Hildesheim. Am 25. Mz. 9.

Mitten hier unter den Meinigen, Ihnen um soviel näher, und den ordnungsmäßigen Arbeiten auf einige Zeit entronnen ist mir auch Bedürfniß, mich ein wenig schriftlich mit Ihnen zu unterhalten, Verehrtester. Die Zeit führt immer soviel Neues herbey, daß man nicht weiß, wo und an welchem Ende man anfangen soll, wenn man davon erzählen will. Aus Heidelberg haben Sie ohne Zweifel, wo nicht Briefe, doch Nachrichten über einige Veränderungen, welche wir dort erlebt haben. Das Härteste, was uns getroffen, ist ohnstreitig Creuzers Verlust, d. h. sein Abgang nach Leiden. O! hätten Sie doch diesen trefflichen Menschen gekannt. Seine schöne Individualität, sein herrliches inneres Leben, so ganz im äußern ausgedrückt, seine Genialität, so lebendig in alles das sein Leben und Reden übergegangen hat mir so manche stille Freude gegeben und ich verliere an ihm eine der theuersten Seelen. Seit langer Zeit hatte er sich mit seinem Alterthumsgeist, seinem hohen und frommen Sinn und seiner Liebe, zu classischer Erudition in eine harte Opposition gesezt zu einer Zeit, wo auch das Edelste untergeht, das Alte und Tüchtige und die Gelehrsamkeit nicht mehr, wie sonst, geachtet wird, wo Alles so äußerlich, ungeistlich und weltlich worden ist. Er war mit der ganzen Verfassung unserer Universität sehr unzufrieden, die alle Tage neue  gemeint ist „transrheinisch“, vom anderen Rheinufer [Schließen]transrenanische Formen erhält und die fremde Ungründlichkeit und Flachheit, die unmäßige juristische Präponderanz war ihm ein Greuel. So nahm er den Ruf nach Holland willig an und verlangte den Abschied auf dem kürzesten Wege. Unsere gemeinsame academische Wirksamkeit leidet dadurch unsäglich. Noch nie hat ein Philolog so schön eingegriffen und eingewirkt in theologisches Studium; alle alte Scheidewände waren niedergerissen und nur eine Fortsetzung ihrer theologischen Studien bey Creuzer schien den Studierenden seine Lehre zu seyn. Tausendmal haben wir unter einander gesagt, daß nur Sie uns noch fehlten und noch, als sein leztes Schicksal entschieden war, war sein sehnlichster Wunsch, Sie in seiner Stelle zu sehen. Wie aber sollen die Schwierigkeiten in Ihnen und uns überwunden werden!  | 10v Inzwischen erhielt auch Böckh eine Vocation nach Königsberg und in wenigen Tagen war entschieden, daß er Creuzers Stelle und fast(?) ganzen Gehalt wiederbekam. An dem nämlichen Tage, wo dieß entschieden ward, wurde er Bräutigam. Die Seligkeit und das unerträgliche Glück dieses vom raschen Gang seines Schicksals in jungen Jahren Bestürmten können Sie sich kaum denken. Wie nichts zugleich possirlicher und rührender ist, als die Art eines in der ersten Liebe befangenen, so war es auch hier. Indeß hat er noch einige kleine Schwierigkeiten zu überwinden, die jedoch, hoff’ ich, bald beseitigt sind. So ist er auch in diesem Stück uns beiden zuvorgekommen, soviel ich, was Sie betrifft, weiß. Ich hatte mir immer vorgenommen, vor dem dreyßigsten Jahr noch dazu zu thun und ich halte jezt eben vor dem dreyßigsten. Aber ich sehe wohl, daß ich noch einige Zeit zugeben muß und tröste mich dermalen oft mit  Möglicherweise Anspielung auf den 5. Monolog „Jugend und Alter“ (1800) in den „Monologen“ (OA S. 131-155; KGA I/3, 51-61). [Schließen]einer schönen Stelle in den Monologen, die auf diesen Punct eine besondere Beziehung hat.

