Leipzig. 20. Februar. 1810.

„Laßen Sie von sich hören!“ – war Ihr lezter bedeutender Zuruf, als ich im vorigen Sommer mit dem herzlichsten Händedruck von Ihnen schied, froh, nun den verehrten Mann von Angesicht zu kennen, und goldne Worte mit ihm gewechselt zu haben, deßen Geist ich schon lange in Schriften lieb gewonnen hatte. –

Von mir hören zu laßen, war lange mein einzig Streben, und Sie mögen aus gegenwärtigem ersten Versuche, den ich Ihnen mit inniger Hochachtung überreiche, selbst urtheilen, ob ich werth sey, daß auch von mir gehört werde.

Es ist mein erster Sproß: nehmen Sie ihn mit Nachsicht auf, aber seyen Sie dennoch streng in Ihrem Urtheil, an welchem mir so viel liegt. Wohl würde ich jetzt selbst manches hinausstreichen, vieles verbeßern, wenns noch möglich wäre: aber der Wurf ist geschehen.

Karl Dippold überreichte mit dem Brief sein Buch „Leben Karl des Großen“ (1810).

Ich glaube seitdem in meinen Ansichten fester, in meinem Urtheile weiser geworden zu seyn, und das durch  Es handelt sich um das Manuskript der Vorlesung von 1806, vgl. KGA II/6, S. 9-18.  [Schließen]Ihre Skizze über die Idee der Kirchengeschichte welche aus der dritten oder vierten Hand in die meine gekommen ist, und welche ich mehr, als einmal durchdacht habe. Die Zukunft möge ausmachen,  Lk 8,4-15 [Schließen] ob das Korn auf felsigen Grund oder guten fruchtbaren Erden gefallen sey , und ob ich  2 Kor 3,6 [Schließen] blos im Buchstaben,  Joh 4,24 [Schließen] oder im Geiste und der  | 1v Wahrheit aufgefaßt habe. Doch dürfen Sie mit diesen Erwartungen noch nicht zum gegenwärtigen Buche treten: damals fühlte ich nur dunkel, was jezt klar vor meinen Augen steht, ich folgte meinem innern Lichte, oft ohne mir Rechenschaft geben zu können, welches mir erst, seit dem ich Vorlesungen gehalten, möglich geworden.

Wenn es daher Ihre Muße nur einigermaaßen verstattet, so schreiben Sie mir ein strenges Wort über meinen Karl. Machen Sie mich aufmerksam auf das Ueberflüßige, Unschickliche, Verfehlte: aufmerksam auf die Klippen, an welchen ich gescheitert oder einst noch scheitern könnte. Wie hart mich auch Ihr Urtheil eben treffen möge, es soll mir den Muth zu neuen Thaten nicht rauben, wenn es mich auch für jezt vernichten sollte.

Das ist, was mir am meisten am Herzen liegt. Was folgt, scheint mir nur Nebensache, da ich beim Schaffen meines Werkes selbt keine zeitliche Rüksicht hatte.  In Berlin schon äußerte ich Ihnen meinen Wunsch, ein Mitglied der neugestifteten Akademie zu werden. Die Ueberzeugung, daß grade mein Leben zu seiner Ausbildung vielfältiger Lagen bedürfe, daß meinem Wunsche nichts willkommener seyn könne, als so viele Starken(?) in der größten Nähe zu sehen und zu studiren, die Gewißheit, dort einen schönen Kreis mir gleichgesinnter Menschen zu finden, als hier, wo ich fast allein stehe und wohl ewig stehen werde,  | 2 die losen Bande, die mich an Leipzig feßeln, die Beschwerden, die ich seit zwei Jahren hier erduldet, und die Wünsche eines über alles geliebten Herzens, das sich nach dem Vaterlande zurükssehnt, – Alles, Alles läßt mich wünschen, sobald wie möglich einen Ort zu verlaßen, in welchen ich gleich anfangs gar nicht mit der Absicht, zu bleiben, gekommen.

Wenn Sie also, wie ich nicht zweifle, bei Besetzung einer mir angemeßenen Stelle etwas vermögen, und mich Ihrer Fürsprache für würdig halten, so bitte ich insofern offen und inständig darum, als es nicht mit Ihren Grundsätzen streitet, oder Ihnen keine Beschwer macht, oder keinen Würdigern verdrängt.

Schreiben Sie die Offenheit und das fröliche Vertrauen, mit dem ich mich in Berlin Ihnen gewißermaaßen aufdrängte, wie denn auch den traulichen Ton dieses Briefes lediglich sich selbst zu, Ihren Schriften und mündlicher Rede zu, welche mir eine solche Dreistigkeit und die feste Ueberzeugung gegeben, es könne Ihnen nicht lästig seyn, wenn sich eines jungen Mannes ganzes Gemüth vor Ihnen zu entfalten strebte.

Mit der innigsten und vollkommensten Hochachtung ewig der Ihrige Hans Karl Dippold

Addr. Klostergaße. Stieglitzens Hof

Zitierhinweis

3399: Von Hans Karl Dippold. Leipzig, Dienstag, 20. 2. 1810, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007228 (Stand: 26.7.2022)

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