Halle den 1sten Jul 9.
Vgl. Brief
3277.
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Wäre ich nur
meinem ersten Gefühle der Freude über Ihren lieben Brief
gefolgt, bester Freund, so hätte ich Ihnen
augenbliklich mit umgehender Post schreiben müssen,
so entzükt war ich aus jedem Worte Ihres Briefes die
Freude ja eine recht ausgelassene hervorleuchten zu sehen. Tausend Seegen über Sie, theuerster Freund
und die Ihrigen, und mir das Glück Sie
bald in diesem, schönen Leben zu sehen was mir wohl
und weh thun würde, aber doch gewis
recht wohl.
Glauben Sie nur nicht daß ich mir Sie nicht als Gatte
und Vater denken könnte, es war mir im Gegentheil immer
etwas wunderlich Sie anders zu sehen; Sie kamen mir eher
immer als ein Strohwittwer vor, dessen Frau nur verreißt
ist. Auch mache ich mir gewis bei der ersten Gelegenheit
die Freude Sie in Ihrer neuen Würde zu sehen und
Ihre
liebe Frau nun einmal ordentlich zu sehen denn da ich sie nur
einmal vor mehreren Jahren bei der Herz in einer großen
Gesellschaft und mit meinen schlechten Augen
gesehen so will das nicht viel sagen. Ich schob es also auf Ihnen zu
schreiben weil ich täglich hofte Gelegenheit zu haben Ihnen
Auskunft über mancherlei interessantes was in unsrer Nähe
vorging zu geben, das Ding wird mir aber | 47v nun doch zu lang und Gott
weis wie lange Sie noch warten müssten wenn Sie darauf
warten sollten.
Die
Comödie hat zwar in unserer Nachbarschaft aber nicht bei uns
gespielt, vielmehr haben sich die
Oestreicher nach allen Gerüchten
denn weiter giebt es hier nichts nach
Grimma
und Wurzen
zurükgezogen,
seit einigen Tagen hört
man durchaus nichts davon. Das ganze Unternehmen,
eben wie das Vordringen in
Baireuth und nach
Nürnberg bleibt
räthselhaft.
Das Einzige ist
gewis, man lobt überall die strenge Mannszucht der
Oestreicher
und
klagt bitter über die Zügellosigkeit der Holländer
und
Westphalen
. Man hält immer den Punkt
wo der andere sich befindet für den wichtigeren
und so möchte ich denn auch jetzt in Berlin sein, wo ich
über manches Aufschluß zu erhalten hoffte,
vielleicht aber geht es Ihnen ebenso mit uns
und da würden Sie Sich größtentheils täuschen.
Vgl. Brief
3277.
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Es ist ein eigen Ding sich von einem
Freunde und wenn Sie es auch selbst sind,
sich eine Diät für die innren Angelegenheiten des Gemüths
verschreiben zu lassen. Man kann sehr wohl das
Richtige einsehen und es geht einem doch anders.
Blanc hatte Verlobungsabsichten mit Caroline
Wucherer, wurde jedoch von Schleiermacher über ein bereits bestehendes
Versprechen aufgeklärt und hätte sich mit Caroline Wucherer über seine
Gefühle zu ihr aussprechen können.
[Schließen] So ist es mit mir, und ich habe nur Hofnung daß
es besser werde wenn ich dem Geiste Zeit lasse sich
selbst zu gestalten, wobei ich gern gestehe daß ich
meine Kraft und Thätigkeit für etwas | 48
sehr geringes achte. Mir schaudert vor der Leere in
die ich versinken müßte wenn ich eigenmächtig ein
Gefühl unterdrükken wollte das nun einmal den Ton
meines ganzen jetzigen Wesens ausmacht; und sowie ich
überzeugt bin daß unsre Schicksale eigentlich nur
wir selbst, das treue Abbild unsres Wesens sind, so
glaube ich auch daß ich darin nichts
übereilen darf sondern dankbar die mir
wohlthuende Ruhe genießen muß während welcher mir
die endliche Auflösung noch nicht vor die Augen
tritt. Nur allmählig kann sich mein Gefühl
umgestalten wenn es überall sich je also gestaltet.
