Montag d 10t. Apr. 09

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Gott sei Dank nun kann ich Dir wieder schreiben liebste Jette! so lange ich in der schreklichen Angst war wäre es mir rein unmöglich gewesen. Noch Gestern früh richtete ich mich ganz drauf ein wenn ich eine traurige Nachricht bekäme Abends schon auf der Postkalesche zu sizen und dienstags bei Dir zu sein. Ich muß mich wol ordentlich etwas bei Dir rechtfertigen wegen dieser Angst.  Ehrenfried von Willich (d.J.), vgl. Brief 3164. [Schließen]Sieh der lezte Brief war der vom 24ten gewesen den ich am 30ten  über den ursprünglichen Text geschrieben31ten Charfreitag als ich aus der Kirche kam erhielt[.] Nun schriebst Du mir in diesem Briefe nicht nur daß Friedchen wieder das Fieber hätte sondern auch die bestimteste Versicherung daß ich jeden Posttag Nachricht haben sollte.  Henriette Herz, vgl. Brief 3172. [Schließen] Am 4ten April bekam ich nun keinen Brief, da mir aber große Jette von Stürmen schrieb und von verspäteter Ankunft der Post so ängstigte ich mich gar nicht wie ich Dir auch schrieb sondern hoffte nur am nächsten Posttag entschädigt zu werden[.] Nun aber an diesem nächsten Posttag den 7ten auch kein Brief kam, kannst du mir wirklich nicht verdenken daß ich mich sehr ängstigte denn ich konnte unmöglich glauben daß die Post zweimal sollte abgehalten sein und Du dazwischen auch nicht einmal eine Gelegenheit nach Stralsund gefunden haben, und das konnte mir auch nicht einfallen da es schon eine Unordnung ist wenn die Briefe sieben Tage unterwegens sind einer noch länger laufen könnte[.] Nun ist es freilich doch so gewesen,  Vgl. Brief 3180. [Schließen]Dein Brief vom 31ten hat sich zehn Tage verweilt das ist eben fatal daß das wahre oft das unwahrscheinlichste ist. Ich konnte eher glauben daß Du selbst plözlich krank  | 56v geworden wärst – denn Friedchen konnte Dich auch nach deiner bestimmten Versicherung so ganz nicht abgehalten haben – als daß zwei PostConfusionen unmittelbar auf einander sollten gefolgt sein. Beschreiben kann ich Dir nicht wie mir zu Muthe war ich freue mich nur daß es nun nicht noch einmal kommen kann. Es ging aufs wunderlichste durcheinander in mir denn zu einem festen Glauben an ein großes Unglük konnte ich auch nicht kommen. Wir aßen Mittags bei Kunths , ich hatte Anstalten getroffen daß mich  über den ursprünglichen Text geschriebenmir ein Brief wenn einer käme gleich hergebracht würde und so kam denn Reimers Karl und erlöste mich aus aller Noth. Vorher war mir schon die Nachricht  über der Zeilehin gekommen daß nun mit einem Fuhrmann Richtigkeit gemacht wird der noch den 13ten Abends in Stralsund sein will. Aber ich war nicht frei genug um das Angenehme dieser Nachricht die aller Verwirrung ein Ende machte hier recht zu genießen. Ja ich überlegte nicht einmal wie nothwendig es wäre dem Fuhrmann noch ein Zettelchen mitzugeben theils damit Ihr den 14ten wirklich herüberkämt theils um alle Verwirung wegen der Bezahlung zu vermeiden. Ich habe nemlich abgemacht daß der Fuhrmann erst hier bei seiner Rükkunft bezahlt wird weil es immer besser ist erst nach richtiger Ablieferung zu bezahlen und weil er auch überdies in preußischem Gelde bedungen ist und wir also auf jeden Fall Schaden haben würden wenn er dort bezahlt würde. Vielleicht ist nun  Esther de Lemos [Schließen] Jettens Mutter so klug gewesen ihm ein Paar Zeilen dieses Inhalts mitzugeben.

 Sachanmerkung:

Die ... dran ergözt.] 
Vgl. Brief 3180.

