Dienstag d 28t Merz Abends.

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Noch ganz spät komme ich auf einen Augenblik zu dir meine süße Jette. Beim Thee habe ich  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny eine Tragödie von Sophokles vorgelesen dann haben wir über das Kanonierhaus geplaudert und die Zeit hernach habe ich zugebracht meine Gedanken für meine Osterpredigt in Ordnung zu bringen damit ich Morgen beim Frühstük die Lieder suchen kann die immer Mittwochs schon abgeholt werden für den Sonntag. Nun bin ich so weit daß ich nur erst Sonnabend Abend wieder daran zu denken brauche.  Vgl. Brief 3158. [Schließen]Liebe wie freut mich das daß Du Dich auf meine Predigten freust! nun denke ich dabei schon immer an dich und zähle; es sind ihrer wahrscheinlich nur noch drei bis ich zu Dir reise. Ja du hast aber auch Recht Du mußt deine Freude haben an meiner Wirksamkeit weil ich sie mit soviel Liebe treibe und nicht ohne Segen. Zunächst freilich an den Predigten die  lies: du [Schließen]zu am unmittelbarsten mitgenießen kannst aber gewiß auch an den Vorlesungen wenn Du erst mein Leben mit den jungen Leuten sehn wirst und an den schriftstellerischen Arbeiten wenn Du mich fleißig dabei besuchst müßte es auch über den Flur sein. Bleibt es dabei daß die Universität wie doch die meisten hoffen Michaelis eröffnet wird   Gemeint ist Friedrich Schleiermacher: „Kurze Darstellung des akademischen Studiums“ (1811). [Schließen]dann siehst du mich noch diesen Sommer ein Büchlein schreiben, nur ein kleines akademisches Handbuch – Gewiß wirst du auch in den Feiertagen wenn Du in die Kirche gehst an mich denken –  Vgl. Brief 3163. [Schließen] aber der schönste Tage den wir in der Entfernung von einander noch zu begehen haben ist der 16te. Daß du es nur nicht über dem Pakken der Sachen und  | 49v der Reise nach Stralsund vergißt. Aber das war mal ein recht unnüzes Wort.

Soll ich Dir nun geschwind noch ein Bischen vom Kanonierhause berichten? Ach es sieht leider noch weitläuftig genug da aus. Heute sind wir mit dem Maler da gewesen, der sehr billig ist und die Sache recht niedlich machen wird nach allem was ich von ihm gesehen habe aber er behauptet alle Wände müßten erst abgerieben und  Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, s.v.: „in besonderer anwendung von dem ersten antünchen einer wand“. [Schließen]geschlämmt werden, so daß er wol erst in der Mitte der künftigen Woche wird anfangen können. Dann ist noch eine große Noth wegen der Oefen. Nanny hat heute schon dem Kirchenvorsteher einen Besuch deshalb abgestattet, und ich werde es wol Morgen wiederholen müssen um die Sache baldmöglichst in Ordnung zu bringen. Nanny hat sich für ihre Stube eine Farbe ausgesucht zwischen Buche und Chamois mit einer Borte von Eichenlaub drüber. Das kleine Kabinet wo Dein Secretair stehn soll lasse ich Florentinerroth machen mit einer Blumenborte. Der Saal wird grün in Felder abgetheilt mit Arabesken und meine Stube lichtgrau. Dies alles sol etwa 32 R kosten, was ich sehr wohlfeil finde. Das kleine Kabinet wovon wir noch nicht wissen ob es unsere oder Nannys Schlafkammer wird erwartet noch seine Bestimmung; es soll aber auf jeden Fall nach Deiner Vorschrift gemacht werden. Fertig kann wol alles noch werden ehe wir reisen wenn nichts Neues dazwischen kommt; aber tummeln muß man sich gut und Nanny betreibt es auch aus allen Kräften. Du denkst nun gewiß auch schon an Nähen und Pakken, und so arbeitet alles auf das schöne Ziel los; und es steht in einer so herrlichen und festen Gewißheit vor mir daß auch alle Weltbegebenheiten es nicht sollen verrükken können. Auf diese sind wir übrigens sehr gespannt. Der Boden brennt allen  | 50 die es gut meinen unter den Füßen. Niemand begreift die unselige Zögerung, mit jedem Tage der noch friedlich hingeht geht eine Hoffnung verloren – doch kann noch alles gut gehn, und wird auch hoffe ich. Aber eine ganz eigne Freude soll es mir sein, als wenn dann erst der wahre Grundstein unseres Glüks gelegt würde, wenn ich dir sagen kann daß der Krieg nun wirklich auf die würdige Art die jezt noch möglich ist ausgebrochen ist. Vergehn aber noch vierzehn Tage ehe ich dir diese Nachricht geben kann, dann ist für den Anfang wenig zu hoffen.