Freilich befinde ich mich dafür jetzt noch oft zumahl
wenn ich sie oft sehe in einer sehr schmerzlichen
Spannung aber ihre Gegenwart und
Freundschaft ist mir doch zu süß als daß ich
Vom Hg. korrigiert.
ich
wagen sollte da
einzugreifen was bei
mir wenn es gelänge nur eine widrige Stumpfheit
hervorbringen würde. Sie werden mich gewis bemitleiden vielleicht
verdammen lieber Freund aber Sie sind auch jetzt
zu glücklich um nicht etwas zu strenge zu sein. Sie ahnden
wohl daß es nach allem diesen mit den Arbeiten noch nicht
viel geworden ist. Daran liegt jedoch gewis nur ein sehr
kleiner Theil der Schuld bei mir, denn die aus meiner Lage
hervorgehende Unlust zur Arbeit würde ich gewis
überwunden haben und werde es auch, aber es haben
sich die letzte Zeit | 48v viel Stöhrungen
eingefunden, erstlich meine Reise, dann die
doppelte PastoratsArbeit, Blanc ordnete wohl einen Teil der Bücher seines
Kollegen Marcus Phillip Ludwig de O'Bern.
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dann die Anfertigung des Catalogus der
Bücher meines Collegen woran ich seit 6 Wochen
täglich 3 bis 4 Stunden gearbeitet habe und doch heute erst mit
Steffens an die LandKarten
zu gehen denke,
dann die vielen politischen Unruhen die uns wirklich
hier manchen Tag geraubt haben
endlich die Anwesenheit verschiedener Fremder
z.B. Im Vergleich mit Steffens’ Schilderung vom
9.2.1810 ist wohl Karl Sieveking aus
Hamburg
gemeint, vgl. Brief.
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Siebekings aus
Göttingen
,
Reimers
, und Steffens jüngster Bruder Peter reiste mit Ernst
Ludvig von Berger, des jüngere Bruder des mit Steffens befreundeten
Philosophen
Johann Erich von Berger
, nach Halle, vgl. „
Was ich erlebte
“ (1840–1843), Bd. 6, S. 210.
[Schließen]Steffens Bruder mit dem Rittmeister Berger
worüber Ihnen
Steffens mehr schreiben wird,
so bald wir Nachricht von korr. v. Hg. aus: ihnenIhnen
erhalten haben was leider noch nicht geschehen ist.
Vgl. Brief
3190.
[Schließen]Sie sehen an Vorwand fehlt es mir eben nicht,
auch nicht an Beschäftigung
da ich außer manchen kleinen
Geschäften die ich beibehalten mußte
täglich 2 Stunden bei
Steffens
Natur
Philosophie
und Physiologie
höre
. Wie es mit dem Augustin
werden wird weis ich nicht,
wahrscheinlich lese ich ihn allein,
Rienäcker hat
mehr Lust sich über Ihre
Friedrich Schleiermacher: „Grundlinien einer
Kritik der bisherigen Sittenlehre“ (1803)
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Grundlinien der Kritik
zu machen was allerdings
höchst nöthig ist und wo wir beide nur wohl kaum
hinreichen werden uns durchzuarbeiten. Wundern Sie Sich
nicht daß ich von doppelten Pastorats Arbeiten
spreche da Sie Vereinigung der deutsch-reformierten und
französisch-reformierten Gemeinden in Halle
[Schließen]die Vereinigung schon längst eingerichtet glauben dem ist aber nicht
so, noch heut früh glaubte ich die Sache in weitem
Felde und nur so eben erfahre ich vom Gemeint ist wohl der Unterpräfekt des Distrikts
Halle, Friedrich Ludwig Schele.
