Berlin d 27t. Junius 09 Kanonierstraße No 4
Freilich lieber Freund bin ich ein sehr böser Schuldner und bei gar keinem
andern wäre auch nur eine Entschuldigung anzubringen als nur
bei Ihnen Vgl. Brief
3193.
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da Sie Selbst über die unthätig machende Kraft der
Liebe klagen und dies also auch bei mir müssen
gelten lassen. Ihr lezter Brief kam noch dazu so
kurz vor meiner Abreise der großen Verwandlung entgegen daß
an kein Schreiben mehr zu denken war; auch nicht einmal in
der lezten Nacht vor der Reise konnte ich dazu kommen. Nun
bin ich seit dem 18ten Mai verheirathet und seit
Anfang dieses Monates hier. Ich will Ihnen zwar wünschen
daß Sie Ihren Ehestand unter besseren Auspicien anfangen
mögen als ich – denn abgerechnet die gänzliche
ökonomische Gehaltlosigkeit in welche ich meine Frau
hineingeführt habe, mit dem Heirathen im reinen
Widerspiel mit allen andern Menschen wartend bis ich rein nichts
hatte, so habe ich von dem Magenkrampf mit dem ich mich den
ganzen Winter quälen mußte einen neuen Anfall in den
Ehestand mitgebracht,
dann haben die beiden
Henriette Pauline Marianne und Ehrenfried von
Willich
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Kinder
die die schönste Mitgift meiner Frau sind
einen Rükfall vom Fieber bekommen und sie selbst hat sie abgelöst
mit den heftigsten Zahnschmerzen. Dies also machen Sie mir
nicht nach aber glauben Sie immer auch | daß solche Lumpereien dem Glük eines schönen
Lebens keinen Eintrag thun können. Nächst meinem herzlichen
Glükwunsch nun zu den doppelten Fesseln der
Professur und der Braut lassen Sie mich Ihnen meine Freude
bezeugen über Ihre Unthätigkeit deren Sie Sich rühmen wenn
anders etwas wahres daran ist. Ruhen Sie Sich
wenigstens diesen Sommer gründlich aus denn Sie
haben soviel vor sich zum Winter und haben vorher so
fürchterlich viel gearbeitet, daß unser einer sich nicht
nur schämen muß wie ein Hund, sondern auch im Ernst bange
sein um Sie ob Sie es auch ausführen werden. Vgl. Brief
3193.
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Daß Sie nicht nach Königsberg gegangen
sind thut mir zwar leid für die dortigen Leute; aber ich
kann es Ihnen nicht verdenken. Mit der Obscurität zwar
kommt wol sehr viel auf den guten Willen an aber
das Klima und die Entfernung von Deutschland sind
Gründe genug.
Sie wissen was für ein guter Preuße ich bin;
aber ich bin ziemlich entschlossen wenn unser König wie es sehr
leicht kommen kann durch sein unthätiges und schwankendes
Wesen sich um seine deutschen Provinzen bringt,
ihm über die Oder oder gar
über die Weichsel nicht nachzuziehen
sondern es dann lieber zu
suchen wo sich anderwärts auf leidlich deutsche Weise
unterkommen läßt.
Wäre ich eher zum Schreiben gekommen so hätte |
ich Ihnen einige Ausstellungen gemacht über einiges von
Gemeint ist August Boeckhs Schrift „Graecae
tragoediae principum, Aeschyli, Sophoclis, Euripidis, num ea quae
supersunt et genuina omnia sint“ (1808).
[Schließen]Ihrem Raisonnement in der Schrift von den
Tragikern: ich höre aber – denn selbst gelesen habe ich nicht,
wie ich auch Mit „wir“ ist wohl die Berliner Gruppe um
Schleiermacher gemeint, insbesondere
Buttmann
als (Mit-)Herausgeber und
Reimer
als Verleger des „Museum der Alterthums-Wissenschaft“. Gemeint ist vielleicht
das Manuskript zu August Boeckhs Schrift „Über die Versmaße des
Pindaros“, kurz darauf publiziert in: „Museum der
Alterthums-Wissenschaft“, hg. von. Friedrich August Wolf und Philipp
Buttmann, Berlin in der Realschulbuchhandlung 1808-1810, Bd. 2, S.
168-362.
