Berlin d 17t. Dec. 09

 Vgl. Brief 3075. [Schließen]Ich weiß nicht, liebster Freund, ob Du einige flüchtige Zeilen, die ich dir ich glaube dies Frühjahr durch einen Reisenden gesendet richtig erhalten hast. Diese Gelegenheiten scheinen jezt häufiger zu werden da mehrere von unseren Braven versuchen wollen über England das südliche Kriegstheater zu erreichen nachdem in dem nördlichen der Vorhang wieder gefallen ist. Fabian Dohna der Dir, wills Gott diesen Brief überbringt ist einer von dreien. Er selbst, einer der jüngeren Brüder   Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten , seit Steins Entlassung preußischer Innenminister [Schließen]unseres alten Freundes des jezigen Ministers hat sich in unserm unglüklichen Kriege sehr ausgezeichnet, und war zulezt FlügelAdjutant des Königes . Als alle Hofnung verschwand daß dieser an dem Kriege Antheil nehmen würde, nahm er  über der Zeileden Abschied um nach Österreich zu gehen, kam aber hier an als es schon fast gewiß war daß der Waffenstilstand in Frieden übergehn würde. Seine beiden Reisegefährten sind glücklicher gewesen, sie haben in dem Generalstab des Kienmaierschen Corps, der Major Grollmann als Chef desselben und der Lieutenant von Lützow als Adjoint denjenigen Theil des Feldzuges mitgemacht der auf die deutschen Angelegenheiten den entscheidendsten Einfluß gehabt haben würde, wenn der unglükliche Friede nicht dazwischen gekommen wäre. |

Mir scheint es freilich nicht sehr wohlgethan wenn alle tapfern Männer den vaterländischen Boden verlassen, und dann wenn sich irgend etwas zu Thätigkeit aufregendes ereignet Niemand zu Hause ist – allein diese sind einmal unterwegens, und wenn du ihnen irgend durch deine Verbindungen oder durch deinen guten Rath zu ihrem Zweck behülflich sein kannst, wirst du es gewiß nicht an dir fehlen lassen.

Ich habe mich sehr gefreut daß endlich einmal ordentliche Nachrichten von dir hieher gekommen sind – wiewol ich nur flüchtige Worte darüber aus der dritten Hand vernommen habe da die Giewiz(?)er lange nicht hier waren oder ich sie wenigstens nicht gesehen habe. Daß deine diplomatische Laufbahn wieder würde abgebrochen werden ließ sich voraussehen; möchte nur des guten Fraenkels Ahndung in Erfüllung gehen und diese Verkettung der Umstände dich wieder nach Deutschland und namentlich zu uns führen. Freilich weiß ich auch nicht wie lange das dauern würde denn unser Preußen kommt mir noch immer vor wie eine schwimmende Insel die gerade eben so gut versinken als fest werden kann. Indeß es wäre doch so lange es wäre sehr schön, und ich kann dir gar nicht sagen wie sehr mich verlangt Dich einmal ausführlich zu sprechen über alles was sich seitdem ereignet hat und unsere Ansichten | über gegenwärtiges und zukünftiges auszuwechseln. – Die Hofnung zu einer zwekmäßigen Regeneration unseres Staates zu der wirklich vieles sehr schön eingeleitet war sinkt immer mehr; und indem man das wenige was wirklich aufgebaut ist einzeln wieder untergräbt so ist früher oder später ein plötzlicher Zusammensturz sehr wahrscheinlich. Das nächste Schiksal dieser Gegenden wird wol davon abhängen in welche äußere Conjuncturen dieser treffen wird. Ich werde von nichts auch was mich persönlich betreffen kann überrascht sein, selbst nicht von dem Elend im kleinsten Styl wiewol dies das fatalste ist. Humbold, der jezt seine schwiegerväterliche Erbschaft in Empfang zu nehmen nach Thüringen gereist ist soll uns nun zunächst hier eine Universität schaffen. Auf diese kann ich mich ordentlich kindisch freuen und sehnlich wünschen daß sie nur drei oder vier Jahre ruhig bestehen möchte. In einem solchen Zeitraum würde ich im Stande sein – was ich jezt ganz vorzüglich als meinen Beruf ansehe – meine ganze theologische Ansicht in einigen kurzen Lehrbüchern niederzulegen und wie ich hoffe dadurch eine theologische Schule zu gründen die den Protestantismus wie er jezt sein muß ausbildet und neu belebt, und zugleich den Weg zu einer künftigen Aufhebung des Gegensazes beider Kirchen frei läßt und vielleicht bahnt. Dann würde ich glauben das wichtigste gethan zu haben was mir in dieser Welt obliegt und könnte jeder persönlichen Katastrophe ruhig entgegensehen. Es sah einen Augenblick aus als sollte ich noch auf eine andere Weise wirksam werden.  Mit der Schrift „Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantioschen Kirche für den preußischen Staat“ (KGA I/9, S. 1-18), die gegenwärtig nur noch als Abschrift im Geheimen Staatsarchiv Berlin vorliegt, wurde Schleiermacher wohl von Stein beauftragt, er arbeitete sie laut Tageskalnder 1808 im November 1808 aus und stellte sie am 18. Novmeber fertig, vgl. KGA I/9, S. XXV-XXX.  [Schließen] Ich hatte zum Theil auf Steins Veranlassung einen Entwurf gemacht zu einer ganz neuen Kirchenordnung für unseren Staat; er war auch zu meiner großen Freude im Ganzen angenommen worden, scheint aber jetzt auch zu dem zu gehören was bei Seite gelegt wird.

Von meinem Platon ist kürzlich der fünfte Band fertig geworden der auch für dich zurükgelegt oder Fraenkeln übergeben ist. Die eigentlichen Dialogen habe ich nun hinter mir und es sind noch die großen Werke übrig

Noch im Spätsommer habe ich mit Frau  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Schwester und  die Kinder aus erster Ehe von Henriette Schleiermacher [Schließen] Kindern eine Reise nach Schlesien gemacht. In Gnadenfrei hielt eben seinen Antritt als Prediger ein alter Nieskyscher Schulkamarad von mir Croeger, aus dem ohnerachtet er bisweilen mit Albertini und mir wetteiferte nicht recht viel geworden zu sein scheint. Ueberhaupt ist mir das zerstörende Princip in der Gemeine stärker als sonst entgegen getreten. Auch unsere Frau von Schlössel (?) habe ich sehr von der Zeit mitgenommen gefunden, höchst mißvergnügt, etwas mißgünstig über die welche weniger durch den Krieg zurük gelitten hatten und vielem abgestorben was sie sonst so sehr interessirte. – Doch ich erwarte jeden Augenblik daß die Reisenden sich den Brief holen. Findet sich bald wieder eine Gelegenheit, dann will ich auch mehr als erzählen. Laß mir indeß meinen Plaz unter den Deinigen, und wenn es sein kann werde uns bald wieder gegeben.

Schleiermacher

Zitierhinweis

3377: An Carl Gustav von Brinckmann. Berlin, Sonntag, 17.12.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007206 (Stand: 26.7.2022)

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