Sonntag d 16t. Abend.
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Vgl. Brief
3158.
[Schließen]Sei doch ja ganz ruhig liebste Jette wegen meines Verhältnisses so zu
den Leuten überhaupt. Ich kenne das schon seit so
langer Zeit und es hat gar nichts zu sagen. Es ist
gar nicht anders möglich als daß Viele mich
mißverstehn und daß sich Einige an mir ärgern und
daß ich Andern ein Dorn im Auge bin. Um das zu ändern müßte ich mich selbst in meinem
innersten Wesen ändern und das wirst Du doch nicht wollen.
Daraus nun entwikkelt sich von Zeit zu Zeit so stoßweise
eine ganze Masse von Afterreden von
Verläumdungen, von dummen Klatschereien ohne böse
Absicht, von Vermuthungen aus denen Geschichten
werden und was dergleichen mehr ist. Ich gehe
meinen Weg ganz ruhig fort ohne mich daran zu kehren und
ohne mich danach umzusehen. Am liebsten ist es mir wenn ich
gar nichts davon erfahre; indeß trift sich das so schadet es auch nicht.
Es stört mich selten länger als den ersten Augenblik.
Theils habe ich ein ganz eigenes glükliches Talent zu
vergessen theils bin ich auch so ganz darüber weg, daß ich
wirklich wissen und auch daran denken kann daß ein Mensch
das albernste oder auch das boshafteste Zeug von mir
geschwazt hat ohne daß das auf mein Betragen
gegen ihn den mindesten Einfluß hat und fast so wenig Sinn
als ich für die Eifersucht habe habe ich auch für die
Rache. Durch mein ruhiges Mitansehen geht dann der Sturm
immer wieder über, Schleiermacher spielt hier wohl auf das
Sprichwort an, daß man Wind sät und Sturm erntet (Hosea 8,7).
[Schließen]ausgenommen freilich daß Samen zurükbleibt zu
einem neuen. Das treibe ich nun schon fünfzehn Jahre zuerst in einem
kleineren hernach | 61v in einem
größeren Kreise und ich kann nicht sagen
daß es meiner Wirksamkeit wesentlich geschadet hätte
wenigstens nicht halb so viel als wenn ich mich hätte
weniger frei bewegen und meine Eigenthümlichkeit verläugnen
und also von vorn herein mit einer gar sehr geschwächten
Kraft wirken wollen.
Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten, vgl. Brief
3203.
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Was Alexander jezt so beunruhigt
kann ich mir kaum anders erklären als daß Ohrenbläsereien
die bis zu seinen Collegen oder vielleicht gar bis zum König Friedrich Wilhlem III. von Preußen
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Könige
gedrungen waren ihm in den Weg getreten sind bei
allerlei Projekten die er mit mir mag gehabt haben. Das mag
aber gerade recht gut sein.
Sonst wäre mir freilich grade das in dieser Art das
fatalste wenn der König mich in einem gewissen Sinne
verkennte da ihm das Gegentheil so klar vor Augen liegen kann; ich
würde es aber doch auch als eine reine Naturbegebenheit
ganz gelassen annehmen und übergehn lassen.
Montag Abend spät. Ich kann immer nur auf einzelne kleine
Augenblikke zu Dir kommen liebste Jette die
Buschelei ist unerhört, so daß ich so gar Abends wenn ich
mit Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
Thee trinke gar nicht mehr vorlese sondern nur immer
weiter buschle. Heute Abend
hatte beim Thee der Tischler eine große Audienz.
Uebermorgen geht nun die Kramerei mit den Büchern an, die
aber so wenige es auch sind nicht in einem Tage abgeht weil
die Bretter auf denen sie jezt
steht
über den ursprünglichen Text geschriebenstehn
müssen aus einander genommen und dort anders aufgebaut
werden. Morgen ist ein ganz buschliger Tag. Da habe ich
erst in der Kirche eine Rede zu halten bei der Wahl der
Stadtverordneten dann will ich zur Wohl Frau von Mühlenfels, Großmutter der
Henriette von Willich
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Großmutter
gehn.
