Heidelberg den 3ten Apr. - 9.
Vgl. Brief
3185.
[Schließen]Ja, bester Schleiermacher, wir haben uns nicht aus den Augen und aus
dem Herzen verlohren, in dem Wechsel der Dinge
und der Ansichten und in der
verhängnißvollen Zeit. Ich danke Ihnen, daß Sie mir dieses von
Ihrer Seite sagen. Die Treue Ihres Gemüthes ist auch
mir geblieben.
Die zutrauliche Frage Ihres Briefes ist mir
kein geringer Beweis. Da ich sie nicht für mich
selbst beantworten konnte, der jetzigen Lage meines
Freundes Schmidt nicht
ganz kundig, so schrieb ich an ihn unter den von
Ihnen vorausgesetzten Bedingungen.
Es versteht sich dabey,
daß ich ausdrücklich sagte, ein Freund – ohne Sie zu nennen – von Berlin habe mich darauf befragt, und es sey jetzt noch
keine offizielle Frage, ich sey aber
überzeugt, daß sie es werde, sobald sich nur irgend Neigung
von seiner Seite zeige. Hierauf erhielt ich folgende
Antwort: „Auf die Anfrage Berlins
betreffend muß ich antworten, daß die dort zu errichtende
Universität
allerdings viel anziehendes für mich hat. Auf die Universi | 14vtäten kommt von nun an unendlich viel
an, wenn der teutsche Namen bey Ehren erhalten werden soll,
und ich hoffe, daß eine neue ihren Lehrern
eher einen angemessenen Wirkungskreis darbieten kann, als
die alte, deren Mängel mir nur zu sehr bekannt
sind. Dieß ist's was mich vorzüglich
für jenes Institut gewinnt. Indessen muß ich sogleich
zusetzen, daß dies nicht anzusehen sey, als eine
bestimmte Antwort auf die Frage, ob ich wohl einen Ruf
dorthin annehmen würde. Diese Frage zu beantworten, dazu
bin ich in Wahrheit nicht im Stande. Es bedarf einer sorgfältigen
Überlegung, ob sich mein Individuum mit einer großen Stadt
zusammen passet. Dazu kommt, daß ich Berlin und das zu errichtende Institut viel
zu wenig kenne, um meinen gegenwärtigen Wirkungskreis mit
dem, welchen ich dort finde, würde richtig zu
vergleichen.
In meinen hiesigen Verhältnissen kann
ich zu wenig für die Wissenschaften leben, ich kann oft
wochenlang kein Buch lesen, weil ich Acten lesen
muß. Allein, ich habe hier Freunde, die mich lieben, – ich
habe Zuhörer, von denen ich weiß, daß mein Unterricht nicht
fruchtlos ist, und ich bin in der Lage, beytragen zu
können, daß wenigstens mancher derselben einst an die ihm
angemessene Stelle gesetzt werde. Siehe, theuerster Freund, dies
alles muß gegen einander abgewogen werden,
und du wirst es also | 15 verzeihen, wenn
meine Antwort nicht so bestimmt ist, wie Du sie vielleicht
erwartetest. In ökonomischer Hinsicht befinde
ich mich übrigens hier in einer Lage, daß ich vollkommen
zufrieden seyn kann, und auch für meine Frau ist auf den
Fall meines früheren Sterbens zureichend gesorgt.“
Nach dem, wie ich nun Schmidt kenne, wüßte ich
nicht zu entscheiden, welche Neigung bey ihm
siegen würde. Er hat in Giesen einen
gesegneten(?)
Wirkungskreis, seine Lehre
und Lehrgabe wird durchaus
geschätzt, er hat die Liebe seiner Schüler, Collegen, Oberen und des Ludwig I. von Hessen-Darmstadt
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Regenten
selbst und dieses fühlt er mit treuem Gemüthe, so daß er auf ähnliche Art wie Sie immer gern bey
dem Großherzugtum Hessen
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Vaterlande
festhielt, so oft man
ihn anderswohin einladen wollte. Ja, es ist schon schwer, ihn zu einer kleinen
Reise zu Freunden zu bestimmen; er liebt die gewohnte
Lebensweise. Dabey hat er eine gewisse
Schüchternheit in Absicht seiner Person, so daß er eine
veränderte Lage vielleicht bloß wegen der neuen Form, worin er
auftreten müßte scheuet. Sein Einkommen ist reichlich,
zumal da er keine Kinder und ein sehr braves häusliches Weib hat – indessen würde dieses nur
insofern entscheiden, als seine Dankbarkeit gegen den Regenten, der
ihm vielleicht mit Aufopferung Zulagen gegeben hat, dadurch
gewonnen ist. Da | 15vgegen hat sein Amt
viel Lästiges für ihn, weßhalb er die
Superintendentur abgegeben, und nun
klagt er daß man ihn dafür die Aufsicht über die
Administration des Universität
sFonds übertragen. Dinge, die
durchaus nicht für ihn sind, da er dem nun leben mag, was
sein wahrer Beruf ist, dem gelehrten Lehrstand. Auch
bestimmt ihn die Reflexion auf die Pflicht, folglich zur
Wahl desjenigen Wirkungskreises, wozu er sich am meisten
berufen fühlt. – Das ist es, was ich Ihnen über ihn sagen kann.
