D 13t. Ap. 9. Abends
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Nichts frohes noch angenehmes kann ich Dir heute sagen, sondern nur
trauriges mein innig geliebter Ernst – nicht allein daß unser Ehrenfried von Willich (d.J.)
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Friedchen
vorgestern wieder vom Fieber befallen ist – auch unser Henriette Pauline Marianne von Willich
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Jettchen
hat seit heute Mittag Fieber und da es jezt sehr
abgezogen zu sein scheint und sie ruhig schläft so ist es
ohne Zweifel auch kaltes Fieber. Schon lange
fürchtete ich für sie weil sie oft so blaß war
und habe sie deshalb sehr in Acht genommen, ich
kann mir also gar keine Ursache erklären als daß die Luft
schuld sein muß. Friedchen hat gleich gestern
Medicin erhalten vielleicht geht es mit ihm leicht vorüber,
bei Jette darf ich das nicht hoffen weil sie
noch nie krank war ohne es recht ernstlich zu sein. Morgen schikken wir nach
In Bergen wohnte der Hausarzt Moritz von Willich.
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Bergen
Was wirst Du nur sagen
Herzens-Ernst! mich macht es ganz traurig und
verzagt – wie es die lieben Geschöpfe nun wieder herunter
bringt! und sollte noch einmahl dies Jahr ein Frühling
kommen so werden sie ihn gar nicht genießen können
und ich dann auch nicht. Die Jette ist so rührend zärtlich und geduldig,
der Junge hingegen sizt im Bette und
commandirt in einem fort sobald das Fieber ihn
verlassen „ein groß | 74v
Butterbrodt!“ oder auch „zwei drei große
Butterbrodt“ er macht uns viel zu schaffen – der arme Junge
sieht aber wieder so unerhört bleich aus – ach Ernst wie
ist es unangenehm! Schiebe nur
Deine Reise nicht auf weil Du denken möchtest Du findest
doch noch alles schwach und unfähig zum reisen – ach mein
lieber Mann ich sehne mich doch gar zu sehr daß Du bald
hier sein möchtest, es ist mir immer als müßte ich in den Augenblick
wo Du hier eintriffst das Ziel alles traurigen setzen. Mir
ist sonst oft jezt recht schwer zu Muthe, unsere Tage gehen
gar zu trübe hin, und das Wetter das stürmische,
winterliche thut mir im Innersten unwohl. Gott wie
contrastirt die Gegenwart mit den Bildern der Zukunft, deren
Erfüllung so nahe scheint – ach wäre sie es
wircklich! aber gewiß mein Ernst es werden bald glückliche
Tage auf diese trüben folgen –
Ach ich habe noch etwas andres auf dem Herzen das mir Kummer
macht, ich mag es gar nicht über die Lippen bringen – ich
bin recht im Ernst traurig darum – wie wird es dir nur sein
– kann es dir nicht so sein als sei ich dir etwas
entfremdet? ach mein Ernst es ist recht hart – Anspielung auf die geplante gleichzeitige
Communion, vgl. Brief
3202.
[Schließen] Ich soll
die schöne feierliche | 75
Handlung nicht mit Dir begehn am Sonntag – soll nicht mit Dir zugleich an den Altar treten um
auch meine Seele ganz darzubringen – Ich habe gewaltig gekämpft diese Tage in mir ob ich die
Hinderniße die wircklich welche sind wollte anerkennen,
oder sie besiegen, aber es geht nicht ich muß
mich fügen – Die Hauptsache ist daß der Prediger der hier
das Amt haben sollte unwohl ist und sehr gebeten hat
ihn zu verschonen. Er ist aber nicht eigentlich krank und
wollte kommen wenn ich ausdrücklich auf meinen Vorsatz
bestände – dann hätte ich
ganz allein privat communiciren müssen. Sophie Schlichtkrull und Luise von Willich
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Sophie und Louise
waren, wiewohl auf ganz freundliche Art, doch so
sehr dagegen daß ich alles hätte forciren müssen um zu dem
zu gelangen was ganz still und ohne Geräusch mit
unzerstreutem Gemüth will genoßen sein
–
Sage mir ganz aufrichtig lieber Mann was ich nach Deinem
Gefühl hätte thun sollen – aber kaum zu ertragen ist mir
der Gedanke korr. v. Hg. aus: dasdaß
ich es aufgeben muß – Meine ganze Seele aber soll Dich
begleiten an die heilige Stätte und vereinigt
sollen unsere Seelen doch sein in Andacht und Liebe –
Laß mich einen recht frommen und zärtlichen Abschied von Dir nehmen – Morgen sage ich Dir mehr – | 75v
Freitag Morgen.