Dann habe ich Schleiermacher hörte bei Diedrich Ludwig Gustav
Karsten Mineralogie, Einträge dazu finden sich im Tageskalender 1808 und
1809.
[Schließen]das
Collegium (nemlich das was ich höre); die die ich lese habe
ich am Sonnabend glüklich been | 62digt, und Nachmittag habe ich eine Taufe vor der
Stadt wo eine große Gesellschaft ist und wo wir wol bis
spät Abend werden bleiben müssen –
Uebrigens ist ein großes Ereigniß vorgefallen –
nicht etwa daß die Oestreicher bei Nürnberg stehn, und einige
Nachrichten zufolge auf der andern Seite auch
schon in Warschau
– sondern daß eine Art von
Richtigkeit gemacht worden ist über unsere Abreise.
Nemlich es ist ein Meklenburger hier ein
Bekannter von Reimer, der
soll uns nun (zu dem Wagen der auch aus Königsberg zurük ist) Pferde aus
Neubrandenburg
herschikken,
und der Tag ist festgesezt
auf Mittwoch über Acht Tage den 26ten so
daß wir Sonnabend bei Dir sein können wenn alles geht wie
es soll. Und dann einzige Jette ist dies der lezte
Brief den Du bekommst; denn wollte ich Sonntag noch einen
abschikken der käme gewiß später an als wir. Eigentlich
hätte ich besondere Lust über Glewizer Fähr zu kommen
damit ich Niemand nicht die Cummerow und die
Israel eher spräche
als Dich.
Wenn es sich nur wird so
machen lassen
Vgl. Brief
3184.
[Schließen]Ich weiß nicht wie mir eben etwas aus deinen lezten Briefen einfällt
was mir große Freude gemacht hat, daß über der Zeiledu
nemlich gewiße Eigenthümlichkeiten der
dortigen Menschen so rein objectiv ansehn kannst ohne
selbst darin befangen zu sein. Es ist wol gewiß
weniger Vorbildung darin als nur Beschränktheit
Unbekanntschaft mit vielen Entwiklungen der
menschlichen Natur und daher Mangel an Sinn für
manche schöne Seite derselben die sie dann mit dem
verwechseln was sie nur gewohnt sind in Verbindung
mit einer gewissen Rohheit zu sehn.
Ich habe schon so manche Aehnlichkeit
zwischen Rügen und England aufgefunden.
Auch dies ist, wenigstens was
die Frauen betrift eine starke. | 62v Aber Du, meine Jette dürftest davon nicht
sehr angestekt sein, sonst hättest du mich auch nicht so
recht ordentlich lieben können – denn ich gebe doch auch gewiß
manchen Anstoß in dieser Art. Die Männer sind
übrigens doch nicht alle so;
unser
Heinrich Christoph von Willich, Bruder des verstorbenen Ehrenfried von
Willich
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Bruder
in Sagard zB
hat nichts davon, dein
Friedrich von Mühlenfels
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Bruder
wol auch schwerlich viel. Aber ich muß nun wahrhaftig zu
Bett denn ich muß Morgen früh heraus sonst möchte gar
nichts aus meiner Rede werden.
6(?)
Donnerstag. Nach gerade wächst mir die Confusion über den Kopf
denn nun bin ich aus meiner Stube vertrieben weil da Bücher
ausgestaubt werden die man heute ins Kanonierhaus transportirt und die
ich Morgen dort aufstellen muß. Der Saal ist nun beinahe
fertig aber in Nannys Stube
die vor der Hand unsere Wohnstube wird hat der Maurer
schlecht gearbeitet, und es muß erst ein zweiter
drüber her ehe der Maler anfangen kann; die wird also auf
keinen Fall fertig ehe wir reisen noch weniger ehe der
Fuhrmann kommt mit den Sachen und diese werden müssen unterdeß
in dem Saal zusammengepakt werden.
