Poseriz den 21ten Apr. 9
„Vernehm’ ich Dich, so wendet sich, o Theurer, Wie sich die Blume nach der Sonne wendet, Die Seele, von dem Strahle Deiner Worte Getroffen, sich dem süßen Troste nach.“ Johann Wolfgang von Goethe: „Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel“ (1787), vierter Aufzug, vierter Auftritt.
Manches theure Wort hast Du mir gesandt lieber Bruder, was wohl
seine Krafft an mich bewiesen hat. Recht tröstend ist mir
auch der Rath gewesen, mir die Trennung von
Henriette Charlotte Sophie von Willich
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Jettchen
und den die Kinder von Henriette von Willich aus erster
Ehe, Henriette Pauline Marianne von Willich und Ehrenfried von Willich
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Kindern
nicht zu
gründlich zu denken – Im Grunde ja, ist es keine
Trennung, so lange man in einer Welt zusammen lebt. Lieber
Schleier ich muß es Dir noch ein mal sagen, was Du freilich
ja weißt, wie wir alle Dich mit so herzlicher Liebe als
unsern Bruder entgegen sehen. Du kömst nun bald, bald reisest Du
dann wieder, und nimst sie mit, Du umfast sie mit Deiner Liebe, und Ehrenfried von Willich, Luise von Willichs Bruder
und erster Ehemann der Henriette von Willich
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Ehrenfried
umfast Euch wieder – schöner konnte es nicht kommen, und
nur so konnte es kommen – Er umfast Euch mit seiner Liebe –
und auch mich wird seine Liebe vom Himmel herab nicht
laßen, nicht wahr Schleier? O mein Bruder mein
lieber lieber Ehrenfried!!
–
Es handelt sich offenbar um die von Luise in Brief formulierte Frage; ob Schleiermacher in einem Brief oder mündlich
antwortete, ist unklar.
[Schließen]Wie einleuchtend ist es mir lieber Schleier wenn Du sagst, korr. v. Hg. aus: dasdaß
der lezte Augenblick des Besinens bei einem
Hinscheidenden, auch der lezte des Lebens sey – so
recht hab ich's empfunden bei dem Tode unsers Ehrenfrieds – ach immer
wieder und wieder ging ich
| 45v zu ihm in den lezten
Stunden – aber immer fand ich ihn
nicht mehr – Vgl. Brief.
[Schließen]Warum ich nicht an Dich schrieb lieber Bruder am
2ten Februar? warum ich mit Jettchen
nicht redete? – Ach Schleiermacher Sieh, ich bin dann zu Schmerzlich
noch bewegt, und das ist Dir nicht lieb, und Euch allen
nicht, und ich kanns doch nicht enden. Sagst Du nicht
selbst, selbst Du kanst mir nimmer das werden
was Ehrenfried mir war – ? Dies Unersetzliche – diese
gänzliche Hoffnungslosigkeit, die
macht den Schmerz so weh, so ewig – Die Quelle dieser Anekdote konnte nicht ermittelt
werden.
[Schließen]War es nicht eine Römerin der die Entscheidung gelaßen ward, ob sie
ihren Gatten oder ihren Bruder dem Tode
geopfert sehen wollte? – Laßt mir den
Bruder sagte sie, einen Bruder kann ich nicht wieder bekommen,
weil meine Mutter todt ist. Und hat Jettchen nicht
wieder gefunden was sie verlohr? Jettchen
konntest Du wieder geben, was sie verlohr – zwar Er sagte „Luise Du sollst
nie verlaßen sein“ er wird auch nun noch mich
nicht verlaßen – ach Schleier wie ich mich zu ihm hin
sehnen kann, ich kann dies nicht beschreiben – Aber nicht
mit Ungeduld, nein lieber Bruder, so nicht, aber
Sieh es ist mir oft im Geist, als sei er mir ganz nahe, als
sei er noch in unsrer Welt, oft auch wieder ganz anders ich
weiß korr. v. Hg. aus: dasdaß
er verschwunden ist – und doch fühle ich seine
Nähe so innig – besonders wenn ich | 46 draußen bin – lieber Schleier – nenne die wehmütige Sehnsucht
die ich dann empfinde nicht Schwäche – das must Du nicht,
diese Sehnsucht
empfinde ich nur wenn mein Gemüth rein und frey ist – ! Diese
Sehnsucht führt mich dem ewigen Glük, dem einzigen Ziel
entgegen.
Es war so stille wie ich anfing zu schreiben – der Sohn Henriette von Willichs, Ehrenfried von
Willich
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Friedchen
hatte ich sein Butterbrodt geholt,
Jettchen eingegeben, nun wird es zu laut – die Wirtschaft ist erwacht
– ich hätte gerne mehr noch geschrieben – Aber ich will nur
aufhören damit Jettchen
schreiben kann, beide könen wir nicht gut – Von den Kindern sage ich Dir nichts, Du siehst sie nun bald selbst,
und Dein Herz wird sich Freuen. Und – wenn Du
nun nicht mehr hir bist mit Jettchen und den
Kindern – so
werde ich es doch nicht anders wünschen – ich
werde nicht wünschen wenn doch Jettchen und die
Kinder
noch hir wären, Nein Schleier – ziehet hin in Frieden unser
aller Gott mit Euch!
Wäre nur Schlichtkrull erst ganz beßer – bekämen nur die Kinder nicht das Fieber wieder doch es wird ja alles gut werden.
Lieber Bruder!!
Luise
Warum hast Du nicht einmal an
Sophie Schlichtkrull
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Sophie
geschrieben Du hast sie doch gewiß
auch lieb, und sie ist sehr gut – und – ich mögte nicht in ihrer Stelle
sein
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