Nanny] Anne (Nanny) Schleiermacher
 [Schließen]
Die Stelle in Deinem Briefe von Schlichtkrulls Leiden habe ich Nanny mehrere Male vorlesen müssen und sie  | 57 hat sich immer wieder aufs Neue dran ergözt.
Nun ja Schlichtkrull in solchen unbedeutenden Schmerzen das muß wol amüsant sein für einen der nicht unmittelbar davon geplagt wird! solche starken Männer pflegen die allerpimplichsten zu sein. Aber Du armes Kind was hast Du überhaupt für einen Zustand im Hause! Es ist warlich die höchste Zeit daß ich komme Dich zu holen und das soll auch warlich nicht mehr lange dauern.  Henriette Herz, vgl. Brief 3180. [Schließen] Du hast ganz recht daß Jette  über der Zeileeinen zu späten Termin gesezt hat, auch habe ich ihr nichts bestimmt, und ich sehe nicht warum ich länger hier bleiben soll. Für die Einrichtung des Kanonierhauses wäre es besser ich reiste Morgen schon denn dann hätte Gass die Aufsicht darüber der sich auf dergleichen hundertmal besser versteht als ich. Wenn also meine Vorlesungen zu Ende sind und der Fuhrmann hier ist denke ich reisen wir – wo möglich den 24ten so daß wir den 27ten oder 28ten bei Dir sind. Die schönen Wochen dort werden schnell genug vergehn, und von der Rükreise kann ich nichts ablassen denn in den ersten Tagen des Junius müssen wir nothwendig hier sein. Indessen liebes Herz sieh das noch nicht als eine feste Bestimmung an.

Mit dem Fuhrmann ist das nun so schnell gekommen daß Nanny ihm das Leinen nicht hat mitgeben können, mitbringen wird sie es aber gewiß. Uebrigens wollen wir einen so großen Koffer mitnehmen daß Du Dein und der  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kinder nothwendigstes noch mit hineinlegen kannst. So ist es weit besser denn ob zwei Koffer auf dem Wagen Plaz haben weiß ich nicht, auch sieht es gleich fürchterlicher aus und würde auf die Reisekosten einen sehr nachtheiligen Einfluß haben.

 Vgl. Brief 3160, Brief 3163, Brief 3165, Brief 3176, Brief 3183 und Brief 3194. [Schließen] Meine Briefe an Dich müßten auch ein unglükliches Schiksal gehabt haben und namentlich verdrießt es mich daß mein Brief vom 19ten mit der Bonbonschachtel für  | 57v Friedchen gegen alles Recht und Billigkeit am 29ten noch nicht in Deinen Händen war. Dies ist wirklich eine rasende Unordnung und mir ist bange daß die Post irgendwo die Bonbons gefressen, und den Brief weggeworfen hat. Ich habe übrigens keinen Posttag vorbeigehn lassen ausgenommen diesen lezten Sonntag wo ich der Angst wegen nicht schreiben konnte. Es sind seit dem 18ten abgegangen der erwähnte Brief mit Schachtel am 19ten ferner am 23ten am 26ten am 30ten (mit der Tuchnadel) am 2ten April und am 6ten unter der Cummerow Adresse.

