Berlin, den 18. Julius 09.

Lieber Freund. Nur weil ich Dir recht ausführlich schreiben wollte, ist es immer nicht geschehen. Ob ich heute zur Ausführlichkeit kommen werde, weiß ich freilich auch noch nicht, aber ich schreibe doch wenigstens und habe, um es gewiß nicht wieder zu unterlassen,  Weiter unten erwähnt Schleiermacher einen „Röder“, da Schlegel in Wien wohnte, könnte es sich um Ludwig Sigismund Anton Baron von Röder handeln.  [Schließen] einem sehr lieben Freunde das Versprechen gegeben, ihn nicht ohne einen Brief reisen zu lassen. Du wirst an ihm, wenn er Dich, wie ich hoffe, selbst sieht, einen Mann finden, wie jetzt alle sein sollten, ganz der Sache des gemeinen deutschen Vaterlandes ergeben, ohne alle kleinliche Nebenansichten, Absichten oder Rücksichten und Frau und Kinder dahinter lassend, um dem Rufe der Ehre und der Pflicht zu folgen. Er ist übrigens nicht mehr unbekannt bei Euch, und ich wollte nur sagen, daß er mein sehr lieber Freund ist, und Dich in Absicht auf alles, was mein Leben betrifft, wenn Du davon wissen willst, an ihn verweisen.

Wenn ich es wirklich auf die Ausführlichkeit anlegen will, muß ich ziemlich hoch herauf anfangen, denn ich habe noch über mehrere Deiner Produktionen mit Dir zu reden; nur leider weiß ich Dir nicht anders zu sagen, als daß sie mir sehr mißfallen haben,  Friedrich Schlegel: „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808), KFSA VIII, S. 105-433, vgl. Brief 2734. [Schließen]sowol das Buch über Indien als auch  Sachanmerkung:

Deine ... wie ich.] 
Vgl. Brief 2701.

Deine ... über Fichte] Friedrich Schlegels Rezension zu Fichte erschienen in: „Heidelbergische Jahrbücher der Literatur“ 1 Jg, 1. Abt. (1808), S. 129-159, vgl. KFSA VIII, S. 63-85, vgl. Brief 2734.

Stolberg] Friedrich Schlegels Rezension zu „Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Geschichte der Religion Jesu Christi“, in: „Heidelberger Jahrbücher der Literatur“ 1. Jg., 1. Abt. (1808), S. 266-290, KFSA VIII, S. 86-104.

Daß ... Capitel verwiesen,] Vgl. Brief 2734.
 [Schließen]
Deine Recension über Fichte und Stolberg , kurz alles, was in dieser Gattung seit Deinem Uebertritt zum Katholizismus von Dir ausgegangen ist. Das Buch über Indien hat mich philosophisch gar nicht befriediget und ich glaubte nach Deinem langen und ernsten Studium etwas gründlicheres und belehrenderes von Dir erwarten zu können. Die tieferen Winke, die sich hier und da zerstreut finden, sind doch so, wie man sie auch a priori hätte geben können. Daß Du mich besonders auf die philosophischen Capitel verwiesen, hast Du wol auch mehr gethan, um mir den Stoff zur Verwunderung nicht vorzuenthalten, als daß Du hättest glauben können, sie würden mir einleuchten. In Deiner Recension über den Fichte habe ich Deine große kritische Virtuosität nicht wieder erkannt. Eine Dir sonst unnatürliche Milde und Breite löset das Salz der Kritik ziemlich unschmackhaft auf, und Deine Recension über Stolberg habe ich verabscheut wegen eines treulosen jesuitischen Verfahrens gegen den Protestantismus, welches freilich nur diejenigen finden können, die so gründlich lesen wie ich.

Ich finde übrigens dies alles nicht überraschend oder wunderbar, sondern mit Deinem Katholizismus ganz natürlich zusammenhängend, aber weil dieser selbst uns so ziemlich schroff und unvorbereitet ist vom Himmel gefallen gekommen, so wünschte ich nichts sehnlicher, als daß Du uns andern die Brükken bautest von Deinen ehemaligen Ansichten zu den gegenwärtigen, sei es nun,  Vgl. Brief 2734. [Schließen]wie Du erst versprachst, indem Du uns Deine Philosophie und Theologie systematisch vorlegst, oder wie Du hernach zu wollen schienst, indem Du dich selbst historisch darstellst. Eigentlich hätte ich wol gar nicht nöthig, Dir das alles zu sagen, weil Du es ja wissen mußt auch ungesagt, wie mir aus meinem Standpunkte Deine jetzigen Bestrebungen auf diesem Felde erscheinen müssen.