Ich lebe zwar in einem schönen Wirkungskreis: doch wird uns zu Heidelberg gar zu oft von einer Seite, woher man nur Sorgfalt für uns erwarten sollte, mancherley in den Weg gelegt. Eine protestantischtheologische Facultät hat einen eigenthümlichen Standpunct zu nehmen zu einer durchaus Catholischen Curatel und wäre es auch blos, daß diese ihr darum nur Manches gern thut, weil sie sich in eine ganz andere Form nicht finden kann.  Die Untersuchung mündete in: Konrad Marheineke: „Christliche Symbolik oder historisch-kritische und dogmatisch-komparative Darstellung des katholisch, lutherischen, reformierten und socianischen Lehrbegriffs. Nebst einem Abriß der übrigen occidentalischen Religionspartheyen, wie auch der griechischen Kirche“, 1810 (Bd. 1/1 und 1/2), 1813 (Bd. 1/3). [Schließen]Inzwischen arbeite ich seit zwey Jahren im Stillen fort an einer systematischen Exposition des Katholicismus, womit ich mich sonst auf nächsten Sommer zu exponiren denke. Ich kann es im Voraus errathen, welchen craßen Ansichten, Misverständnissen und Vorurtheilen ein Unternehmen von dieser Art bey Protestanten und Katholiken ausgesezt seyn wird: denn wo ist noch Sinn für die Trennung und religiöse Historie? Aber dieß weiß ich gewiß, daß wenn es gelingt, was ich von meinen armen Kräften nicht erwarten kann, man dem Protestantismus, zumal in gegenwärtiger Crisis, keinen besseren Dienst, als diesen, leisten kann.  Friedrich Schlegel rezensierte Friedrich Leopold Stolbergs „Geschichte der Religion Jesu Christi“ (erster und zweiter Teil, 1806, 1807), in den „Heidelberger Jahrbüchern“, 1. Jg. (1808), 1. Abtl., S. 266-290. Seine Rezension wurde wiederum von Karl Friedrich Rink in den „Heidelberger Jahrbüchern“ rezensiert (“Bemerkungen über einige Stellen in Friedrich Schlegels Recension“, 2. Jg., 1. Abt., H. 1, S. 3-12, S. 49), in der er sich polemisch insbesondere über Schlegels Reflexionen zum Katholizismus und Protestantismus äußert. Schlegel selbst war über die Rezension Rinks verärgert, vgl. Einleitung in Friedrich Schlegel, KFSA VIII, S. CLXIV. Marheineke schrieb seine Rezension über Stolbergs Kirchengeschichte sowie über M. Heinrich Kunhardts „Anti-Stolberg, oder Versuch die Rechte der Vernunft gegen Friedrich Leopold, Grafen zu Stolberg, zu behaupten, in Beziehung auf dessen Geschichte der Religion Jesu Christie“ (1808), die auch immer (sehr kritisch) Bezug auf Schlegels Rezension nimmt unter dem Pseudonym „Nathanael“ ebenfalls in den „Heidelbergischen Jahrbüchern“ (2. Jg. 1809, 1. Abt., 2. H., S. 54-84). Zur Auflösung des Psyeudonyms vgl. Oscar Fambach „ Ein Jahrhundert deutsche Literaturkritik, Bd. V: Der romantische Rückfall “ (1963), S. VIII. [Schließen] Wo ich damit hinauswill, hab’ ich in der pseudonymen Recension von Stolbergs Religionsgeschichte und der Schlegelischen Recension darüber schon deutlich genug verrathen und ich möchte wissen, von Ihnen besonders, ob ich wohl auf dem rechten Wege sey. Zu jener Recension veranlaßten mich besonders die elenden Bemerkungen über Schlegels Recension womit sich der neue Jahrgang unserer Jahrbücher gewiß zu seinem größten Nachtheile eröffnete . | 11

Mit wahrer Ungeduld haben wir längst zu Heidelberg der Errichtung einer neuen preußischen Universität entgegengesehen. Wollte Gott, daß es doch endlich dazu käme und Sie von neuem in einen so schönen Wirkungskreis gesezt würden, als  korr. v. Hg. aus: sieSie hatten und für den Sie so ganz bestimmt sind.  5. Koalitionskrieg (Österreich und Großbritannien gegen das napoleonische Frankreich, Preußen blieb neutral)  [Schließen]An dem neuen Kriege, der im Ausbruch ist, fürcht’ ich wird auch dieser Plan, eine neue Zögerung finden  König Wilhem III. hatte sich seit der Niederlage vor Napoeleon mit der königlichen Familie nach Königsberg zurückgezogen. [Schließen]und hätten Sie nur wenigstens erst einmal Ihren König wieder

Wenn Sie ein Stündlein für mich übrig haben, so ersuche ich Sie, Ihren Brief hieher an mich zu addressiren. Ich werde, denk’ ich, bis auf den 20. April hier verweilen können.  Vgl. Brief sowie Brief 2576, KGA V/9 vom 14. 11. 1807. Eine genaue Nennung der Rezensionsangebote bzw. -aufträge lässt sich aus diesen Briefen jedoch nicht ermitteln.  [Schließen]Vergessen Sie dann aber auch nicht ein Wort über die alten Recensionsanträge. Sie würden, wenn Sie einmal gewisse Hofnung machten und erfüllten, große Freude unter uns wecken.

Ganz der Ihrige

Marheinecke.

Zitierhinweis

3171: Von Philipp Konrad Marheineke. Hildesheim, Sonnabend, 25.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007000 (Stand: 26.7.2022)

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