den 13tn April. 9.

 Vgl. Brief 3196. [Schließen]Auch ohne Ihre Anforderung mein theurer Freund, die ich diesen Morgen beym Erwachen erhalten, würden Sie heute gewiß von mir gehört haben. Alle meine Freunde klagen wie Sie über mich, denn allen bin ich stumm gewesen. Das schreiben wird mir jetzt grade so schwer als in meiner gewöhnlichen Weise es leicht für mich ist.

Sie halten mich für gesund mein Freund? und doch bin ich seit jenem unvergeßlichen Verlust es keine Stunde gewesen. Gleich nach meines  Herr Israel [Schließen] Bruders Tode ward ich krank, wozu die körperlichen und geistigen Anstrengungen die reichlichste Veranlassung gegeben. In der 5wöchentlichen Krankheit hatte ich meinen Bruder keinen Tag verlassen, und schlief selbst die Nächte in seinem Hause um ihm immer nahe zu seyn und war er kränker, auch, wenigstens ein paar Stunden noch bey ihm zu wachen. Als er starb und ich nun von meiner Krankheit mich erholte, blieb mir ein fatalter Husten zurük, der mich so angriff daß ich, nicht ohne die gröste Anstrengung eine Treppe steigen oder mehr als zwanzig Schritte gehen konnte. Nach 4 Wochen lößte sich dieser Husten im Blutspeien auf, welches mich nun wieder ein 8 Tage aufs Bette hielt. Meine gute Natur arbei- | 18v tete sich denn zwar wieder auf, aber das Blutspeien blieb, und ist noch bisjetzt geblieben. Einmal hatte es mich 8 Tage verlassen, ich gab den Bitten unsrer Freunde (des Baron Wachtmeister und dessen Frau, beyde sehr liebenswürdige Menschen) nach, sie mit meinem Kummerow und meiner   Charlotte Cummerow , Tochter der Briefeschreiberin [Schließen] Lotte auf ihrem Guthe 3 Meilen von hier, zu besuchen, sie schickten eine Kutsche mit Federn, und noch zum Überfluß mit Betten ausgelegt, aber die kurze Reise griff mich so an daß ich schon unterweges wieder Blutspeien bekam und die 5 Tage welche wir dort waren fast immer aufs Bette seyn mußte. Die Rückreise vermehrte das Übel noch. Endlich verließ es mich wieder 8 Tage, und da meine Ulla das Fieber hat, so fuhr ich nun Vorgestern zu ihr hin, und bekam gleich den Abend, sowie auch gestern, das Blutspeien wieder. Dies mein Zustand theurer Freund und nun werden Sie mein Schweigen erklärbar finden. Das Schreiben wird mir, auch jetzt noch sehr schwer, so wie alles was irgend die Brust in einer ungünstigen Haltung bringt. Dennoch kann ich mit Ihnen sagen: „Du sollst mir wenig davon ansehen“ wenigstens körperlich nicht, und dies ist wohl ein sicherer Beweiß daß das Blut nicht eigentlich aus der Brust kommt. Meine gute Natur hat das einzige Verdienst daran daß  | 19 ich mich so erhalten. Soll ich für mich mit geistiger Kraft etwas thun, so muß der Wille dazu allein aus mir selbst kommen, und mir ist das Leben d. h. das meinige, jetzt so gleichgültig daß ich durchaus nicht die Lust oder den Willen habe dafür zu thun. Den Sommer werde ich nun nach Kenz ins Bad gehen. Die Musik hat lange Wochen ganz bey mir geruht, ja ich konnte sie sogar nicht einmal hören. Endlich hat meine Ulla mich ihr wiedergeben und nun treibe ich sie wieder, zwar nicht auf die sonstige Weise aber doch nicht ungerne. Die Harfe behauptet auch jetzt ihre Rechte bey mir, und hat nun noch eine doppelte Kraft erhalten, sie war das Lieblings-Instrument meines Bruders, der sie mit einer seltenen Zartheit und Kunst behandelte, dies macht sie mir nun doppelt lieb, und ich habe nun die feste Überzeugung daß ich einmal etwas mehr als gewöhnliches darauf leisten werde. Ein übler Umstand bleibt es immer daß so wenig gutes für HakenHarfe gesetzt wird, und gegen die PedalHarfen bin ich nun einmal durchaus eingenommen.  Caroline Louise Ulrika Baronin Schoultz von Ascheraden, ihre Tochter Hedwig Juliana und deren Bräutigam und späterer Mann Philippe Marquis de Maillardoz [Schließen]Der Baroneß Schoulz geht es ganz gut, ihre älteste Tochter ist die Braut eines Französischen Officiers , und in ihrer ganzen Familie herrschen Wohlstand und Wohlseyn.

Danken Sie doch der  Frau Majorin von Boye [Schließen] Boje für ihren herzlichen Brief, und für ihre aufrichtige Theilnahme an  | 19v meinen Verlust. Sagen Sie ihr von meinem Zustand und daß sie damit mein Schweigen entschuldigen muß.

 Vgl. Brief 3194 Schleiermachers an seine Braut Henriette von Willich. [Schließen] Ihr Jettchen morgen zu sehen darauf freue ich mich herzlich und Ihren Brief werde ich gleich besorgen.

Bald kommen Sie nun selbst und dann reden wir mündlich alles miteinander. Mögen die Umstände gleich mancherlei mit mir gemacht haben, Ihnen bin ich ganz die alte Lotte – Dir meinem Freund gehört mein ganzes volles Vertrauen an –.

 Friederike Israel [Schließen] Friedrike ist wohl.     Über diesen „Bund“, der Charlotte Cummerow und Schleiermacher verband und zu dessen Kennzeichnung offenbar auch ein „Bundesring“ gehörte (Vgl. Brief), ist nichts weiter bekannt, vgl. auch Brief 2772 von Friederike Israel.  [Schließen]Unser Bund hat nun eine ganz andere Gestalt eine viel bessere. Sie werden Sich der Veränderung, so wie der Ausbreitung, freuen.

Leben Sie wohl mein Freund und Friede und Freude mit Ihnen.

Ihre Lotte.

Zitierhinweis

3211: Von Charlotte Cummerow. Stralsund, Donnerstag, 13.4.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007040 (Stand: 26.7.2022)

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