Nun können Sie doch vielleicht soviel daraus abnehmen, ob
Sie nach dortigen Verhältnissen weitere Schritte wagen
können, um diesen trefflichen Theologen
und Mann und Freund zu erhalten.
Nun hätte ich noch viel mit Ihnen zu reden, mein innig verehrter
Freund; Sie sagen mir viel, Sie fragen mich viel – in
wenigen Zeilen.
Vgl. Brief
3185.
[Schließen]Ihre Verlobung – segne Sie der Himmel, auf daß
alles dem Reichthum Ihres Gemüthes entspreche! –
Mein häusliches Leben ist
kinderreich und voll froher Tätigkeit, worin ich
eine Hoffnung nach der anderen erfüllt sehe. Dabey dauert
mein häusliches Erziehungsinstitut fort. Meine
pädagogische Wirksamkeit macht mir auch auf dem
Katheder Freude, so auch meine theologische. Wohl wünsche
ich den Theologen Glück, daß Sie Katheder und
Kanzel vereinigen, was so selten gelingt, und bey Ihnen so
vorzüglich wichtig ist wegen der zugleich kritischen
und zugleich gemüthvollen Richtung
Ihres Geistes. Lassen Sie uns nur viel von diesem Geiste zu
unsrer Belohnung und Erwärmung zu | 16 kommen. Friedrich Schleiermacher: „Ueber den sogenannten
ersten Brief des Paulos an den Timotheos“ (1807), vgl. KGA I/5 ,
153-242.
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Ihre Kritik über den 1ten
Brief an den Timotheos hätte ich Ihnen indessen
auch angreifen mögen wenn ich mehr kriti
scher Exeget wäre, so viel ich auch daraus
gelernt habe, so wie überhaupt aus Ihrer Behandlung
der Paulinischen
Briefe.
Denn davon haben mir 2 Ihrer würdigsten Schüler Strauß und
lies: Budde
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Lücke(?)
, in deren Gemüther Ihr Lehrersegen vorzüglich blüht, viel
referirt.
Sie kamen von Halle
hierher und
studirten noch einige Zeit hier, worauf sie von uns
examinirt wurden. Zwei
treffliche junge Theologen. Gestern kommt ein Brief von
Strauß, worin er sagt,
wie er einhellig von der lutherischen
Gemeinde in
lies: Rohnsdorf
(Ronsdorf)
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Rohrs(?)dorf (bey Elberfeld)
zum Prediger gewählt worden
– der fromme Geist, womit er
dieses sagt, würde Sie wie mich in unserer Wirksamkeit
aufmuntern. – Wie oft war
es der Wunsch in Heidelberg, Sie, theuerster Mann, hier zu
haben – mein Herzenswunsch! –
Heidelberger Jahrbücher der Literatur, vgl. Brief
3185.
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Daß Sie unsere Jahrbücher loben ist uns wichtig:
aber besser wäre es, wenn Sie die Recensionen
weniger ablehnten; und die Art wie Sie es thun,
muß mich eigentlich demüthigen. Aber ich hoffe, Sie schicken
uns doch bald etwas, wir bedürfen solcher Unterstützung,
wenn der gute Zweck unsers Unternehmens erreicht werden
soll.
Vgl. Brief
3185.
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Ihre Grüße habe
ich
ausgerichtet, und damit Freude gemacht.
Gerne hätte ich auch dem
ehrwürdigen Daub, der Zierde unsrer Universität,
(welcher mit dem vollsten Beyfall lehrt) diese
Freude ge | 16vmacht, da er Sie sehr
schätzt.
An Marheineke habe ich
Ihren Gruß noch nicht können gelangen lassen, da er
verreiset ist.
Vgl. Brief
3193 von August Boeckh
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Daß wir den geistvollen Creuzer, der den Ruf nach Leyden
angenommen hat, verlieren, ist ein unersetzlicher Verlust für
unsere Universität.
Böckh, welcher gerade auch einen Ruf, nemlich nach Königsberg, erhalten
hatte, bleibt hier
und zwar an Creuzers
Stelle, mit einer ansehnlichen Gehaltsvermehrung,
die mit der Zeit bis zu der, die Creuzer
hatte, steigen soll.
– Im Ganzen herrscht auf unsrer hiesigen Universität
viel wissenschaftliches Leben und auch
ein ergänze wohl: Geist
[Schließen]guter.
Friedrich Schleiermacher: „Gelegentliche Gedanken
über Universitäten in deutschem Sinn“ (1808), KGA I/6, S. 15-100.
[Schließen]Ihrer vortrefflichen
Schrift über deutsche Univer
sitäten
haben wir uns alle erfreut.
Leben Sie froh an der Seite Ihrer
Henriette von Willich
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Geliebten
, die ich von mir herzlich zu grüßen
bitte. Erquicken Sie mich zu
Zeiten mit den Beweisen Ihres freundlichen Andenkens, denn
Sie wissen, wie lieb Sie mir sind.
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