Mittwoch d 5t. Apr. 9

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Ich kann Dir doch nicht aussprechen süße Jette wie mir in diesem Augenblik zu Muthe ist. Rathe was ich eben gethan habe? der Küster war hier um etwas zu bestellen, und weil ich nicht weiß ob ich ihn vor Sonntag wiedersehe nahm ich ein Blatt Papier und schrieb ihm unsere Namen auf zum Aufgebot – mit einem wunderbaren Gefühl mit unruhigem stokkenden Puls ganz zitternder Hand – ich hätte weinen mögen und es war doch nichts als Freude und Seligkeit. Laß Dich umarmen mein Herzensweib und mich mein überströmendes Gefühl an Deiner Brust und auf deinen Lippen ausathmen. Und Gottes Segen über diesen ersten äußerlichen öffentlichen Schritt zu unserer Vereinigung. – Die wenigen wenigen Wochen bis zum lezten wie schnell werden sie vergehen. Ich bin ganz voll der Seligkeit des neuen Lebens gegen die doch alles bisherige mir nichts ist, und in dem ich alles willkommen heiße was Gott schikken mag weil sich doch alles verklären muß in unserer Liebe und in unserem frommen Sinn. Wie ich es aber aushalten werde Sonntag über Acht Tage das Aufgebot zum zweiten Mal selbst zu sprechen, das begreife ich in diesem Augenblik nicht, es kommt mir ganz unmöglich vor daß ich auch nur ein vernehmliches Wort herausbringe

Nun muß ich dir auch noch klagen daß lezten Posttag kein Brief von Dir gekommen ist. Ich bin aber gar nicht ängstlich darüber  Henriette Herz, vgl. Brief 3172. [Schließen] denn obgleich ein Brief von unserer großen Jette gekommen ist tröste ich mich damit daß vielleicht eure Post nicht hat gehn können wegen des Sturmes von dem in jenem  | 54v Briefe viel die Rede ist.  Vgl. Brief 3164. [Schließen]Du hast mir so sicher jeden Posttag Nachricht versprochen daß ich nicht andres glauben kann als daß ein physisches Hinderniß muß eingetreten sein, und der Gedanke daß irgend ein Unglük Dir selbst könnte begegnet sein kann gar nicht in meine Seele kommen. Ich vertröste mich also bis Freitag daß ich dann zwei Briefe erhalte oder einen doppelten. – Eine Klage von ganz anderer Art die ich Dir noch zu machen habe ist daß eine große Confusion entstanden ist mit dem Fuhrmann. Unserer guten großen  Esther de Lemos [Schließen] Jette Mutter hat uns da in eine Noth hineingeführt aus der ich keinen Ausweg sehe wenn uns nicht das Genie der großen Jette selbst rettet. Höre nur. Erst sagt ihre Mutter, sie habe mit dem hiesigen Fuhrmann accordirt auf 50 R preußisch Courant. Du weißt wie gewiß das war, und  über der Zeile ⎡ sie sagte zu  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny der Fuhrmann verlangte nur 14 Tage vorher zu wissen wann er [...]  über den ursprünglichen Text geschriebendort sein sollte, wie ich Dir auch geschrieben habe. Auf einmal sagt sie der hiesige Fuhrmann sei ihr nicht sicher genug weil er noch immer von einer andern Reise nicht zurük war und sie habe Unterhandlung angefangen mit einem Prenzlauer. Bald darauf schikt sie diesen auch mit einem Zettel „daß er für dasselbe Geld bedrungen wäre[]. Ich war nicht zu Hause als er kam und er sagte er käme doch in Acht Tagen wieder und wollte sich dann die nähere Anweisung holen. Inzwischen schikt die alte Lemos her um zu fragen wann der Fuhrmann dort sein und bei wem er sich melden solle. Ich schreibe alles auf und denke sie schikt die Anweisung nach Prenzlau. Gestern geht Nanny hin und sie fängt ein großes Lamento an der Fuhrmann wäre nicht gekommen gegen sein Versprechen, sie wüßte nun  | 55 nicht was werden würde, und wir möchten uns nur Mühe geben einen andern zu bekommen. Dabei will sie die ganze Schuld auf uns schieben daß wir ihm nicht gleich etwas draufgegeben hätten – ich habe das aber nie in meinem Leben bei einem Fuhrmann gethan und wenn sie es für nöthig hielt hätte sie es entweder selbst thun oder damals gleich sagen lassen sollen. Wie das nun werden wird weiß Gott. Johanna Herz, die Schwester von Henriette Herz; Julia konnte nicht weiter identifiziert werden. [Schließen] Ich werde Morgen nach Prenzlau schreiben an Hanne oder an Julia um zu hören was in der Sache zu thun ist, und werde zugleich bitten daß man Dich durch ein Paar Zeilen gleich benachrichtigt. Leider wird es aber wol nicht in meiner Gewalt stehn zu verhindern daß Du die Reise vergeblich machst – vielleicht auch nicht, wenn erst ein anderer Handel muß geschlossen werden daß die Sachen erst nach unserer Abreise ankommen so ungern das auch Nanny will

