Berlin d 25t. Merz. 09

Ich habe Ihnen so lange geschwiegen lieber Schulz. Ihr freundlicher Gruß in dem Briefe an Reimer, der mir Ihren ganzen Sinn und Geist vergegenwärtigt, macht dem Schweigen ein Ende; ich muß Ihnen den Gruß wenigstens selbst wiedergeben. Möchten doch Geschäfte oder Neigung Sie bald nach Berlin führen, bald ehe ich reise, damit wir uns noch einmal aussprechen könnten. Mit dem Schreiben ist es doch so gar wenig.  Laut Tageskalender ging am 18.12.1808 Brief von Schultz ein, dem der Brief an Stein eingelegen haben könnte. [Schließen] Ihren Brief an Stein habe ich noch an demselben Tage abgegeben.   Anspielung auf die Entlassung Steins als Staatsminister am 24. November 1808 durch Friedrich Wilhlem III. , der Napoleon nicht verärgern wollte. Stein erfuhr Anfang Januar 1809 von dem Ächtungsdekret Napoleons (vom 16.11.1808) und floh kurz darauf nach Österreich .  [Schließen]Ich weiß nicht ob die bald darauf erfolgte Katastrophe ihm erlaubt hat Ihnen noch zu antworten. Damals nahm ich Gelegenheit seine Ansicht von Ihnen die mir zu einseitig schien zu berichtigen, hernach ist unser Gespräch nicht wieder auf Sie gekommen, auch habe ich ihn leider, weil ich fast immer unwohl war, in der lezten Zeit wenig gesehen.

  Im Januar 1809 begleitete Nagler Friedrich Wilhelm III. als Vicegeneralpostmeister auf der Reise nach St. Petersburg und war als Kabinettssekretär und bald Geheimer Staatsrat nicht ohne Einfluss auf die politischen Geschäfte.  [Schließen] Hiernach hätte ich Sie gern aufmerksam gemacht auf allerlei Anzeichen die ich zu haben glaubte als hätte Nagler Lust die KabinetsRegierung in seiner Person wieder in Gang zu bringen; ich bin aber durch die Art wie die Geschäfte seit der Rükkehr aus Petersburg betrieben werden und durch | specielle Nachrichten überzeugt daß das entweder gar nicht seine Ansicht gewesen oder daß es nicht gegangen ist und daß er gar keinen persönlichen Einfluß auf den König hat[.] Also ist es mir lieb daß ich Sie nicht erst in Athem gesezt habe. Ueber die allgemeinen Angelegenheiten ekelt mir zu schreiben, das muß gesprochen sein. Lassen Sie mich Ihnen nur meine Freude bezeigen zuerst über Ihre vermehrte Vaterschaft, und dann darüber daß ich hoffe Sie bald an einer Stelle zu sehen wo Sie Ihre Kräfte wieder für die gemeine Sache brauchen können, und die wenn sie auch noch nicht ganz die rechte ist Sie doch weiterführt. – Nicht als ob ich etwas Bestimmtes darüber wüßte aber es kann ja gar nicht fehlen. Was mir erfreuliches bevorsteht wissen Sie. Es hat einen ganz eignen Reiz grade in diesen Zeiten ein Haus zu gründen und ein forsches Leben zu beginnen. Ich treibe es auch recht wie man alles jezt treiben sollte mit Kekheit und ohne um die gewöhnlichen Mittel besorgt zu sein; denn ich weiß noch gar nicht wovon zunächst zu leben und zu bestehen, aber ich denke es wird sich finden von einer auch „Sachsenfrist“ oder „Jahr und Tag“ ist eine Zeitbestimmung aus dem Recht des Mittelalters, sie beträgt nach einem bereits abgelaufenen Jahr noch sechs Wochen und drei Tage.  [Schließen] sächsischen Frist zur andern – weiter hinaus muß man ja gar nicht verlangen sehn zu wollen. Um solcher Sorgen oder vielmehr Possen willen sich aber jezt noch | länger von denen getrennt zu halten die man sich einmal für immer zugeeignet hat, das würde mir feigherzig und ruchlos erscheinen

Werden Sie nur nicht irgendein Director der churmärkischen Regierung – wiewol ich das sonst wol wünschte denn grade an solchen wird große Noth sein – damit Sie nicht nach Potsdam kommen. Diese Versezung mag in der Theorie ganz richtig sein: ich wenigstens würde danach streben daß in der Hauptstadt des ganzen Landes durchaus kein ProvincialCollegium wäre. Aber wie Sie in dem vorliegenden Falle zumal wegen der Accise und wegen der Kirchen und Schul Deputation wird auszuführen sein begreife ich nicht recht.

Grüßen Sie mir Hanne Berndt(?) die kleine Ungenannte und Ihr ganzes Haus herzlich, und lassen Sie sich bald einmal sehn.

Schleiermacher

Zitierhinweis

3169: An Friedrich Schultz. Berlin, Sonnabend, 25.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006998 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.