Berlin, den 4. Dezember 1809
Es hat mich herzlich gefreut, nach langer und für Ihre Theilnehmenden so
sorgenvolle Zeit wieder von Ihnen zu hören. Ich hätte nur
gern auch die frühere Sorge gründlich gehabt; mir nämlich
hat es leid gethan, daß ich von Ihrer Krankheit erst hörte,
als die Gefahr vorüber war. Denn ich mag gern alles, was den
Freunden begegnet, wie es auf einander folgt mit
durchmachen; und da mir bis jetzt so wenig Bedenkliches oder
Gefährliches im eigenen Leben zugetheilt ist,
mein gebührendes Theil von daher nehmen. So möchte ich Ihnen
auch, wiewohl Sie es nicht bedürfen, noch aus eigenem Muthe
Muth zusprechen gegen die natürlichen
verdrießlichen Folgen dieser Krankheit,
wenigstens Ihnen zeigen, daß meine Liebe für Sie die Sache
auch nicht schwerfälliger nimmt, als Sie selbst thun. Die
Dinge werden sich Ihnen schon alle wieder fügen, und die
ersten Jahre Ihres praktischen Lebens werden ein nur um so
sichereres Pfand der künftigen sein, je mehr Sie
gleich eine vielfältige Thätigkeit darin bewähren
können. Und so will ich lieber noch zehnmal mich so bewegen lassen, wie
Ihre Krankheit es gethan hätte, als einmal den bittern
Schmerz empfinden, den mir unseres Schleiermacher spielt wohl auf eine
Auseinandersetzung Alexander von der Marwitz' mit einem Gastwirt in
Olmütz an, die für den Wirt tödlich endete. Marwitz wurde
freigesprochen, der tödliche Ausgang dieser Notwehr ging ihm jedoch noch
lange nach, vgl. Karl August Varnhagen von Ense (Hg.): „Galerie von
Bildnissen aus Rahel's Umgang und Briefwechsel. 2. Teil“ (1836), S. 15.
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Marwitz Unfall verursacht hat. Anders mag ich die
That nicht nennen, und habe bei dieser Gelegenheit recht tief gefühlt,
welche innere Wahrheit darin liegt, daß den Griechen alles
dergleichen, sobald es einem Manne, der den namen verdient,
begegnete, nur eine
συμφορὰ hieß. Lassen Sie mich hiebei gleich
die Sünde bekennen, daß Ihr Brief an Marwitz, den mir Reimer übergeben, noch bei mir liegt. Theils
wußten mir seine hiesigen Verwandten selbst seine sichere
Adresse nicht zu sagen, sondern verwiesen mich an den
Johann von Wessenberg
[Schließen]österreichischen Gesandten, der eben verreiste; theils fürchtete ich, der Brief möchte ihn verfehlen,
weil ich glaubte, er würde gleich nach abgeschlossenem
Frieden auf seine Rückreise bedacht sein. Jetzt aber sind
zwei Bekannte von dorther zurückgekommen, durch
die ich sichere Nachrichten über ihn zu bekommen
hoffe.
Vgl. Brief
3350.
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Ich selbst habe ihm Anfang Oktobers von Troppau aus
geschrieben,
weiß aber auch noch nicht,
ob er meinen Brief richtig erhalten hat.
Ich habe nämlich, wenn Sie es vielleicht noch nicht wissen, noch im
September mit meiner Frau und Kinder aus erster Ehe der Henriette
Schleiermacher: Ehrenfried und Henriette von Willich
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Kindern
und Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
(auch Mad. Herz
begleitete uns)
eine Reise nach Schlesien
gemacht,
um meiner Frau mein
Vaterland und meine
Charlotte und Carl Schleiermacher
[Schließen]Geschwister zu zeigen, und gegenseitig.
Viel
Schönes aller Art ist
da erlebt worden, und meine Frau – sie heißt Jette,
damit ich sie Ihnen künftig kürzer bezeichnen kann – und
Nanny sind sehr brav gewesen. Sie haben mit mir eine dreitägige sehr beschwerliche Wanderung
über den Kamm des Riesengebirges gemacht, und haben auch mit mir
Konjekturvorschlag: einfahren
[Schließen]anfahren müssen in Kupferberg
.
Da haben Sie gleich ein
schönes Fragment aus meinem neuen Leben; aber
auch in dem täglichen häuslichen fühle ich mich sehr
glücklich, wenn ich mir gleich hier und da noch etwas
ungeschickt vorkomme als Gatte und Vater. Nur ist nicht
viel davon zu erzählen, sondern ich möchte am liebsten
sagen:
Joh 1,39
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komm und sehe!
Die Berliner Universität ist wenigstens beschlossen, und schon vorläufig das Prinz Heinrich'sche Palais eingeräumt, in welchem wirklich ich und Andere Vorlesungen halten. Doch das wissen Sie vielleicht schon aus Blättern, die ich nicht lese. Wie sehr mich nach den rechten Studenten verlangt zu dieser Universität, kann ich Ihnen nicht sagen. Doch freue ich mich der schönen Aussicht nur mäßig, theils weil mir die ganze Existenz des Staates noch nicht sicher scheint, theils weil ich noch gar nicht höre, daß auch Steffens herkommen wird, was für meine fröhliche Wirksamkeit und für mein ganzes Leben von der größten Bedeutung ist. Er hat seit kurzem auch seine Halskrankheit wieder überstanden. Etwas Anderes aus Halle haben wir aber Hoffnung her zu bekommen, wie ich eben ganz unter der Hand höre und Ihnen auch eben so wieder sagen will. Nämlich ein alter hiesiger bekannter von mir (Schede) wirbt um Karoline Wucherer. Soviel ich weiß wird die Sache freilich bis jetzt nur noch zwischen der Tante und der Mutter verhandelt, und soll erst an Karolinen gebracht werden; allein, wenn diese ihn auch nicht eigentlich liebt, wozu sie ihn zu wenig kennt: so würde sie doch einen sehr schweren Stand haben, wenn sie ihn ausschlagen wollte, und es ist also wahrscheinlich genug, daß die Sache zu Stande kommt. – Von Harscher weiß ich schon seit sehr langer Zeit nichts, und, ich glaube, auch sonst niemand hier. Ich habe ihm zuletzt geschrieben, und ihm sehr dringend gerathen, wenigstens von Basel wegzugehen; aber das ist schon eine kleine Ewigkeit her, und er hat nichts wieder von sich hören lassen.
Doch nun genug für heute, welches eben in diesem Augenblick abgelaufen ist. Holen Sie bald alles Versäumte nach, worin auch die Bitte liegt, nicht wieder so lange zu schweigen. Meine herzlichen Grüße an Ihren Vater .
Schleiermacher.Zitierhinweis
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