Herrn Professor Schleiermacher / Berlin. / In der Real-Schule bey H Reimer abzugeben [Autorfußnote Bl. 30v]

Hamburg den 12ten Nov.

Schon lange sehne ich mich danach Ihnen, mein bester Freund Vgl. Brief 3330. [Schließen] für Ihren theilnehmenden Brief zudanken, wollte Gott es hätte sich mit meinem Plan vereinen lassen mit Ihnen an einem Orte zuleben, so aber muß ich zufrieden sein wie es ist da ich wohl fühle daß ich gewiß an keinem andern Ort so leicht zum Ziel gelangen konnte als hier. Ich bin noch nicht 3 Wochen hier und habe bereits 11 Schülerinnen deren mehrere 4 Stunden die Woche nehmen also ist der Vormittag fast ganz besetzt, fast täglich geschehn Nachfragen und ich werde es leicht zu 16 bis 18 Schüler bringen das ist dann auch alles was ich bestreiten kann und nie für die ersten Jahre erwarten durfte was mir hier in den ersten Wochen zutheil wird.   Marie Louise Sillem  [Schließen] Meine Beschützerinn bewährt sich als eine der edelsten Frauen die mit Mütterlicher Theilnahme für mein Wohl besorgt ist, ich habe ein schönes großes Zimmer mit allen möglichen Bequämlichkeiten und bin auf keine Weise geniert. Das gewaltig große Leben wo ich nicht heraus kann bis ich hinlänglich bekannt bin ist das einzige was mich angreift indessen bürgt mir die allgemeine Achtung die mann mir und meinem Talent zollt dafür daß ich auch darinn künftig ganz nach Wunsch werde handeln können bisdahin müssen mich die Vorzüge der treflichen Familie in welcher ich lebe entschädigen, und ich beklage mich nicht. Mein Geschäft ist nach wie vormahls mein süßestes Vergnügen und Sie sollten sehn wie das junge Volk sich schon wieder an mich anschließt und mir von Herzen zugethan ist. Ich habe nur noch eine Bitte, ich hätte so gern 3 Exemplare   die bei Reimer 1806 erschienene Liedersammlung: „XII Deutsche und italiänische [sic] romantische Gesänge mit Begleitung des Piano-Forte [Schließen]meiner Lieder wollen Sie Reimer bitten sie mir sobald als möglich zuschikken vieleicht hat er Gelegenheit sie jrgend wo einzuschliessen um mir das Porto zu erspahren auch bitte ich mir den Preis dabey wissen zulassen wenn Reimer nicht vorzieht sie gegen die 1810 in Hamburg erschienene Sammlung: „XII Gesänge mit Begleitung des Forte-Piano [Schließen] 3 Exemplare einer andern Samlung die jetzt hier geschehn und | 29v hoffentlich bald erscheinen wird, einzutauschen. Ich muß Ihnen noch etwas schreiben bester Schleiermacher was auch Reimer angeht. Der Raumer soll so etwas ganz vorzügliches über das Erzgebürge geschrieben haben und ist zubescheiden es drucken zulassen weil er behauptet es würde kein Buchhändler nehmen, ich habe nun gedacht wenn jrgend einer daher seiner Bescheidenheit mit einem Antrage zu Hülfe käme, da Steffens und alle die es verstehn meinen, daß dies viel Einfluss haben könte ihm eine gute Versorgung oder Anstellung zu verschaffen, Reimer könte dies nun sehr leicht durch  wohl Johann Carl Reimer, Kaufmann in Greifswald [Schließen]seinen Bruder ; aber er müste auch diesen ja nicht merken lassen daß irgend jemand Veranlassung dazu gewesen. Schreiben Sie mir doch was Sie dazu meinen und überhaupt schreiben Sie mir bester Schleiermacher, ich habe recht lange nichts von Ihnen gehört und es hat sich seiddem so viel über mein schwaches Haupt zusammen gehäuft daß ich nicht mahl fähig bin Ihnen alles zusagen nach allem zufragen was meinem Herzen so nahe angeht. Die Herz bitte ich Sie herzlich zu grüßen und  korr. v. Hg. aus: Ihrihr aus meinem Briefe mitzutheilen da es mir leider an Zeit fehlt auch an  korr. v. Hg. aus: Siesie zuschreiben; einige Zeilen von  korr. v. Hg. aus: Ihrerihrer lieben Hand würden mich garzuglücklich machen, vieleicht thut  korr. v. Hg. aus: Siesie wohl ein Übriges für mich. –

