Coppet d. 4. Dec. 1809.
Herr Dreist hat mir Vgl. Brief
3320.
[Schließen]Ihr Briefchen vom 15ten Aug. bescheidentlich zugesandt, werthester
Freund;
nach so langer Entfernung
und so ununterbrochenem Stillschweigen war es mir
ein angenehmes Lebenszeichen Vgl. Brief
3320.
[Schließen]. Lassen Sie lies: mich Ihnen zuerst
[Schließen]mich zuerst meinen Glückwunsch über Ihre häusliche
Veränderung abstatten, deren ich mich
herzlich gefreut habe.
Gen 2,18
[Schließen]
Es ist überhaupt nicht gut,
daß der Mensch allein sey
, und eben jetzt, da die großen Staatsgebäude halb
eingerissen und übrigens so baufällig
dastehen, daß ihnen kein Architekt mehr helfen kann, ist es
vielleicht am weisesten gethan, sich vor der Hand einen
Heerd zu bauen, bis etwan einmal der Grund, worauf lies: er
[Schließen]ers steht, vaterländisch wird.
In seinem Brief an A.W. Schlegel, vgl. Brief
3320,
erwähnt Schleiermacher seine Platon-Übersetzung, von der die Bände 1,1
(1804), 1,2 (1805), 2,1 (1805) und 2,2, (1807) erschienen sind sowie
„Die Weihnachtsfeier“ (1806, KGA I/5, S. 39-100), „Gelegentliche
Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn“ (1808, KGA I/6, S. 15-85)
und „Herakleitos der dunkle, von Ephesos“ (1807/08, KGA I/6, S.
101-241).
[Schließen] Ihre schriftstellerischen Arbeiten
habe ich unterdessen nicht aus den Augen lies: verlohren
[Schließen]verloren. Wie weit Ihr Plato gediehen, weiß ich nicht genau und habe mir noch
nicht alles verschaffen können.
Das Weihnachtsgeschenk
und die scharfsinnige Herstellung des
Heraklit las ich mit großem Vergnügen.
Dagegen entging mir bis jetzt Ihre Schrift
über die Universitäten.
Leider fürchte ich, daß unsere etwas verspäteten
Lobreden auf diese Anstalten, denen wir Deutsche vielleicht
mehr verdanken, als wir glauben, eben so viele Leichenreden
sind. Es dürfte, wenn es so fortgeht, bald keine
Universitäten mehr, sondern bloß noch Schulen
unter der Zuchtruthe der neuen
lies: kaiserlichen
[Schließen]Kaiserlichen Sorbonne geben. Aus
den Zeitungen sahe ich, daß die Universität in Berlin, die Sie
lies: wünschten
[Schließen]wünschen, wirklich eingerichtet wird. Wenn nur Ihrer Hauptstadt nicht
noch ganz andre, minder angenehme Veränderungen
bevorstehen!
Vgl. Brief
3320
sowie einen Brief Friedrich Schlegels vom 01.12.1807 an seinen
Bruder August Wilhelm, in dem er ihm genau diese Meinung der Berliner
Freunde berichtet:
„
Es war ein Fremder hier, der mir Wundernarrheiten besonders aber
Gemeinheiten von alle dem jungen Geniepöbel erzählt hat; Varrnhagen, Schütz, Fouqué, Bernhardi alles das fraternisirt zusammen.
Schleiermacher
wirtschaftet als kleiner Messias darin. Die kleine Preußische Giftspinne
hat es besonders gegen uns; gegen mich haben sie einen besondern Haß,
Dich haben sie in die Formel gebracht, daß Du nun völlig todt seist so
wie Tieck, den sie auch nicht leiden können, was mir wieder eine gute
Meinung von ihm giebt. Ich dächte es wäre Zeit, ihnen einmal zu zeigen,
daß wir noch leben, und als rechtschaffne Töpfer, dieses unser
schlechtes Töpferwerk in Stücke zu schlagen.“ (Josef Körner (Hg.): „Krisenjahre der
Frühromantik“ (1969), Bd. 1, S. 479‒482, hier S. 481). Mit
„kleine Preußische Giftspinne“ ist wohl Schleiermacher gemeint.
