Wenn(?) ich Ihnen mein theurer Freund es sagen sollte was mich so lange von einem schriftlichen Umgange mit Ihnen abhielte, so könnte ich es nicht – gewis nicht denn wie es kam weis ich nicht. Sie sind mir nicht fern gewesen; wie könnte es sein, aber es mag wohl ein unvertilgbarer Fehler in mir sein, daß ich selten schreibe – so fange ich es an zu betrachten, und glauben Sie, es mir theurer Schleier ich bin mir gram darum! Auch will ich Ihnen keine Entschuldigung machen – der Freund entschuldigt immer – ich müßte sie mir selbst thun daß ich mich so um meine Freuden bringe – ach wie oft habe ich nicht darum zu klagen!

 Vgl. Brief .  [Schließen] Sie wißen es wohl mein geliebter Freund, welche traurige Katastrophe uns betroffen hat. Sie haben vieleicht schon viel davon gehört, und auch wiederum kann Ich nur damit anfangen. Lieber Schleier, wie hat mich dieser Verlust so tief und innig bewegt, obwohl ich keinen eigentlichen zu betrauern habe, als wie um ein abgewiesenes Glied der Gesellschaft. Es war und ist auch nicht um mich – aber es ist um das zerrisne Glück und die Lebensfreude einer mir sehr werthen Frau – ich begreife es oft selbst nicht wie ich den Schmerz so fortdauernd mitleiden und immer wieder mitweinen kan. Ich habe in der  | 1v Krankheit meines Schwagers fast täglich ihr beigewohnt und noch immer schwebt dis Andenken dieser Zeit, und der lezten Stunden um mich – lieber Schleier – es war sehr, sehr schön – was ist schöner als die unendliche Liebe, und wie überwindet sie alles, selbst das schauderhafteste! Mein Bruder war ein rührendes Bild der Auflösung – ich kannte ihm wenig, aber es war nicht meine Schuld – doch hab ich ihn geachtet und wehrt gehalten

Die arme  Karolin Israel [Schließen] Karolin ist noch unendlich gebeugt – ich kann sie nicht sehen, ohne daß ich jammern muß – so war es mir auch meistens wie ich  Henriette von Willich [Schließen] Jettchen sehe, und wie freudig ist mir jezt um sie! O mein lieber Schleier, welche Jugendblüthe erfüllt sie – wie glücklich ist sie – wie glücklich auch Sie – wie werden Sie so reich mit einem male – die lieben süßen Kinder! Meines kleinen  Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Ehrenfrieds Geburtstag ist nun bald – ich hatte es so fest in mein Herz geschrieben ihm auch wie meinen Sohn zu betrachten, und mein Lebtag thätig für ihn zu sein, nun ist er glücklicher geworden als ihn das machen konte. Ich habe alle lange nicht gesehen, sehn Sie ich kann nicht durchziehen durch die Hinderniße lieber Schleier – das ist es was mir fehlt – und mein Leben zu den Freunden, ist so getrennt von dem was mein Mann führt – wärn wir beide darin vereint – nicht mehr. Darf ich es wohl denken daß er dann schöner und ich auch anders wäre? – Es scheint  | 2 mir wie ein Unrecht, darum frage ich.

Wann kommen Sie mein Freund – im Mai so sagt mir Jettchen , und dann nehmen Sie sie uns weg. Viel, viel Schönes nehmen Sie fort, aber mir ist als sei bis Berlin nur ein Stündchen[.] Beides(?) – ich weis – ja gewis ich muß mich dort einmal mit Ihnen freuen. Mir ist wohler wenn ich weis in welchem Kreise sich der geliebte Mensch bewegt, und seine äußere Welt knüpft mir das Band mit seiner Inneren nur desto fester. Wo Jettchen ist da bin ich nie entfernt – und ein unaussprechlich süßes Gefühl liegt mir darin ihr Glück zu sehen und zu theilen.