den 13ten

Ich habe heute noch 2 Schülerinnen bekommen und um die böse Zahl keinen Tag stehen zulassen habe ich noch eine Cousine, ein recht liebes Mädchen, die ich hier erst kennen gelernt angeworben, die Sontags nach der Kirche zu mir kommen wird Stunde nehmen. Der Sontag hat hier durch die wahre Andacht mit welcher er noch gefeyert wird etwas sehr schönes. Wenn wir nicht in die Kirche gehn ließt die theure Hausfrau in Gegenwart aller Hausgenossen eine Predigt wozu sie die Einleitung mit einigen schönen Gesängen und einem kräftigen Gebeth macht, so wahr und innig wie eine Frau durch deren Liebe und Wohlthätigkeit hunderte von Menschen glücklich  | 30 sind, es nur kann. Seltsam klingt es vieleicht lieber Schleiermacher daß grade diese Stunden die für mich hier bey weitem die glücklichsten sind mir zugleich große Schmerzen machen aber ich glaube wenn mann viel gelitten macht wohl jede Freude zugleich einen Wehmüthigen Eindruck;  Luise Reichardt verlohr zwei Verlobte durch den Tod: den Dichter Friedrich Eschen sowie der Maler Franz Gareis. [Schließen] unwillkührlich wendet dann mein Herz sich zu den Entfernten Geliebten ich bethe für die, zu denen, die nicht mehr in dieser Wellt sind ich bethe für Sie,für meine geliebten Schwestern und die armen alten guten   Johann Friedrich Reichardt und seine zweite Frau Johanna Reichardt geb. Alberti, verw. Hensler sowie Friederike und Sophie Reichardt, Johanna Steffens und Juliane von Steltzer [Schließen] Eltern , und danke Gott wenn ich mein Herz durch Thränen erleichtern kann –. An Runge habe ich einen treuen Freund, es ist gewiß einer der liebenswürdigsten Menschen die es geben kann. Er ist leider wie ich in vieler Hinsicht hier ganz allein, das ist vieleicht Ursache daß wir gleich so vertraut waren als wenn wir einander lange gekannt hätten. Wenn Sie meine Schwestern sehn so grüßen Sie sie herzlich und theilen ihnen mit  Schadhafte Stelle [...] gutes von dem Fortgang meines Geschäftes  Schadhafte Stelle [...]ben, Sie mögen sich nun selbst ausrechnen wie wenig Zeit mir übrig bleibt zum schreiben. Seyn Sie tausend mahl herzlich gegrüst mein theurer lieber Freund und vergessen Sie mich nicht.   Anne (Nanny) Schleiermacher und Friederike (Riekchen) Reichardt  [Schließen]Wie geht es mit Ihrer Gesundheit? Die gute Nanny hat doch das Lied welches sie zuhaben wünschte von Riekchen erhalten? grüßen Sie sie wie auch Ihre liebe Frau die ich ohne  korr. v. Hg. aus: Siesie gesehen zu haben kenne, und herzlich liebe.

Louise R.

Wollen Sie mir nicht mahl Ihre Adresse schreiben?

Zitierhinweis

3362: Von Luise Reichardt. Hamburg, Sonntag, 12.11. bis Montag, 13.11.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007191 (Stand: 26.7.2022)

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