Vgl. Brief 3127. [Schließen]Liebste Karoline, Blanc schreibt mir, Sie wären gewiß auch weit weniger wohl, als Sie sich wollten merken lassen. Gutes Kind, Sie werden alle Ihre Kräfte wesentlich brauchen, verbrauchen Sie sie ja nicht dazu, um einen Schein von Gesundheit zu erkünsteln, sondern fangen Sie lieber auch vorbauend [an], wenn Sie sich nicht unwohl fühlen dafür, sich recht bei Kräften zu erhalten.  Der Brief ging laut Tageskalender am 8.3.1809 für Anne (Nanny) Schleiermacher ein. [Schließen] Ihr Brief an Nanny hat mir große Freude gemacht. Ja, wirklich Freude; denn ein so inniger, so schön gehaltener Schmerz ist eine wehmüthig erfreuliche Erscheinung. Möchten  korr. v. Hg. aus: sieSie ihn recht ungestört pflegen und genießen können! Dazu gehört aber, daß Sie, daß Ihre gute Mutter wohl sind, daß Sie nicht von unangenehmen Aeußerlichkeiten gequält werden. Das sind die besten Wünsche, die ich in diesem Augenblick für Sie haben kann. Wenn Sie es mögen, wie mir das immer lieb war in ähnlichen Fällen, aus Ihrem Schmerz heraus in wirkliches Glück und Freude hinein zu sehn, so denken Sie bisweilen an mich. Ich bin so rein glücklich in den schönsten Erwartungen, als man es nur sein kann und selbst, wenn ich mir denke, wer weiß, ob nicht auch mir ein ähnliches Schicksal bestimmt ist, wie unser armer Müffling erfahren hat, so macht es mich nicht irre, sondern nur eiliger und dringender der flüchtigen Zeit – denn was macht es doch für einen Unterschied, ob drei oder | dreißig Jahre! Sie sind so gleich, wenn sie vergangen sind – so schnell nachzusagen als möglich und ich fühle es tief, daß man das Gebäude des wahren Glückes aufsuchen muß und sollte man auch wissen, daß es bald wieder einstürzen muß und daß man nur wenige schöne Augenblicke darin wohnen kann. Was man einmal recht gehabt hat, hat man doch auch ewig. So fühlt gewiß auch der gute Müffling, von dem es mir aber doch schrecklich ist, daß wir Alle so gar nichts wissen. Er hat wohl Recht, daß das Sprechen über sein Schicksal ihn nicht erleichtern kann, aber er sollte uns doch nicht in Sorgen lassen. Wollte Gott, wir könnten ihn bald in eine erwünschte, recht anstrengende Thätigkeit versetzen; diese müßigen Kantonierungsquartiere müssen aber schrecklich sein für ihn.

Empfehlen Sie mich Ihrer guten Mutter aufs Herzlichste und sagen Sie ihr, wie gern ich sie bisweilen sehen möchte und mit ihr trauern. Wie wir hier Sie vermissen, wie lieb Sie dem ganzen Kreise geworden sind, davon spreche ich Ihnen nichts. Vergessen Sie uns nur nicht ganz.

Schleiermacher

Zitierhinweis

3148: An Caroline Wucherer. Berlin, Mittwoch, 15.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006977 (Stand: 26.7.2022)

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