Recht übereinstimmend mit mir hast  Ehrenfried von Willich und die noch ungeborene Henriette Pauline Marianne, vgl. Brief 3158. [Schließen]Du mich an die Zeit erinnert wo Du mit Ehrenfried und dem unsichtbaren kleinen Jettchen hier warest. Sie hat mir auch schon oft in Gedanken gelegen jezt. Auch daß du damals so von mir erfüllt warst ist etwas recht gegenseitiges gewesen denn ich dachte auch nur darauf dich soviel möglich zu genießen. Eines Augenbliks erinnere ich mich besonders wo Du mich ganz im Gefühl Deines neuen Mutterglükkes an Dich zogest und ich voll der innigsten Zärtlichkeit Dich dazu segnete im Geist. Ehrenfried komt dazu und umfaßte uns beide. Mir war als ob Du und Dein Kind und Euer Glük meine ganze Welt wäre. Liebe süße Jette! und nun ist es so! nun bist Du ganz mein, Dein Mutterglük ist mein Vaterglükk und Ehrenfried umfaßt immer wieder uns beide. In der tiefsten Rührung und im innigsten Wonnegefühl rufe ich Dir gute Nacht meine süße geliebte Braut.

Mittwoch d 29t. Abends. Es ist immer wieder so spät mein Liebchen. Heute wollte ich nicht eher wieder zu Dir kommen  Vgl. Brief 3179. [Schließen]bis ich an Tante Willich geschrieben hätte, und das ist nun auch vorangegangen. Ich hätte ihr gern noch mehr vorgeplaudert um meine wirklich etwas sträf | 50vliche Vernachläßigung ihrer in Poseriz (so ist es mir wenigstens vorgekommen) wieder etwas gut zu machen.  Vgl. Brief 3158. [Schließen]Wie kannst Du nur denken es könnte mir vielleicht unangenehm sein ihr zu schreiben. Liebste Jette bei denen die an Dir und an Ehrenfried hängen kann mir so etwas gar nicht begegnen; und es sollte mir sehr leid thun wenn Du aus einer solchen Besorgniß etwa versäumt hättest mir Briefe abzufodern die Dir doch lieb gewesen wären wenn ich sie geschrieben hätte. Nun weiß ich aber gar nicht ob die gute Tante nicht sehr auf äußerliche Dinge ist, und ob ich Dir nicht erst die Last aufbürde mich mit der jezigen Mode zu entschuldigen darüber daß die gewohnten Schnörkel oben und unten an dem Briefe fehlen – aber es ist mir gar nicht möglich wenn ich dergleichen erst gemacht habe irgend noch herzlich zu reden. So schikke ich Dir den Brief auch ganz offen; denn ich weiß so wenig von den Verhältnissen der Tante in ihrem Stift daß ich doch die Adresse wahrscheinlich falsch würde gemacht haben. Das liegt nun alles auf Dir mein Herz, wie noch vieles auf Dir liegen wird.

