Stolpe den 5t Xbr 1809.
Lieber Schleiermacher
Zu meinem innigen Vergnügen habe ich mir von meiner guten Frau oft
und vielfältig alles erzählen laßen, was korr. v. Hg. aus: Siesie
von Ihnen und Ihrem häuslichen Leben wußte. Was
sie mir gesagt hat, ist hinreichend genug, mich mitten unter
Sie und die Ihrigen zu versetzen, und mich mit eigenen
Augen von Ihrem Glück zu überzeugen. Ihre Frau hat sie mir geschildert, gerade wie
ich sie mir aus dem zurük gebliebenen Eindruck, den der
Anblick ihrer vor mehrern Jahren auf mich gemacht,
eingebildet hatte, ganz als die sanfte, feine, artige, gute
Frau, und ihre
Ehrenfried und Henriette von Willich
[Schließen]
Kinder
als schön, wie Engel. Leben Sie so fort, recht
froh und glücklich mit Ihrer Frau, Ihren
Kindern
und Freunden, und bewahren
Sie ferner hin die freundschaftliche Zuneigung, deren Sie
mich bis dahin, wie wol, ich gestehe es, weit über mein
Verdienst hinaus gewürdigt haben. Mich freuet es, daß meine Frau
Ihnen mit einer so wahren Verehrung zugethan ist, und Sie
so richtig zu beurtheilen und zu würdigen weiß.
Auch ich bin durch Gottes Güte nunmehr zufrieden und glücklich. Ich
bin zwar auch während meiner langen Krankheit nie
unzufrieden und unglücklich gewesen; ich habe gefunden, daß
das Krankenleben doch auch ein Leben, und zwar ein
besonderes neues Leben, in welchem unserm
Empfinden, Denken und Wollen fast alles in einer besondern, neuen,
und darum auch intereßanten Gestalt erscheint. Ich habe die
Men | 49vschen nie so geliebt, als
in meiner Krankheit; ich sahe nur Edeles, nichts
Gemeines, nur Göttliches, nichts Thierisches an
ihnen. Ich habe auch nie das göttliche Leben so klar
erschauet, nie auf mein voriges Leben so demüthig
herabgeblickt, nie nach Gott und Christo so geseufzet, und nie mich zu solchen
Entschlüßen begeistert gefühlt, als in meiner Krankheit. Ich war
allein, aber die Zeit ward mir nicht lang: tagelang
beschäftigte mich die göttliche Anrede: Gen 17,1
[Schließen]
ich bin der allgenugsame Gott, wandele vor mir und sey
fromm
; und mehrere Wochen hindurch das Metger schreibt das Kirchenlied fälschlicherweise
dem Dichter Christian Fürchtegott Gellert zu, es ist jedoch von
Christian Friedrich Neander.
[Schließen]
Gellertsche Lied:
Nicht um ein flüchtig Gut der
Zeit.
Jetzt ist das nicht mehr ganz also; ich will nicht
geradezu behaupten, mein damaliger Zustand sey
Ueberspannung gewesen, denn es wäre ja wol
möglich, daß die Sehne meines Gemüths damals grade wäre
recht gespannt gewesen, und jetzt zu schlaff sey. Aber doch
dünkt mich, es ist jetzt so beßer, mich dünkt, ich bin ganz
wieder Mensch geworden. Ich bin nun fast ganz wieder bei
Gesundheit und Kräften. Auch mein häusliches Leben ist ein
zufriedenes und glückliches. Meine
Frau hat
tiefes Gefül und beweist mir viel Liebe und Zuneigung.
Auch meine Marie Elisabeth Charlotte Thiele
[Schließen]
Schwiegermutter
ist mir theuer und lieb; eine so
anspruchlose, so leicht befriedigte, und darum
auch immer so gleichmüthig zufriedene Frau ist
mir, ich möchte sagen nie vorgekommen. Jede andere will
doch sey es auch nur Etwas seyn, haben, gelten; nein, sie
nichts! Ich läugne zwar nicht, ihre festen Nerven kommen
ihr hierin gut zustatten, aber den eigentlichen
Grund finde ich darin, sie ist gottselig und darum
lies: genügsam
[Schließen]gegügsam.
| 50
Meine gute Frau wird mir immer lieber, ich habe auch Gott darum gebeten und bete ihn darum, daß ich sie recht lieben möchte, nicht als ob sie, um geliebt zu werden, eines Gebets bedürfte, sondern ich nur bedarf es, um mein Herz von allem Nichtliebenden zu lauter Liebe zu läutern. Meine Frau hat mir von dem sanften Reimer, und von der herzlichen Herz gesagt, wie beide sich bei jeder Gelegenheit so liebreich und freundlich nach mir erkundigt hätten. Sagen Sie doch beiden meinen herzlichen Dank, und finden Sie, daß es der Mühe lohnt, geben Sie ihnen diesen Brief zu lesen, aber darum auch(?) ja keinem andern; denn nur Ihnen und Reimern kann ich mich so preis geben; die Herz ist Frau, darum ihr nicht, aber sie ist freundschaftlich gegen mich gesinnt und ich bin ihr gar sehr verpflichtet, und sie ist verschwiegen, und darum ihr wol.
Mit was für guten lieben Menschen habe ich in Berlin gelebt, doch mit welch
guten lieben Menschen lebe ich auch hier.
Ein alter Major von
Bandemer, welch ein Mann, ist mein ehrwürdiger Freund,
und eine alte
Frau
Hauptmann von Lettow
, welch eine ehrwürdige
Matrone, ist meine edele Freundinn, wie oft hat
sie mich in meiner Krankheit besucht und ganze
Stu[nden] an meinem Bette
geseßen, und ihre edelen
T[öchter]
auch die kamen allein,
und der redlich gesin[nte] gebildete Major
von Bonin, und seine
Frau, und
[mehrere]
andere.
Unser Freund Bünting war vorige Woche 3 Tage bei mir, er
ist gesund, natürlich nicht ganz glücklicher
Landmann, aber ganz glücklicher Ehemann und Vater.
Er grüßt Sie herzlich.
Auch meine Schwiegermutter
und
Frau
bezeugen Ihnen ihre Verehrung und
Dankbarkeit. Nehmen Sie
von meiner Frau und mir die
Gänsebrüste an,
und geben die andern an Reimer und
Herz
. Bitten Sie doch
Reimer, daß er Franz Volkmar Reinhard: „System der christlichen
Moral“, 4. Teil (1810)
[Schließen]mir den letzten Theil von Reinhardts Moral
, sobald er erscheint, schickt, und dann auch Abendmahl Formulare sind kleine Broschüren, die
eine Musterordnung für die Abendmahlsfeier enthalten.
[Schließen]12 AbendmalsFormulare von Sack; er soll zwischen hier und Ostern auch sein Geld
haben.
Grüßen Sie auch
Marwitz
und
Rheinhard
.
Zitierhinweis
Download