Berlin d. 4t. Nov. 09

Laß Dir herzlich danken liebste Schwester  wohl Brief 3328  [Schließen]für dein liebes Zettelchen – aber auch nur in einem Zettelchen für diesmal.  Schleiermacher hatte offenbar erfolgreich Laurenzi als Hauslehrer an Charlotte von Kathen vermittelt, vgl. Brief 3308.  [Schließen] Wir erwarten Laurenzi der es mitnehmen will jeden Augenblik und ich habe mich nur weggestohlen von nothwendiger Arbeit die sich jezt immer mehr häuft. Wegen unserer Reise verlasse ich mich mehr auf unsere beiden   Henriette Herz und Henriette Schleiermacher  [Schließen] Jetten – meine Mittheilungen werden nur so allmählig gelegentlich nachkommen. Beschreiben kann ich Dir nicht welche zwiefache Freude es mir gemacht   Henriette Schleiermacher und ihre Kinder aus erster Ehe  [Schließen] Jette und die Kinder mit den Meinigen bekannt zu machen und dann ihr mein schönes Vaterland zu zeigen. Und ich lobe mich noch immer tüchtig, wenn es auch ökonomisch etwas leichtsinnig war daß ich die Gelegenheit die noch winkte nicht verschmäht habe. Er wird uns Allen lange vorhalten dieser schöne Genuß, und der Zoll von Mißlingen oder [...](?)  über den ursprünglichen Text geschriebenZufällen den das Schiksal von uns genommen hat war so gering für diese lange Zeit daß wir uns eigentlich rühmen können ganz frei durchgekommen zu sein. Ich meines Theils bringe noch einen besondren Gewinn mit: ich bin nemlich meinen Magenkrampf, soviel sich(?) bis jezt rühmen läßt, ganz los geworden und genieße seit unserer Rükkunft einer Gesundheit wie ich mir ihrer lange nicht rühmen konnte. Aber eben weil ich doch nicht weiß wie lange es dauert genieße  | 45v ich es auch recht, und bin es mir jeden Augenblike ordentlich bewußt. Sonst aber daß ich dies köstliche Gut gleich zu Recht ordentlicher Thätigkeit angewendet hätte kann ich nicht sagen. Ich habe eine recht faule Periode gehabt gleich nach unserer Rükkunft, so daß ich auch zum Briefschreiben zu faul war. Es geht mir leicht so wenn ich zu voll bin. Nun hat sich der Fleiß recht gründlich wieder eingestellt, und nun häufen sich auch die Aufforderungen zur Thätigkeit so von allen Seiten daß ich nicht einsehe wie ich durchkommen soll diesen Winter.

Was die Universität betrift, von deren Errichtung ich grade bei unserer Ankunft in Gnadenfrei die erste Nachricht bekam: so fürchte ich mich noch immer mich der Freude recht zu überlassen. Es kommt mir noch gar nicht sicher vor daß wir Ruhe behalten und alles in der bisherigen Ordnung bleibt. Dann sehe ich auch unsere Reise noch nicht recht deutlich durch. Des Geldes wegen möchte es wol gehn aber wenn die Universität nach Ostern eröfnet wird so sehe ich gar keine Möglichkeit den Sommer abzukommen. – Doch das liegt alles im Schooße der Götter.

Laurenzi wird sich mit Dir gewiß bald einleben aber komme ihm etwas zu Hülfe in seinem Verhältniß mit Kathen dies glaube ich wird sehr nöthig sein. Denn er scheint mir eine gewisse Anlage zu haben sich in Verlegenheit sezen zu lassen womit man bei | 46 Kathen gar leicht verloren Spiel haben kann, was hernach schwer wieder zu  indossieren= ein Wertpapier an jemand anderen übertragen, der Übertrag heißt Indosso, Indossament. [Schließen]endossiren ist. Mir thut leid daß ich nicht weiß ob er Schach zieht. Nun Kathen wird es ihn wol lehren. Du weißt wol nicht daß Laurenzi, wenn kein Musiker, dafür ein Dichter ist, zumal  Im Jahr 1808 erschien im Berliner Verlag Maurer „Mnemosyne. Nachtfeier bei Berlins Denkmählern. Ein elegisches Gedicht“ (laut den Bücherverzeichnissen von Laurenzi). [Schließen]ein Gedicht von ihm Mnemosyne hat eine Zeitlang viel Aufsehen gemacht. Er weiß auch Naturgeschichte und das laß ihn doch bald mit den Knaben üben. Es fängt sich so leicht gelegentlich auf Spaziergängen an; die meisten Kinder finden Freude daran und es schärft so herrlich das Auge. Nun möge es Dir in jeder Hinsicht mit dem neuen Hausgenossen recht gut gehn.

Was Deine Knaben eigentlich für eine Ausflucht gemacht haben werde ich wol auch aus der Herz ihrem Briefe hören. – Dein Zettelchen hat Dich übrigens gerettet. Ich wollte Dich schon recht ernsthaft schelten daß gerade seitdem Du die Bedingung des freiesten gründlichsten Schreibens zwischen uns festgestellt hast, Du mir gar nicht mehr schriebst sondern immer nur der Herz. Ja ich wollte Dich scherzhaft fragen ob Du ihr eine ähnliche Bedingung gemacht hast, da sie mir, was mir ordentlich aufgefallen ist ihre lezten Briefe von Dir gar nicht mitgetheilt hat.

Unsern lieben Kathen grüße mir recht herzlich und sage ihm ich könnte gar noch keine Berechnung anlegen weil die Tresorscheine noch  | 46v in meinen Händen sind. Sie fangen sich jezt an etwas zu heben aber sehr langsam und stehn noch immer 38 pro Cent um welchen Preis ich sie noch nicht verkaufen will. – Ich habe ihm doch sonst keine Auslagen zu berechnen meines Wissens als die streitigen Reisekosten der Herz . Oder war noch etwas anderes dabei? hilf mir doch darauf ich habe es wie vergessen.

Leb wohl meine Herzensschwester und schreibe uns bald von Greifswalde . Es bleibt dabei daß dies nur ein Zettelchen ist und daß ich Dir nächstens ordentlicher schreibe. Grüße und küsse alle Kinder . Empfiehl mich  Schwiegermutter der Charlotte von Kathen, Christiane Theodore von Kathen  [Schließen] Großmama , und sage allen unsern Lieben ich wäre lange stumm gewesen aber das Schreiben würde nun bald kommen.

Dein treuer Bruder

Schl.

Zitierhinweis

3357: An Charlotte von Kathen. Berlin, Sonnabend, 4.11.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007186 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.