich als Beurtheiler in der   „Jenaische Allgemeine Zeitung“ (JALZ)  [Schließen]Jenaer Zeitung p.p. unter den höchsten Maaßstab zu stellen – um die Idee selbst klarer, harmonischer und lebendiger darzustellen. – An der Sache liegt mir viel, an meiner(?) obgleich die Kinder meine erste Liebe sind, wenig. Was darin gestrichen ist, ist auf Veranlaßung eines Sach- und Weltkundigen Freundes in Hamburg geschehen. Sollte von dem Beywerk  | 1v noch mehr weggeschnitten werden müßen, so mögen Sie es unbedingt thun.

Ich habe die tiefere Spekulation hier pflichtmäßig vermieden, weil ich möglichst unbefangen zu den Verständigen unter den Gelehrten (welche es nicht bedürfen) und den Staats Männern (welche es nicht mögen) reden wolte – innig überzeugt, daß beide gemeinschaftlich für jeden Staat und für jeden Moment immer das Rechte wohl in Anwendung bringen werden.

Solte meine Darstellung indeßen noch zu unreif seyn, so daß  lies: mir [Schließen]mit würdige Kritik deßelben hier unnütz wäre: so ersuche ich Sie freundlich, mich in einigen Grundzügen darauf aufmerksam zu machen, und mir selbiges dann, durch Freund Stuhr, wieder zurük zu senden. – Nun noch wenige Worte über das Merkantilische. Wollen Sie diese wenigen Bogen besonders drukken laßen (wenn Sie das „Mag gedrukt werden“ darauf gesetzt haben) so habe ich nichts dawider, wenn ich deswegen keine Unkosten habe; oder wollen Sie es einem paßenden Journal einverleiben? Ich wünsche, wie gesagt, den Gegenstand zu einer wissenschaftlichen Verhandlung zu bringen, und wenn derselbe zu einem organischen Ganzen gediehe, so könnten wohl die Elemente einer vernünftigen Gesetzgebung bearbeitet  | 2 werden. Ist nicht eine jede Konstitution zugleich als Einleitung und Norm einer bestimmten Gesetzgebung zu betrachten? – und liegt nicht darin auch eine Mit-Ursache der Verwirrung und Mangelhaftigkeit der neuesten Gesetzbücher? Das Wesentliche kann auch hier nur Eins und harmonisch seyn: die Individualität muß bleiben, aber das Allgemein-Gültige soll herrschen. – Alle Ausnahmen gründen sich auf vorhergehende Voraussetzungen, wovon mancherley in Städten und Dörfern unter den Namen von „Beliebungen“ bekannt ist – und was ja auch so lange belieben und gelten muß, bis etwas Anderes und Beßeres „beliebt“ wird: aber das Gesetzbuch kennt keine andere Ausnahme, als diese einzige überhaupt. Jedes Kirchspiel ist die Wiege und Knospe einer idealischen Republik; und es liegt im Geiste der Mayestätt daß es schön aufblühe und herrliche Früchte trage: Alles soll seyn auf Erden wie im Himmel, mithin gleich dem Sonnensystem.

Leben Sie wohl und verzeihen Sie meine Bitte: sie gründet sich in der großen Achtung und Liebe die ich für Sie hege, und in der festen Überzeugung, daß Sie diesen Gegenstand in seiner größten Klarheit und Gediegenheit durchschauen.

Gedenken Sie meiner freundlich

Thaden.

Zitierhinweis

3417: Von Nicolaus von Thaden. Sünderuphof, Mittwoch, 4. 4. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007246 (Stand: 26.7.2022)

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