Mittwoch Abends. Die gestrige Post hat mir wieder keinen Brief gebracht zu meinem großen Leidwesen! indeß ängstige ich mich nun nicht weiter sondern habe mich ein für allemal in die Confusion ergeben mit Hinsicht auf ihr baldiges Ende.  Alexander Graf von Dohna-Schlobitten war gegen den Einzug seiner Freundin Henriette Herz in das Haus in der Kanonierstraße, vgl. Brief 3208. [Schließen]Aber einen andern Brief habe ich heute bekommen der mir sehr im Kopf herumgeht, und weil ich Dir nichts dergleichen verschweigen kann so muß ich Dir auch seinen Inhalt anvertrauen aber für Dich allein. Es ist  über den ursprünglichen Text geschriebenzieht sich eine Wolke über unsere nächste Existenz zusammen durch die ich noch nicht durchsehn kann. Alexander schreibt mir daß die Errichtung der hiesigen Universität wieder ungewiß geworden ist durch das Einreden einiger Leute die es für bedenklich oder gefährlich halten; auch protestirt er aufs Neue gegen das Zusammenwohnen unserer Freundin mit uns. Dieser Umstand würde es gewiß auch Dir erleichtern Berlin zu verlassen wenn meine Ahndung in Erfüllung ginge daß das Kanonierhaus uns nicht zu einem langen Aufenthalt bestimmt ist[.] Denn wenn überhaupt keine neue Universität angelegt wird: so wäre es wol  | 58 möglich daß wir über kurz oder lang nach Frankfurt zögen, weil ich dann hier weder meinen gehörigen Wirkungskreis noch mein ganzes Auskommen finden kann. Für den Anfang sezt mich auf jeden Fall diese Ungewißheit in eine große ökonomische Verlegenheit von der ich noch nicht absehe wie ich sie überwältigen soll. Nur das steht bei mir fest daß eben so wenig etwas ökonomisches als etwas politisches unsere Verbindung im mindesten verzögern soll. Du hast gewiß darin denselben Sinn wie ich, und wirst auch dasselbe Vertrauen haben daß es uns an dem Nothwendigen nicht fehlen wird.  Die königliche Familie hielt sich in Königsberg auf. [Schließen] Es ist indeß möglich, daß Humboldt der nun nach Königsberg gereiset ist die ganze Sache wieder in den alten Gang bringt. Hätte ich um diese Ungewißheit eher gewußt, so würde ich manches im Kanonierhause nicht unternommen haben, und du mußt Dich darauf gefaßt machen daß ich spare was ich noch sparen kann, und daß es also sehr unvollkommen eingerichtet sein wird fürs erste. Bleiben wir so läßt sich das alles bald nachholen. Auch soll unser Einzug liebste Jette irdischer Dinge wegen um nichts minder fröhlich sein, das wird unser reiner Sinn nicht leiden; auch wenn es wirklich weniger gewiß wäre daß sich alles bald zu unserer Zufriedenheit entfalten wird. So heiter so leicht wie Du mir zuerst erschienst vornemlich auf Stubbenkammer am Rande des Abgrundes mit mir herumhüpfend und Blumen pflükkend wirst Du auch immer mit mir an Rande dieser bedenklichen Zeit herumhüpfen und ihr alles schöne  | 58v entpflükken was sie nur darbietet. So stehst du noch jezt vor mir süßes Weib und ich umarme Dich mit der innigsten Liebe und der frohesten Zuversicht. Du nur Du kannst mit mir durchs Leben gehn. Aber Du schläfst nun schon lange.  Vgl. Brief 3210. [Schließen] Ich habe einen großen Brief an Alexander geschrieben und darüber ist es tiefe Nacht geworden. Und nun will ich auch schlafen gehn, wiewol gar nicht schläfrig, nur um nicht zu viel vom Tage zu verschlafen denn die eigentlichen Arbeiten die ich jezt vorhabe kann ich bei Lichte nicht gut machen. Süßeste gute Nacht. Ach wenn ich Dich nur erst schlafen sähe! Das wird mir manchmal eine ganz eigne Wonne sein.

Donnerstag. Ich kann Dir grade nur Lebewol sagen Dir und den süßen Kindern für heute. Leider kann es auch sein daß es nicht möglich sein wird Dir nächsten Posttag zu schreiben. Ich sage es Dir im Voraus. Habe übrigens die größte Zuversicht zu meiner Gesundheit die vortreflich ist.

Sage mir doch – die Frage kommt zwar etwas früh aber ich könnte es nächstens vergessen – soll ich den Wagen in dem wir kommen mit herüber bringen oder in Stralsund lassen? Ersteres ist zwar besser aber ich werde mich rasend und kindisch ennuyiren bis das große Boot komt. Du siehst wie nahe alles vor mir steht. Und weiter wird Gott auch helfen. Tausend zärtlichste Küsse von Deinem

allereigensten Ernst

Nanny grüßt und ist fleißig –  Vgl. Brief 3180. [Schließen]Gott bewahre mich daß ich spotten sollte über euer Treiben es thut mir nur leid daß ich es so wenig unterstüzen kann weder mit Hülfe noch mit Geld. Ueber lezteres seufzt Nanny täglich.

Zitierhinweis

3203: An Henriette von Willich. Berlin, Montag, 10.4. bis Donnerstag, 13.4.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007032 (Stand: 26.7.2022)

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