[Schließen] Daß mich einige Berlinische Freunde für einen litterarie mortuum
erklärten, wußte ich schon: allein ich
hätte gewünscht, Sie möchten nicht unter der Zahl
seyn. Ich habe es wenigsten an der Sorge nicht fehlen
lassen, mein annoch gefristetes Leben bemerklich zu machen.
Meine
A. W. Schlegel: „Rom: Elegie“ (1805); Schleiermacher kam dieses Werk zu Ohren und er bat Reimer darum,
ihn diese Elegie zukommen zu lassen, vgl. Brief 2045, 59-63 (KGA V/8).
[Schließen]Elegie Rom ist Ihnen gewiß bey ihrer Erscheinung zugestellt worden,
wenigstens gab ich Auftrag dazu.
A. W. Schlegel: „Artistische und literarische Nachrichten aus Rom. Im Frühling 1805.
An Hn. Geh. Rath Goethe“, in: „Intelligenzblatt der
Jenaischen Allgemeine Literatur-Zeitung“, Nr. 120 und 121
(23.-28.10.1805), Sp. 1001-1024 (später unter dem Titel: „Schreiben an
Goethe über einige Arbeiten in Rom lebender Künstler“, in: ders.:
„Sämtliche Werke“. Hg. Eduard Böcking. Bd. 9. Leipzig: Weidmann 1846, S.
231–266) sowie die Aufsätze: „Über die K.K. Vermählungsfeier Franz I. mit Maria Ludovica Beatrix
von Österreich“, in: „Prometheus“, Bd. 1, H. 1, Anzeiger
(1808) S. 3-19; „ Die deutschen Mundarten“,
in: „Prometheus“, Bd. 1, H. 1 (1808), S. 73–78; „Montbard“, in:
„Prometheus“ Bd. 1, H. 2 (1808), S. 15-20 sowie einen Auszug aus den
Vorlesungen in Berlin 1802 unter dem Titel: „Über das Verhältnis der schönen Kunst zur Natur; über Täuschung und
Wahrscheinlichkeit; über Styl und Manier“, in: „Prometheus“,
Bd. 1, H. 5/6 (1808), S. 1-28.
[Schließen]
Einige einzelne Aufsätz, z.B. ein ziemlich
ausführlicher über den heutigen Zustand der Künste
in Rom in der
Jenaischen LiteraturZeitung
,
andre
im
Prometheus
konnten Ihnen leichter
entgehen.
Es handelt es sich um das
literaturwissenschaftliche Werk „Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d'Euripide“
(1807).
[Schließen]
Mit der kleinen französischen Schrift
bezwecke ich nichts weniger als eine Bemühung um
das vgl. Brief
3320
[Schließen]poetische Heil der Franzosen
; ich war
vielmehr versucht als Motto darauf zu setzen:
Vgl. Shakespeare
„A Midsummer Night's Dream“, V. Akt, 1. Szene: „If we
offend, it is with our good will.“.
[Schließen]
If we displease, it is with our good will.
Ich dächte immerhin, meine Landsleute könnten mir es
anrechnen, daß ich den Krieg gegen die entschiedensten
Feinde unseres litterarischen Rufes im Auslande
auf ihr eigenes Gebiet hinüberzuspielen gesucht; doch mag
ich darüber nicht rechten. Es könnten vielleicht bedeutendere
Schriften in derselben Sprache nachfolgen, ohne
daß es dem Anbau der Muttersprache Eintrag thun
soll. Am wenigsten erwartete ich jetzt von Ihnen den
Vorwurf der Versäumniß, da ich eben im Zeitraum eines halben
Jahres eine Kleinigkeit von drey ganz artigen
Bänden ausgehen lassen.
A. W. Schlegel spielt auf den zweiten Band der
Übersetzung „Spanisches
Theater“ an, der 1809 nicht wie lang geplant bei Reimer,
sondern bei Hitzig erschien, und den ersten Teil der Vorlesungen
„Ueber dramatische Kunst und Litteratur“, der ebenfalls 1809
erschien.
[Schließen]
Das spanische Theater und die Vorlesungen über dramatische Kunst werden
Sie doch nicht als Bemühungen um das poetische Heil
ich weiß nicht wessen von der Hand weisen?
