Berlin d 26t. Febr. 10. (Kanonierstraße No. 4.)
Wenn Sie mir Vorwürfe
machten daß ich Vgl. Brief
3372.
[Schließen]Ihren freundlichen Brief vom vorigen Jahre gar nicht beantwortet habe so hätten Sie Recht; wenn Sie
aber zweifeln könnten an der Freude die er mir gemacht hat
und an der Liebe mit der ich ihn aufgenommen so thäten Sie
mir sehr Unrecht. Aber
Sie können das nicht denn Sie sind ja selbst Lehrer, und
wissen wol schon aus eigner Erfahrung wie sehr zu dem
erfreulichsten des Lebens unverdächtige Zeugnisse
gehören davon daß wir zur Entwiklung des Geistes
beigetragen, wenn wir uns auch gestehen wie wenig eigenes
Verdienst oft dabei ist. Und so werden Sie auch bald
erfahren mit welcher Theilnahme der Lehrer Schülern dieser
Art nachsieht in die Laufbahn die
Sie
über den ursprünglichen Text geschriebensie
betreten. Daher sage ich Ihnen auch nicht erst wie herzlich
ich mich Ihres Glükkes gefreut so schnell in einen schönen
Wirkungskreis zu kommen und noch dazu in einem von allen Musen so sehr
geliebten
Weimar
[Schließen]Orte. Wie ich mir für mein Leben nichts schöneres zu
wünschen weiß als die | Vereinigung des
Katheders und der Kanzel so wird es Ihnen gewiß auch sehr
erwünscht sein auf diese zwiefache Weise wirken zu können,
und mir soll nichts lieber sein als wenn auf diese Art
mehrere meiner jungen Freunde daran arbeiteten mir meine
künftigen liebsten Triumfe zu entreißen. Vgl. Brief
3372.
[Schließen]Denn ich gestehe gern daß mich nichts so gerührt
hat und so mit Dankbarkeit erfüllt, als wenn ich
glauben konnte Theil daran zu haben, daß solche die
sich ursprünglich den Alterthumswissenschaften
gewidmet, von ihren vorgefaßten Meinungen gegen das
Christenthum und besonders gegen die theologischen
Studien so weit zurük komen, daß sie anfangen diese mit
jenen zu verbinden.
Wenn nun hier unsere Universität so glänzend zu Stande kommt
wie Manche hoffen so schikken Sie mir fleißig solche von
Ihren Zöglingen bei denen ich das schon gethan finde. Zu
Stande kommen irgendwie wird nun wol diese
Universität zu meiner großen
Freude.
Ich habe diese ganze Zeit über mit Sehnsucht und Trauer auf
mein Hallisches Leben zurükgesehn
und wenn ich auch gleich hier einen kleinen Kreis lieber
Zuhörer gefunden habe zum Theil von solchen die Halle kurz vor meiner Berufung dorthin
verlassen hatten, zum | Theil von solchen
die noch mit mir da gewesen so habe ich es doch immer
vermißt nicht vor wahren Studenten zu reden.
Ist nun die Universität
erst eröfnet so werde
ich wol auch bald im Stande sein Sie ohne daß Sie grade
hierher kommen in Ihrem dogmatischen Studium zu
unterstüzen. Denn
nachgrade muß ich doch daran denken meine theologischen
Ansichten in Lehrbüchern niederzulegen.
Ich werde mit einer „Encyklopädie der theologischen Wissenschaften“
(WS 1810/11)
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Encyclopädie
anfangen
Friedrich Schleiermacher: „Kurze
Darstellung des Theologischen Studiums“ (1811), vgl. KGA I/6,
S. 243-315.
[Schließen]die wahrscheinlich noch dies Jahr
erscheint
, und da ich die „Zusammenhängende Darstellung der christlichen
Glaubenslehre“ (WS 1808/09)
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Dogmatik
hier noch einmal wieder gelesen so werde ich wol wenn ich es noch
einmal gethan die Darstellung unternehmen können. Jezt lese ich Hermeneutik
und christliche Sittenlehre
und mache mir bei dieser
Gelegenheit schon einen vorläufigen Entwurf zu
künftigen Lehrbüchern. Außerdem habe ich hier noch Schleiermacher las im SS 1807 „Geschichte der
alten Philosophie“ und erst im SS 1810 „
Geschichte
der Philosophie unter den Christen
“
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Geschichte der alten Philosophie
vorgetragen (was ich eben in Halle
thun wollte als die Zerstörung hereinbrach)
und die aus meiner Ethik sich
entwikkelnde „Theorie des Staates“ (WS 1808/09)
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Lehre vom
Staat
. Da haben Sie eine kleine Uebersicht von meinen
Arbeiten. Uebrigens habe ich seit ich mich hier fixirt, d.h. seit
Neujahr 1808 ein etwas unruhiges Leben geführt, aber von
schöner und interessanter Unruhe. Noch im Sommer jenes Jahres reiste ich nach Rügen und verlobte
mich dort |
und im Herbst machte ich eine interessante Reise
nach Königsberg
. Im Frühjahr des lezten
Jahres feierte ich auf Rügen meine Hochzeit
und im Herbst machte ich noch mit meiner Familie
eine Reise nach Schlesien
. Dabei hat denn alles
Briefschreiben sehr gelitten und hier möchte ich
eben meine Entschuldigung anknüpfen wenn ich noch einmal
darauf zurük kommen soll. Und nun lassen Sie mich Schulze schickte den ersten Band seiner
Winckelmann-Ausgabe mit (Johannes Karl Hartwig Schulze und
Heinrich Meyer : „Winckelmann’s Geschichte der Kunst des Alterthums“, Bd. 1
(1809), vgl. Brief
3388.