Donnerstag.  Vgl. Brief 3198. [Schließen] Ich habe nun nach Prenzlau geschrieben an Hanne und hoffe das gute Glük soll geben daß noch alles wieder ins Geleise kommt, sonst wäre es eine höchst fatale Geschichte wenn ich jezt unter soviel andern Sorgen noch neue Mühe und Zeit anwenden müßte um einen Fuhrmann zu finden. Im Kanonierhause geht auch alles langsam genug; bestellt sind nun alle Leute aber leider arbeitet der Maurer auf den alles wartet nicht ununterbrochen, und wir müssen immer dahinter sein und treiben. Nanny ist noch mein Glükk ohne die ginge es gar nicht.

 Sachanmerkung:

Von ... gute Nachrichten.] 
Vgl. Brief 3164.

Friedchen] Ehrenfried von Willich (d.J.)
 [Schließen]
Von unserm Friedchen ist es äußerst brav daß er in dieser schlechten Jahrszeit ein so großes Stük Arbeit unternimmt drei Augenzähne zu machen. Aus dem Jungen kann etwas tüchtiges werden wenn es ihm gut bekommt. Uebrigens ist mir nun bei dem Fieber bei weiten leichter zu Muthe da ich bestimmt weiß daß es mit den Zähnen zusammen hängt und ich erwarte Morgen nur gute Nachrichten.
Hätte er doch seinen Ge | 55v burtstag schon wenigstens ganz fieberfrei gefeiert. Das Wetter ist bei uns jezt auch wieder recht rauh, ich bin aber eigennüzig genug mich zu freuen daß es jezt kommt und wir desto sichrere Hofnung haben daß es hernach gut wird.  Vgl. Brief 3152. [Schließen]Liebste Jette mir war neulich recht wemüthig als du schriebst von der Schönheit des Frühlings in Poseriz und von den Nachtigallen im Garten. Nun habe ich zu meiner Freude in Erfahrung gebracht daß in einem großen schönen Garten hier in der Stadt und gar nicht weit von uns immer eine Fülle von Nachtigallen ist. Es ist zwar ein Privatgarten aber es soll nicht sehr schwer sein die Erlaubniß zur Benuzung desselben zu erhalten. Dazu will ich nun auch sobald als möglich Anstalt machen.

 Vgl. Brief. [Schließen]Auf eine Geldfrage in einem Deiner lezten Briefe habe ich nicht geantwortet, Du wirst daraus schon von selbst geschlossen haben daß ich recht gut warten kann bis dort. Ich warte nemlich nicht sondern   Möglicherweise handelt es sich um den Kaufmann Hering in Stolp.  [Schließen]ein Gläubiger meines Bruders bei dem es auf ein Paar Wochen gar nicht ankommt. Uebrigens möchte mir doch ganz schwindlich werden wenn ich an das liebe Geld denke denn ich begreife noch gar nicht woher es alles kommen soll. Es wird sich noch eine eigene Geldquelle öfnen müssen und ich sehe mich schon ganz begierig überall um. Es ist fast lächerlich was für einen unerschütterlichen Glauben ich in solchen Dingen habe daß doch zur rechten Zeit alles kommt was nöthig ist.

 Luise von Willich, vgl. Brief 3158. [Schließen] Die Leinwand für Luise wird Nanny wol selbst mitbringen sie hat nun die andere Hälfte des Stüks zu Rouleaux bestimt und läßt für Dich ein ähnliches wieder aus Schlesien kommen. Die Bettdeken wird sie besorgen, so wie die Bettstellen auch schon bestellt sind.

Nun lebe wol meine einzig Geliebte, und laß mich Morgen recht viel Schönes von dir hören, und umarme mir unsere lieben  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kinder aufs herzlichste. Wenn es irgend möglich ist bin ich heute über drei Wochen schon unterwegens zu Dir. Die Zeit fliegt! Laß sie jezt fliegen hernach wollen wir sie recht fest halten und jeden Augenblik recht auskosten. Tausend süßeste Küsse von deinem

Ernst.

Ich bin ganz gesund nur daß die verfluchten Zahnschmerzen noch manchmal wieder kommen.

Zitierhinweis

3194: An Henriette von Willich. Berlin, Mittwoch, 5.4. bis Donnerstag, 6.4.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007023 (Stand: 26.7.2022)

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