Vgl. Brief
3202.
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Uebrigens möchte ich ein bischen
schelten auf
Henriette Herz
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Jette
da sie doch mit dem preußischen Wesen so gut
bekannt ist daß sie dir nicht bestimmtere Anweisung
gegeben hat wegen des Fuhrmanns. Sie muß doch recht
gut wissen daß er auf den Pakhof fahren muß und daß
es dann bei mir steht entweder dort oder im Hause
visitiren zu lassen so daß es auf keinen Fall
nöthig ist ihm die Schlüssel offen zu
übergeben. Auch
schließe ich aus allem was Du schreibst daß die
Meublen ohne alle Art von Emballage sich auf dem
Wagen befinden, da werde ich sie gewiß gleich
müssen in Reparatur geben zum Tischler.
Uebermorgen erwarte ich nun den
Fuhrmann | 63 spätestens.
Die arme
Brenna de Lemos, eine Schwester der Henriette
Herz
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Brenna
war Dienstag Mittag bei uns, ging von da zu Reimers
hat sich da wahrscheinlich zu lange aufgehalten und sich
erkältet. Nun
hat sie wieder sehr heftige Schmerzen und hat das Reisen
ganz aufgegeben zumal
das Wetter bei uns jezt sehr rauh ist. Indeß kann sie freilich
leicht noch ganz besser werden und mitreisen – nur sehr
zureden werde ich ihr nicht und sie wird wol selbst so
vernünftig sein sich an die Meinung ihres
Arztes zu halten – aber die arme wenn sie zurükbleiben muß!
sie hat sich so sehr auf die Reise gefreut. Und Jetten wird es gewiß auch rasend leid
thun. – Etwas hat sich an der Reise wieder geändert aber nur
daß wir uns Pferde bis Neubrandenburg von hier nehmen müssen.
Dann meinte aber Brenna die 17 Meilen von Brandenburg bis Greifswalde wären so
klein
daß wir sehr leicht wenn wir etwas früh ausführen schon den
dritten Tag Freitags nach Poseriz kommen könnten
wenn wir über Glewizer Fähre gingen
zumal. Ist das nun
wirklich möglich zu machen so thun wir es gewiß – aber Du
siehst mit dem Entgegenkommen wird es eine mißliche Sache.
Nur wenn recht gutes Wetter ist und kein
nachtheiliger Wind kannst Du Dich ziemlich
gewiß darauf verlassen daß wir Freitag Abend
über Glewizer Fähr
ankommen.
Erwarte nur nicht daß ich Dir ein vernünftiges Wort sagen soll ich bin
viel zu confus. Desto lieber muß es Dir sein daß die
Correspondenz zu Ende geht. Es ist wie mit dem Tode den
auch nichts mehr erleichtern muß als wenn man sieht daß es
mit dem Leben doch nicht mehr recht gehn will.
Ich hätte so gern noch an unsere beide wohl Charlotte von Kathen und
Charlotte
Schleiermacher
[Schließen]Lotten geschrieben
und an große Jette aber es geht alles nicht.
Sage ihnen nur sie verlören gar nichts dabei das könntest
du ihnen aus
meinem
über den ursprünglichen Text geschriebenDeinem
eignen Briefe aufs deutlichste beweisen. Jette glaubt es ohne
Beweis die weiß schon wieviel ich werth bin in der
Buschelei – – Wenn wir hier
ankommen wird die | 63v Buschelei
auch groß genug sein aber ich werde viel lustiger dabei
sein weil Du eben da bist und wir wollen recht viel Scherz
damit treiben und zwischendurch der Verwirrung recht viel
liebe zärtliche Augenblike abstehlen – Zum lezten Male
schreibe ichs Dir nun daß ich ganz ganz Dein bin.
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