Unsere Kinderchens haben doch ziemlich gut geschlafen und auch heute Morgen etwas gegessen, darum bin ich ganz gewiß daß Jette keine andre Krankheit hat als das kalte Fieber und wiewohl dies schon unangenehm genug ist so fühle ich doch ordentlich eine Dankbarkeit daß es nur das ist da so viel andre Krankheiten noch im Gange sind – Der Leibarzt hat mich recht beruhigt durch die Versicherung daß das kalte Fieber eher einen wohltätigen als nachtheiligen Einfluß auf den Körper habe – Ich bin heute schon nicht mehr so geschlagen als gestern – Du mein geliebter Ernst wirst dir keine Unruhe machen das weiß ich, wie auch dazu gar kein Grund da ist, aber sehnlicher noch glaube ich wirst Du wünschen erst bei mir zu sein und bei Deinen Kindern –
Aber nein welch ein Wetter! Sturm, Hagel, Regen, die allergrößte
Dunkelheit – nun denke Dir uns hier ganz einsam
in der kleinen Krankenstube – ich fühle es wohl aber es
wird mir doch gar nicht weiter schwer – Gar kein Bild habe
ich nun von der Zeit wann Du hier sein wirst, das alte ist
mir völlig hinweg gerückt durch der Kinder
| 76 Krankheit und durch die
Verwandlung des Frühlings in Winter –
Ich denke Du und
Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nanny
und große
Henriette Herz
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Jette
und
Louise werdet viel eure Reisen ohne mich machen
und
wenn es mir gleich sehr nahe gehn wird nicht alles Schöne
mit Dir zu theilen so werde ich mich doch sehr freuen wenn
Du nur so viel als möglich die Natur und unsere Menschen
genießest.
Es kann aber auch noch alles gut werden –
Daß ich Jette nicht sehe ist wohl eine kleine Ewigkeit und es ist noch
keine Aussicht dazu.
In Götemitz sind auch alle
Kinder am Fieber krank außer die damals elfjährige Charlotte von Kathen,
Henriette von Willichs Nichte
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Lottchen
.
Ich weiß nun die Zeit nicht
mehr daß ich mein Zimmer verlassen habe. Aus Sissow habe ich immer
gute Nachrichten gehabt.
Lotte Pistorius
ist frei vom Fieber aber noch sehr angegriffen. Vgl. Brief
3202.
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Schlichtkrull ist sehr in der
Besserung, heute ist er zum ersten mahl aufgestanden.
Hätte ich doch erst Nachricht daß meine Sachen richtig abgegangen
sind – Vgl. Brief
3202.
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es ist ein rechtes Glück daß ich die wohl Friederike Israel
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Icke
von allem instruirt habe,
ich hätte doch gewiß gar nicht reisen können und besonders
gestern so wenig als heute des Sturms halber | 76v über die Fähre können. –
Ich hoffe süßer Ernst daß Du auf diesen Brief nicht mehr wirst antworten können, denn gewöhnlich gehn volle 3 Wochen damit hin –
Jette hat ein Ende Lein in dem Clavierkasten angebracht, sie läßt Euch sagen Ihr mögtet beim auspacken vorsichtig sein.
Vgl. Brief
3191.
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Nanny
wird doch gewiß die Perlen nicht vergeßen –
Morgen hoffe ich wieder auf zwei Briefe mein süßer Ernst denn am Dienstag ging ich leer aus und Du hast doch gewiß ein bischen geschrieben
Was kann dein Brief mir nicht für Freude geben wenn er mir verkündet daß ich Dich meinen theuren meinen geliebten Mann bald an mein Herz schliessen werde –
Vgl. Brief 3176.
[Schließen]aber wenig Hoffnung habe ich eine erfreuliche Eröffnung des Krieges wie Du sie wünschst zu vernehmen – Gerüchte gehn doch immer voran, es ist alles so still
Eben ist mein
Friedrich von Mühlenfels
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Bruder
gekommen und hat mich gebeten eine
Gevatterstelle bei seinem Töchterchen zu
übernehmen,
Sonntag ist die Taufe,
Schlichtkrull kann sie nicht
annehmen, also muß Pastor Pieper seine Stelle vertreten
.
Ach Ernst es ergreift mich wieder recht aufs neue der Schmerz
um die schöne Stunde auf die ich so lange gehofft.
Sophie wünscht sehr sehnlich daß
wenn Du hier bist wir Alle
am linken Randgemeinschaftlich
communiciren möchten – es würde ihr eine große
Stärkung sein
–
am linken Rand von Bl. 76 Leb wohl mein sehr geliebter Ernst und komme bald froh und liebend zu deiner harrenden Jette
am linken Rand auf Bl. 74 Unserer Nanny meine besten Grüße
auf dem Kopf am unteren Rand von Bl. 76 Louise und Sophie grüßen Dich herzlich | 77
Ich breche meinen Brief wieder auf um dir zu sagen daß sich eben mehrere Communicanten gemeldet haben, daß Pieper nun wird beim Wort gehalten werden –
Mein Herzens-Ernst Du kennst mein Herz Du weißt wie es sich freut – sich sehnet – ach sei auch ganz mein in der schönen Stunde laß uns auf das innigste vereinigt und verschmolzen in das Meer der göttlichen Gnade und Lieben versinken. – –
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