[Schließen]was wir handschriftliches von Ihnen hier haben noch
nicht kenne
– Gemeint ist das Manuskript zu Gottfried Hermanns
Schrift „De choro Eumenidum Aeschyli Dissertatio Prima“ (publ. erst
1816) jetzt in: „Opuscula“, Leipzig: Fleischer 1827, Bd. 2, S.124-138,
das von Hermann für das „Museum der Alterthums-Wissenschaft“ eingereicht worden war,
später aber zurückgezogen wurde (siehe ebenda S. 124).
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daß Hermann das
meiste berührt hat der aber wol auf der anderen
Seite mag zu weit gegangen sein.
Ihren und meinen platonischen Widersacher Herbart habe ich
auf seiner Durchreise gesprochen. Ich habe viel mit ihm
verhandelt und mich an der Offenheit und Lebendigkeit des
Mannes erfreut aber ergözt hat mich auch wie einseitig er
ist und wie
vernagelt nach manchen Seiten hin. Die platonische habe ich
nur berührt und gleich gemerkt daß da nichts zu thun war,
er war seiner Sache viel zu sicher.
Johann Friedrich Herbart veröffentlichte 1808
seine „Allgemeine Praktische
Philosophie“.
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So hat mich auch erfreut die Aeusserung daß meine Ethik
nach dem was ich ihm davon sagte etwa ein wohl
ausgearbeitetes Fünftel der seinigen wird, denn
einen so großen Gewinnst noch nach dieser Seite hin
zu machen hatte ich kaum mehr gehofft.
Friedrich Schleiermacher: „Platons Werke“, Bd.
2,3 (1809)
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Am fünften Bande meines Platon
wird nun gedrukt; ich fürchte nur man wird ihn leichtsinniger gearbeitet
finden als die früheren, was sich zumal nach der langen
Pause gar schlecht ausnehmen muß.
Aber bedenken Sie lieber Freund daß ich dann nur
noch die Republik habe zwischen mir und dem Timäus und Gesezen
und daß ich danach schmachte Ihre Belehrungen über diese
recht vollständig beisammen zu haben ehe ich
daran gehe.
August Boeckhs Rezension zu Friedrich
Schleiermachers Platon-Übersetzung erschien in: „Heidelbergische
Jahrbücher der Literatur“, 1. Jg., H. 1 (1808), S. 81-121.
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Wo ich nicht irre habe ich mich auch noch
über manches in Ihrer Kritik meiner Uebersezung zu
rechtfertigen aber ich muß es leider wieder | aufschieben denn
ich habe die Aktenstükke nicht bei der Hand.
Vgl. Friedrich Schleiermacher: „Platons Werke“,
Bd. 2,3 (1809), S. 21f. Zur Philolaus-Kontroverse zwischen
Schleiermacher und Boeckh vgl. „
Platons Werke
“, Bd. 1,1 (2. Auflage, 1819), S. 372 (KGA IV/3, S. 84) sowie
das Buch von August Boeckh „Philolaos, des Pythagoreers Lehren nebst den Bruchstücken seines
Werkes“ (1819), S. 14 f.
[Schließen]Was den Philolaus betrift so werden Sie in diesem Bande meine Behauptung simpliciter wiederholt finden
daß ich die Aechtheit der Fragmente nicht
anerkennen kann. Es blikt auch wol etwas von meinen Gründen zwischen
durch
Angespielt wird auf Johann Friedrich Ferdinand
Delbrücks Werk: „Ein Gastmahl. Reden und Gespräche über die Dichtkunst“
(1809).
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Was sagen Sie nur zu dem schönen Platonisirenden Product unseres
Delbrük? ich habe meine große Freude daran gehabt wenn es gleich nicht
in die innerste Tiefe der Sache hinabsteigt.
Wir sind nun in Gefahr ihn sowol als Heindorf nach
Königsberg hin zu
verlieren.
Doch lassen Sie das
unter uns bleiben; es soll glaube ich noch nicht davon
gesprochen werden. Ich finde es sehr natürlich
daß Heindorf
die Schularbeiten satt hat und sich auch nach einem
Katheder sehnt; nur fürchte ich auch für seine jezt wieder
ziemlich hergestellte Gesundheit von dem dortigen Klima. Für
mich wird sein Verlust unersezlich sein.
Leben Sie wohl für diesmal und geben Sie die Einlage an den treflichen Daub. Hat Creuzer schon von sich hören lassen wie es ihm in Leiden gefällt? Von meinem neuen Amt lohnt nicht daß ich Ihnen sage wie es mir behagt. Meine Lage wird ganz davon abhängen ob die Universität hier noch zu Stande kommt. Bis jezt ist alles still davon. Ganz der Ihrige
SchleiermacherZitierhinweis
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