[Schließen]Ihnen danken für Ihr schönes Geschenk, über das
ich Ihnen aber noch nichts sagen kann weil es nun
erst an die Reihe kommen soll unsere Lectüre zu
werden.
Ihnen Beiträge dazu geben zu können liegt leider ganz außer dem
Gang meiner Beschäftigungen. Schleiermacher notierte diese Treffen in seinen
Tageskalendern.
[Schließen]Ich kann leider gar nicht herausgreifen über das
was zu meinen vorliegenden Arbeiten unmittelbar gehört
und eine mit Spalding
Heindorf
Buttmann
und ein Paar anderen gemeinsame griechische Lectüre
ist alles wissenschaftliche was ich außerdem betreiben
kann
.
Johannes Karl Hartwig Schulze: „Predigten“
(1810), vgl. Brief
3372.
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Ihren Predigten sehe ich mit Vergnügen und mit um so mehr Verlangen
entgegen als ich Sie von dieser Seite noch nicht kenne und Marwiz
mir viel erfreuliches von dem Eindruk gesagt hat den Sie
als Prediger machen.
Ich habe auch schon öfter an eine dritte Samlung gehen
wollen, immer aber die gar | nicht
unbedeutende Zeit
zu
über der Zeilenicht
finden über der Zeile
⎡
können
,
die ich brauche um aus sehr kurzen Entwürfen die Vorträge
wieder herzustellen.
Die Rede ist von der Rezension zu Schleiermacher:
„Predigten. Zweite Sammlung“ (1808), in: JALZ 6 (1809), Bd. 1, Nr. 40
(17.2.), Sp. 313–316, vgl. KGA III/1, S. XCVIf. Dort heißt es u.a.
Schleiermacher habe die „würdigste und erhabenste“ Ansicht der Religion seit
Luther
und Lessing, und man
dürfe ihn den „würdigsten Nachfolger des von ihm am würdigsten
verherrlichten Spinoza“ nennen, vgl. Brief
3372.
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Daß die Recension
in der Jenaischen LiteraturZeitung
von Ihnen sei sagte mir Marwiz zuerst. Freilich war mir das
ungleichförmige und plözlich abgebrochene darin
sehr aufgefallen. Aber etwas was doch Ihnen
angehört war mir auch aufgefallen und
ich will es Ihnen nicht verhelen.
Nemlich
die Zusammenstellung mit Lessing und wenn ich
mich nicht irre
Spinoza, doch
auch jener wäre schon genug scheint mir in die Recension
der Predigten gar nicht zu
gehören
und da man bei dieser
doch das theologische Publicum
vorzüglich im Auge haben muß fürchte ich kann sie
nur Ihrer Absicht ganz entgegen wirken. Wenn übrigens Ihre Recension so groß war
wie Sie mich selbst vermuthen lassen so konnte sie Eichstädt
wol nicht ohne ein großes Mißverhältniß aufnehmen;
aber er hätte die nöthige Abkürzung um so mehr in
Ihre eignen Hände geben sollen da er Sie so sehr in
der Nähe hatte nicht aber selbst drauflos schneiden; und Sie
haben Recht daß Sie nach einer solchen Behandlung
mit ihm gebrochen haben.
Gebrochen habe ich nun wol nicht mit ihm aber ich bin doch so
gut als ganz aus dem Recensiren heraus gekommen und glaube
schwerlich daß ich mich noch einmal dazu
verstehen werde.
| Es kommt für mich zu wenig
Freude und auch zu wenig Gewinn an Kenntniß oder Fertigkeit
dabei heraus im Vergleich mit der Mühe die es mir macht,
und dabei ist es mir durchaus unmöglich andere Recensionen
zu schreiben als für solche die das Werk selbst genau
studirt haben.
Nun leben Sie wohl und sehen Sie dahin daß wir nie ganz in Unkenntniß von einander kommen.
SchleiermacherDurch einen unglüklichen Zufall ist dieser Brief bis heute liegen geblieben. Sezen Sie also die Schuld der Post, die leider auch nicht außerordentlich schnell(?) zu [...] Gepäck(?) geht nicht zu hoch an
Marwiz der mir im vorigen Jahre die ersten Nachrichten von Ihnen brachte und kurz nach der Schlacht von Aspern in oestreichsche Kriegsdienste ging ist jezt auf Urlaub hier. Vielleicht interessiren Sie noch mehrere ehemalige Commilitonen von denen ich Ihnen etwas sagen könnte. – Nochmals Lebewol
B. d. 10t. Marz
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