Da der erste Theil der Vorlesungen, das
theoretische abgerechnet, ganz vom griechischen Theater
handelt, so
dürfte ich wohl eine ausführliche Beurtheilung davon in
Ihrem die Zeitschrift „Museum der
Alterthums-Wissenschaft“
[Schließen]
Museum
erwarten, und es sollte mich freuen wenn Sie oder Wolf (dem ich
das Buch auch habe zustellen lassen) sie zu meiner
Belehrung übernehmen wollten.
Die drei ältesten und vollständigen Handschriften
des mittelalterlichen Nibelungenliedes werden nach ihren
Aufbewahrungsorten benannt: Handschrift A wird in der Bayrischen Staatsbibliothek in
München, Handschrift B
in St. Gallen, Handschrift C in der Badischen Landesbibliothek in
Karlsruhe
aufbewahrt.
[Schließen]
Von noch nicht mitgetheilten Arbeiten erwähne ich nur, daß ich
mich fleißig mit dem Text der Niebelungen beschäftigt, und die
sämtlichen Lesearten der Skt. Gallischen und der
Münchner Handschrift, die letztere von mir selbst
ausgezeichnet, in Händen habe.
Vgl. Brief
3320.
[Schließen]Es war mir ein erfreulicher Beweis Ihrer Offenherzigkeit, daß Sie in
Betreff meines Bruders etwas in Anregung
bringen, worüber Sie wohl die gänzliche Abweichung
unserer Ansichten voraussetzen konnten. Rechnen Sie es nicht auch zu den durch den
Protestantismus
Als Fußnote steht an dieser Stelle im Druck: „Schlegel scheint
hier zuerst ,errungenen' geschrieben zu haben, dann hat er verbessert
,erkämpften', dann beides durchgestrichen und ,behaupteten' darüber
geschrieben.“, Gertrud Bäumer: „Ein ungedruckter Brief A.W. Schlegels“
(1898), S. 506.
[Schließen]behaupteten Rechten, seiner Überzeugung gemäß handeln zu dürfen?
Und warum sollte man seine Gesinnung nicht auch in
Gedichten äußern? Schleiermacher bezog sich auf Friedrich Schlegels
Gedicht in der von Rostorfs (Karl von Hardenberg) herausgegebenen
Sammlung „Dichter-Garten“ (1807). Friedrich Schlegels Gedichte sind
überwiegend politisch-patriotisch, andere Autoren im Dichtergarten,
darauf macht Friedrich Schlegel Schleiermacher selbst in einem Brief
aufmerksam (vgl. Brief 2537, KGA V/9, 8-13), haben einen starken
religiösen, mystischen Charakter. August Wilhlem Schlegel rezensierte
den „Dichter-Garten“ für die JALZ , 4. Jg., Bd. 3, Nr. 220, Sp. 545 -
552 (er unterzeichnet mit dem Kürzel „W.“).
[Schließen]
Kennte ich Friedrichs Gedichte nicht
selbst, so würde ich nach Ihren Äußerungen glauben
müssen, sie handelten eine Seite um die
andere von der Messe. Ich kann nur die einzige von
Ihnen angezogene Stelle finden, die sich darauf bezieht.
Freylich lies: wem
[Schließen]wenn die Messe, wie es „Heidelberger Katechismus“, Frage 80 („Die
Bekenntnisschriften der evangelisch-reformierten Kirche“, hg. von Ernst
Friedrich Karl Müller, Leipzig 1903, S. 704 bzw. „Reformierte
Bekenntnisschriften 2/2“, Neukirchen-Vluyn 2009, S. 196)
[Schließen]im Heidelberger Catechismus lautet, für
eine verruchte und vermaledeyte Abgötterey
gilt, dem muß dieß immer anstößig bleiben; wäre aber dies Wunder, lies: wodurch
[Schließen]wodruch das große Versöhnungswerk gleichsam
sichtbar vor unsern Augen immerfort bestätigt wird, dennoch
wahr, so würde es auch wohl erlaubt seyn, sich darüber zu
freuen. Daß mein Bruder dieß wie Sie sagen in
unpoetischen Versen; meines Bedünkens in innigen
und einfältigen Ausdrücken, gethan, dieß ist nun nicht mehr
eine theologische sondern eine kunstrichterliche
Beschuldigung, die ich dahingestellt seyn
lasse.