Aber nun süße Jette, liebstes einziges Mütterchen laß Dir vor allen Dingen Glük wünschen zu unseres  Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Friedchens Geburtstag. Tausend Dank für den lieben tüchtigen Knaben mit dem Du mir eine solche Würze meines Lebens giebst daß ich dir es nicht ausdrükken kann was für eine Fülle von Segen und Freude  | 51 ich von ihm für mein Leben erwarte. Und tausend Dank daß Du ihn schon hast Vater sagen gelehrt. Gott könnte ich Dir nur recht sagen wie ich ordentlich begierig bin auf das Leben mit den Kindern. Ich hab des lieben Jungen heute immer fort gedacht – auch unter den Bonbons und Pfefferkuchen herumwühlend.  Vgl. Brief 3158. [Schließen]Ganz gut sind Deine Nachrichten von seiner Gesundheit wol noch nicht; aber ich hoffe das milde Wetter was sich wenigstens bei uns wieder eingestellt hat soll ihm bald ganz aufhelfen so daß ich ihn völlig frisch finde – Aber mein Himmel ich sehe eben daß mein Licht ausgehn will und daß ich eilen muß ins Bett zu kommen.

Donnerstag d 30t.  Vgl. Brief 3158. [Schließen] Nanny hat nun die Tuchnadel geholt; sie kostet 1 ½ R wolfeiler war sie nicht zu haben.  Sachanmerkung:

Ich ... plaudern können.] 
Vgl. Brief 3178 und Brief 3177.

Luise] Luise von Willich

Jette] Henriette Herz
 [Schließen]
Ich habe indeß an Luise einliegendes Blättchen und an unsere große Jette auch eins geschrieben und nun werde ich nur noch wenige Worte mit Dir plaudern können.
 Vgl. Brief 3158. [Schließen] Sei nur ja nicht besorgt um meine Gesundheit! das war neulich nur so ein plözlicher Uebergang und ich habe mich seitdem sehr wohl befunden. Das Baden thut mir doch gut glaube ich und das Wetter wird nun auch bei uns immer milder. O wie freue ich mich auf den schönen Frühling auf Rügen! und wie wollen wir uns alle Mühe geben ihn recht zu genießen. Du glaubst nicht wie es mich manchmal schmerzt wenn ich daran denke daß ich Dich hier in diese öde Gegend her verseze; und wie ich nur kann will ich suchen allen Genuß der Natur der hier noch möglich ist Dir zu erleichtern. Aber dort wollen wir noch recht mitnehmen und feiern alles  | 51v Schöne. Es könnte mich fast freuen daß ich Rügen in der ersten Frühlingsgestalt noch nicht gesehn habe und daß ich es nun grade jezt so finde. Sei nur ja mit den Kindern recht gesund süße Jette. Es sind nun eigentlich wahrscheinlich nur noch vier Wochen bis zur Reise. Die werden nun erst rasend schnell vergehn weil noch soviel darin geschehn muß! Und gleichsam als ob ich noch nicht genug zu thun hätte fängt Humboldt nun noch an mir provisorische Arbeiten zu geben, und ich darf es ihm nicht abschlagen der Sache wegen. Heute wird nun zuerst im Kanonierhause dem Maler vorgearbeitet, freilich nur in meiner Stube. Es ist recht übel daß nun grade noch die Feiertage dazwischen treten aber es ließ sich doch eher im Zusammenhange nichts unternehmen und es ist keine Verschieberei von meiner Seite

Adio meine süße Jette. Ich umarme Dich mit den wonnevollsten Ahndungen und dem herrlichen Gefühl der nahenden Erfüllung[.] Könnte ich meine Freude doch in diesem Augenblik an Deinem Busen aushauchen. Ganz, ganz

Dein Ernst.

Zitierhinweis

3176: An Henriette von Willich. Berlin, Dienstag, 28.3. bis Donnerstag, 30.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007005 (Stand: 26.7.2022)

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