 Schleiermacher spielt auf Friedrich Schlegels Gedicht in Rostorfs „Dichter-Garten“ (1807) an, auf die F. Schlegel ihn selbst aufmerksam gemacht hatte, vgl. Brief 2537, 6-13, KGA V/9. [Schließen] Vielleicht aber weiß Du nicht eben so ganz, welch große und innige Freude ich an Deinen Gedichten gehabt habe, nicht nur etwa an den älteren, die ich mit neuer Lust und Liebe wieder gelesen, sondern auch an den neueren ganz vorzüglich, die den tiefsten deutschen Sinn so athmen, wie wenig anderes. Hier finde ich Dich auch fortgeschritten in der Kunst, Du bewegst Dich weit leichter in den poetischen Formen als sonst, und Ton und Gedanken sind fast überall zu einem so reinen und durchsichtigen Ganzen verschmolzen, daß ich Dich neben der Freude und Liebe auch gar viel bewundert habe.  Friedrich Schlegel verfasste ein Sonett „Die Reden über die Religion“, in: „Athenäum“, Bd. 3, St. 1 (1800), S. 234; vgl. KFSA V, S. 301f.  [Schließen] So daß ich Dir, um dieser Lieder willen, auch gern verzeihe, daß Du jede Spur von mir aus Deinen Gedichten vertilgt hast, das Sonnet über die Reden gestrichen und die Verse im Musageten gelöscht. Du weißt, ich kann mich nur darüber freuen, wenn jemand mir seine Ueberzeugung ausspricht, also auch Du Deine so; und ich sehe wol ein, daß Dir in meinen Reden die Religion fast ganz muß verschwunden sein und nur die Irreligion herausgetreten. Nur thut es mir leid, daß Du damit zugleich ein Stück Deiner eigenen Lebensgeschichte aus Deinen Werken gestrichen hast.  Siehe den „Zusatz“ (später: „Nachrede“) über die Konversion zum Katholizismus in der 2. Auflage der Reden, OA 1806, S. 363-372 , vgl. KGA I/12, S. 313-318. [Schließen] Wie wir nun auch auf dieser Seite immer mehr voneinander abweichen – ich kann Dich nur in der größten Kürze auf die Zugabe in der 2. Auflage der Reden verweisen – und wie es immerfort mein ganzes Bestreben sein wird, die Christlichkeit und die historische Gültigkeit des Protestantismus in Wort und Werk auf das lauteste zu verkündigen, so werden wir doch immer Eins sein in deutschem Sinn und in der Liebe zu allem, was deutsch ist. Ich freue mich daher auch gar sehr über die Lebensbahn, die Du eingeschlagen hast. Da, wo Du stehst, wird wahrhaft für die deutsche Sache gefochten, wo ich stehe, wird sie vernachläßigt und verrathen, aber freilich auch nur von der Regierung, oder auch nicht von der eigentlich, sondern nur von der Person des Königs. Wenn diese nicht so schwer auf uns drückte, so würdet auch ihr dort weiter gekommen sein als  korr. v. Hg. aus: widerwieder jezt. Fahrt Ihr indeß nur fort so herrlich und tapfer siegen oder sterben zu wollen und nicht den Frieden zu suchen, so gebe ich die Hofnung zur Befreiung nicht auf, und auch von hier aus werden so viel Kräfte für die gemeine Sache in Thätigkeit gesezt werden, als nur ohne die Regierung möglich ist. In eben dieser Angelegenheit reiset mein Freund v. Roeder, dem ich nochmals wünschen will, daß er Dich kennen lerne.

Grüße mir Dorotheen herzlich und schreibe mir bald, wenn Dir so ums Herz ist. Ich wünschte nur jezt, Du könntest auch das Hauptquartier verlassen und dem Kienmayerschen Corps folgen, um die andern Deutschen recht lebendig aufzuregen, für die Du doch eigentlich mehr gemacht bist als für die Oestreicher unmittelbar. Ερρωσο, das ist doch jezt der beste Gruß. Ganz der Deine

Schleiermacher.

Den 24ten. Roeder ist leider gereist ohne den Brief.   Im Tageskalender 1809 notiert Schleiermachert als Überbringer „Kleist“ . Eine genauere Identifizierung der Person aus der weitverzweigten Kleist-Familie war nicht möglich, gegen Heinrich von Kleist, der für den Tugendbund in patriotischer Mission tätig war und in dieser Funktion Kontakte bis nach Östereich knüpfte, spricht neben der Titulierung als „weniger bekannt“, dass er sich einem Brief an seine Schwester Ulrike zufolge am 17.7.1809 in Prag aufhielt, vgl. Heinrich von Kleist: „Sämtliche Werke und Briefe“, Bd. 2 (1961), Brief Nr. 153.  [Schließen] Ein Anderer von unsern Braven, nur weniger bekannt, nimmt ihn nun mit. Aber wie viel Hofnungen sind, seit ich ihn schrieb, verschwunden durch Euren schrecklichen Waffenstillstand! Oestreich hätte doch sein Tilsit nur in Siebenbürgen finden sollen.

Zitierhinweis

3296: An Friedrich Schlegel. Berlin, Dienstag, 18.7. bis Montag, 24.7.1809 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007125 (Stand: 26.7.2022)

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