Es war eine löbliche Sache um das Protestiren, so lange es etwas lies: gab
[Schließen]gabe, woggegen, und etwas womit man protestieren
konnte. Jetzt aber, da es einen so gedeihlichen
Fortgang mit dieser schönen Erfindung gehabt, daß
wir uns leiblich und geistlich gleichsam Grund und
Boden unter den Füßen wegprotestirt,
wäre es wohl Zeit auf die Rückkehr von der Trennung
zur Einheit bedacht zu seyn. Die Deutschen in ihrem
Zwiespalt unter sich unter solchen Umständen kommen
mir vor wie zwey Advocaten, die noch immer nicht
aufhören können zu zanken und zu schimpfen, während der
ganze Gerichtssaal, worin sie ihre Beredsamkeit
auskramen, unter ihnen einstürzt. Der
Protestantismus war vormals die Triebfeder
heldenmüthiger Handlungen, und als
solche gewiß achtungswürdig. Glauben Sie, er
werde jetzt noch, ich will nicht sagen Märtyrer
bilden, sondern überhaupt auf irgend eine Weise,
außer gegen das Gute, Widerstand leisten? Es ist
damit wie mit der Stute des Roland die gar manche
Tugenden besaß, nur daß sie leider todt war.
Friedrich wird sich wohl zu rechtfertigen wissen,
wie er es nennt, und hat sich zum Theil schon durch die
That gerechtfertigt. Viele seiner neueren
Gedichte sind nicht bloß herrliche Werke,
sondern rühmliche Handlungen; mich dünkt, jeder
ächte Deutsche muß es so fühlen.
Von einem alten lies: Freunde
[Schließen]Freund, ich gestehe es, hätte ich eine ganz andre
Anerkennung seiner Laufbahn erwartet, als die ich in Ihrem
Briefe finde.
Friedrich Schlegels: „Über die Sprache und Weisheit der Indier“
(1808). Eine erste Teilübersetzung ins Französische besorgte Jacque-Louis
Manget, sie erschien 1809 als Anhang zu einer französischen Übersetzung
von Adam Smith' „A dissertation on the origin of languages“ in Genf und
Paris.
Eine erste vollständige französische Publikation erschien erst 1837,
übersetzt von Adolphe Mazure in Paris.
[Schließen]
Sein Buch über die indische Sprache
und Weisheit, wovon unsere
Philosophen auch nichts wissen wollen,
wird seinen Ruf in Europa gründen:
es wird gegenwärtig in Paris übersetzt.
Nehmen Sie meine freymüthige Erwiederung nicht ungütig
auf,
erfreuen Sie mich bald wieder mit
Nachrichten von Ihnen, und dem Befinden und Thun der
ehemaligen dortigen Bekannten als Fichte
, Steffens
pp.,
und leben Sie recht wohl.
Der Ihrige
A. W. Schlegel.
Wollten
Sie gefälligst inliegendes Briefchen an Madame Unger befödern.
Es ist lies: darin
[Schließen]davon von einer mir wichtigen Angelegenheit die Rede. Man hat
nämlich lies: bey
[Schließen]bei Absenden meiner Bücher alle meine dabey befindlichen
Briefschaften lies: u.
[Schließen]und Papiere aus Vergessenheit oder geflissentlich zurükbehalten.
Sollte Madame Unger sie dazu
veranlassen, so bitte ich Sie sich deßhalb für mich zu verwenden.
wohl der als Jurist an der Kriegs- und
Domänenkammer in Berlin
tätige, mit A. W. Schlegel befreundete Schriftsteller Christian Wilhlem
von Schütz
[Schließen]
Eigentlich käme es dem Kriegsrath von Schütze
zu, mir zu meinem Recht und Eigenthum [zu verhelfen], denn er übernahm bey meiner
Abreise von Berlin
[Schließen]
B.
die Verwahrung des Schlüssels.
Ich weiß aber nicht, ob er sich in der Stadt oder
auf dem Lande aufhält.
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