[Schließen]Präfecten daß die Bestätigung unsrer | 49 Vorschläge eingelaufen ist so daß die Sache in einigen
Wochen wirklich in Gange sein wird. Gottlob denn ich hatte
das incognito predigen und die Quälerei
mit einer unbiegsamen Sprache herzlich satt. Nächstens also
sollen Sie mehr davon hören. Ich verhehle es nicht daß ich
mit einer gewissen Bangigkeit an das Werk gehe indem ich durch
Correspondenz und Gespräch verwöhnt und
im deutschen Kanzelvortrage noch sehr ungeübt
befürchte einige Mühe zu haben den rechten Ton zu
treffen.
Vgl. Brief.
[Schließen]Es freut mich daß Sie mit einiger Zuversicht die Einrichtung der
Universität in Berlin
zu erwarten scheinen,
ich muß Ihnen gestehn mir kamen seit einiger Zeit
die Sachen so toll in Preußen
vor daß ich glaubte entweder Halle wieder hergestellt zu sehen oder daß überhaupt für Sie
wenigstens von einer Universität in Berlin gar nicht die
Rede sein könnte je nachdem der endliche Kampf
abliefe.
Preußens Benehmen ist nächst dem
Rußischen wohl das räthselhafteste
was es giebt. Gott gebe daß es
gut ende.
– Susanne Stubenrauch, vgl. Brief
3277.
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Ich bedauere Ihrer Tante keine bessre Nachrichten wegen der
O'Bernschen Erbschaft geben zu
können aber es ist kein Testament
vorhanden sondern eine bloße Schenkung
an seine letzte Frau, ich habe die Abschrift
gesehen worin Ihrer Tante mit keiner Sylbe erwähnt wird, doch
spricht die Wittwe häufig von dem Original welches
wie sie sagt einige Legate enthielte sobald Sie es
bekommen hat will ich Ihnen Nachricht geben ich
zweifle aber daß es mehr enthalte | 49v als die
gerichtliche Abschrift.
Steffens fängt an ernstlich böse auf Sie zu werden
und wenn ich nicht zu sehr durch Ihren Brief
bestochen wäre so könnte ich ihm wohl nicht Unrecht
geben.
Rienäcker ist ziemlich wohl seine
Frau weniger, sie und alle
Patienten der Stadt, ja selbst die gesunden beeifern sich die neuen
Bäder hier zu benutzen die wirklich durch Reils
unermüdliche Thätigkeit in Aufnahme zu kommen
scheinen. Ich kann Ihnen
nicht sagen was der
Rienäcker für ein herrlicher Mensch ist es
ist ein rechtes Glück für mich daß ich ihn habe
und ich freue mich auf die nahe Zeit wo ich mit ihm und
Dohlhof in so enger Amtsverbindung sein
werde
.
Bald hätte ich vergessen Sie zu fragen ob die
Stelle eines Professors anatomiae in
Königsberg
schon besetzt ist oder nicht,
Meckel
wünschte es zu wissen, doch dies bei
der veränderlichen Laune des Mannes ganz unter uns. Ferner sagte mir
mein Küster eine Frau bei welcher ein Student Nahmens Leopold
gewohnt habe ihr gesagt dieser
Student sei ihr 8 r. schuldig geblieben bei seinem Abgange
anno 6. Diese Schuld hätten
Sie übernommen und dafür die Bücher des
Studenten an sich genommen. Was wissen Sie davon?
Es ist möglich ja beinahe wahrscheinlich daß
Harscher wieder
nach Halle
komme er
hat sich neulich bei mir über den Zustand der hiesigen
medizinischen Anstalten erkundigt. Nun leben Sie herzlich wohl
theurer Freund, und lassen Sie Ihre Besuche nicht
gar zu selten sein. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau
und sagen Sie Anne (Nanny) Schleiermacher
[Schließen]
Nanny
ich dankte ihr herzlich für ihren freundlichen
Gruß.
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