Ich habe mir Ihre Predigten von  Charlotte Cummerow; sie bat Schleiermacher im Oktober 1808 um die Zusendung seiner Predigten (2. Sammlung), vgl. Brief .  [Schließen] Lotte geholt mein lieber Freund und lese sie in stillen Stunden. Hätte ich mehr Ruhe, ich würde meine Ergießungen darüber niederschreiben, und wenn ich sie Ihnen mittheilte würden Sie es wißen wie heilig mir Religion und Natur ist. Ich thu es auch noch einmal – es gibt nichts schönres für das Gemüth als solche Ausdrüke – man spricht zu dem geliebten Freunde der da versteht was man nicht aussprechen kan.

 Der Ring war Zeichen der Mitgliedschaft in einer Gesellschaft oder in einem Bund, in dem auch Charlotte Cummerow und „Freund Leopold“ Mitglied waren, vgl. Brief . Über diese Gesellschaft konnte weiter nichts in Erfahrung gebracht werden.  [Schließen] Ich trage auch einen Ring wie Sie lieber Schleier – das heißt ich habe mich mit zu der Gesellschaft bekant die da – eigentlich erst organisirt werden soll. Mir ist jeder Schritt lieb der mich zu einem gemeinnützigen und guten Zwecke mit andern vereinigt – so habe ich es betrachtet – wollen Sie mir nicht Ihre Ansichten darüber geben?  | 2v Es ist etwas in mir dabei  korr. v. Hg. aus: daßdas nicht recht befriediget ist, und ich fühle daneben  korr. v. Hg. aus: dasdaß es sehr schön sein könte.

Mein Man und meine Kinder sind sehr wohl. Eduard hoffe ich wird in der liebevollen Pflege seines Lehrers gedeihen. Hermans Hochzeit ist bis im Herbste hinausgerückt – mir geht das nahe, er war schon so bestimmt darin  korr. v. Hg. aus: dasdaß sie im Frühling sein sollte. Lieber Schleier, ich habe Herman sehr, sehr lieb – aber Jettchen gönne ich Ihnen doch lieber. –

 Töchter der Friederike Israel [Schließen]Meine süße Emma ist sehr lieb und gut – sie ist sehr groß und stark – auch werden Sie sich über Gustava freun, die recht lieblich heranwächst. Ich fange an mich alt zu dünken, um der Kinder willen, aber auch wieder jung in Ihnen – es geht doch nichts über diese Freude und es mögte mir wohl ja zuweilen einfallen mich wie Grosmutter zu träumen.

Ich blicke mit so unendlicher Sehnsucht dem Frühling entgegen – ich war diesen Winter so sehr gesund  korr. v. Hg. aus: dasdaß mir auch die Kraft nicht fehlt, hierin Hoffnungen zu beleben. Man hat uns ringsum jezt eine weite Aussicht gegeben, manche ergözt das, auch mich zu Zeiten wenn ich die Greuel der Verwüstung übersehen kan – aber ich kan mich nicht an die Stadt gewöhnen – gewis ich werde es nie. Es war eine frühere Zeit des Lebens wo sie alle meine Wünsche befriedigte, aber ich lebte in einem Zirkel geliebter Menschen  | 3 und wo die sind da ist mir ja immer wohl. Hier gelingt es mir nicht so und außer meinem Hause ist nicht viel Schönes was mich an dem Ort knüpfte – ich mögte lieber in einer größren Stadt leben wenn ich das Land nicht haben kann.

Sein Sie mein lieber guter Freund, und schreiben Sie mir bald – was hülfe es Ihnen  korr. v. Hg. aus: dasdaß Sie mich noch strafen wollten um mein säumiges Wesen – es liegt nicht in mir – es liegt außer mir und ich verzweifle daß es anders wird. Sie kommen bald – wie glücklich werden Sie sein – eine schöne Liebe, theurer Schleier, und ein schöner Frühling – ich denke er mus es werden!

Israel grüßt Sie herzlich – er treibt sich in der Thätigkeit herum – und ich betraure das oft wenn meine Sehnsucht nach herzlicher, stiller Mittheilung zu groß wird, aber es wird wohl nicht anders sein können. Grüßen Sie Ihre liebe  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanni , wo sie sich meiner noch erinert. Die Ihrige Friedrike Israel

den 14ten Merz.

Zitierhinweis

3146: Von Friederike Israel. Wohl Stralsund, Dienstag, 14.3.1809 , ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006975 (Stand: 26.7.2022)

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