S. den 11. Merz 09.

Nein nichts von Lochreissen(?), Beichte und absolution – mein bester Schleier, – das wollen wir den andern zuschieben – Es ist auch mit meinem  Fritz von Berger, vgl. Brief . [Schließen] Neffen alles seinen natürlichen Gang gegangen und er ist zu seinem Stabe, um sich, wie er spricht, zu arrangiren – ob er da bleibe als militair oder rückkehre als Oeconom. Lassen wir ihn!

Wenn ich es nun zu meiner Freude nicht anders als habe treffen können, wie Dir gegen mich zu Muthe war – warum denn, lieber Bruder, sollte ich nicht von dem auch etwas geahndet haben, was in Dir für  Henriette von Willich [Schließen] Jettchen aufkommen muste? – und was von Rechts wegen – Es schwebte mir mein Zustand vor von meinem Wittwerwerden – Ich wollte, so stimmte mein Herz, so wenig als möglich von meiner ersten Charlotte entfernt werden, ich wählte, ohne Wahl, die zweite, die mit ihr ein Herz und eine Seele war – Ihr wart, im Grunde alle beide, das doch noch kräftiger würken muste, in jenen Zustand der Unbehaglichkeit versezt, der sich wieder ausfüllen muste – etc – so, raisonnirte ich grade nicht, aber so muste es bei mir kommen, daß ich Prophet wurde – Und es muß Dich nicht verdriessen, daß ich das mir so willkommne Dein Geheimniß, ehe Du es Selbst noch hattest, errathen habe – doch will ich bitten, mich darüber hinaus nicht wie  | 5v einen Propheten in Anspruch zu nehmen, als dahin: daß es sicher Euch beiden nie gereuen wird – Ich sehe eine noch schönere Zeit kommen für Dich und für Sie – die alles versäumte nachholen, alles verlorne ersezzen wird – Herz,  Luise von Willich [Schließen] Louise und alle Freunde müssen meine Zeugen seyn, wie herzlich ich von der ersten Bekanntnschaft an mit Deiner Liebe mich nach dem Ziele für Dich gesehnt habe und wie mich oft Zweifel von hie oder da, daß das schwer seyn würde, ergrimmt machten – Mich zu beruhigen dachte ich dann, nicht auf Plane und Rathschläge, sondern ächt Marianisch:   Lk 1,37 [Schließen] bei Gott ist kein Ding unmöglich. Und nun haben wirs: Halleluja! Darin stimmen wir von allen Seiten und mit allen Tönen der   1 Kor 13,13 [Schließen] Liebe, des Glaubens und der Hofnung ein und es soll, troz dem Ungetüm der Zeit,   Joh 16,22 [Schließen] es soll uns keiner unsre Freude nehmen – doch auch jenes Ungetüm wird sich fügen, oder sich bearbeiten lassen müssen; sich fügen – sind doch schon unsre Gegenden izt fast ganz leer von den ungebetnen Gästen, und wenn gleich andre angemeldet, wir der Hofnung, mit ihnen besser fertig zu werden; sich bearbeiten lassen, – nun! wir retiriren uns in die Brunnenaue , ins Steinbad, Sturzbad, man wird doch irgend wo in Ruh und Frieden vor den alles durchstöbernden Weltbezwingern sich selbst haben dürfen. Mein Haus hat nun schon seit mehreren Monaten einer ungekränkten Freiheit genossen und ich werde mich so leicht nicht wieder  | 6 ausser Poßeß sezzen lassen – Ganz recht also, lieber Bruder, daß Du bei mir ein Asyle für den Genuß suchst, der Dir gebührt – so viel an uns ist, soll dir nicht  hier im Sinne von verbittern (vgl. Grimm: Wörterbuch s.v. Absatz 3) [Schließen]verkümmert werden, so viel an dir ist – Können wir auch die englischen Waaren grade nicht haben und uns nicht im Weine baden; Eier legen die Hühnchen, da wird Dir täglich Deine confiture – auch der Augenschnaps soll Dir nicht fehlen – So wird das Predigen und das Sehen, zwei Deiner Hauptleidenschaften, gefördert. Zu essen haben wir ganze Berge noch – die uns verschlingen könnten – und das logis? Herz, ihre  Johanna Herz [Schließen] Schwester und Deine vis-a-vis von unsrer Wohnstube; deine Henriette oben in Nordwest auf dem kleinen Zimmer mit ihrem   lies: Völkchen und  [Schließen]Völkchen und der Herr Professor – (eigentlich soll nach hiesigen Landesgesezzen ein Brautpaar nicht unter einem Dache wohnen) um sich etwas darin zu finden, so weit wie möglich davon – in Süd Ost, unten im Hause, in einer kleinen Gartenstube, doch honoris causa darüber freie Disposition über meine Gallerie, damit der Novize mit der Familie vertraut werde – Louise bei  Philippine Hahne, spätere Schwarz [Schließen] Hane . Was sonst noch sich zu uns thut, nun das muß sich zu uns thun, so gut es gehen kann – Nur gute Läufe bitte ich mit zu bringen; die Pferde haben ernsthaftere Geschäfte als mit uns zu lustiren und zu heideliren, wie meine  Marianne Regina von Willich [Schließen] Mutter seelig es zu nennen pflegte – Du siehst also, lieber Schleiermacher, alles ist bereit – beschneide nur deine Zeit nicht zu jüdisch – daß sich auch was damit anfangen läßt. Mit den  Familie Schlichtkrull  [Schließen] Poserizzern wird sich alles schon machen lassen und Jettchen soll dorten abgekanzelt werden, daß es klingt – Dir wirst Du also selbst das documentum factae publicationis geben, ohne das Du nicht kommen und unser Jettchen heimführen darfst – | 6v

 Es handelt sich um die Predigt „Ueber das rechte Verhältniß eines Christen zu seiner Obrigkeit“, die Schleiermacher in einem Brief an Henriette von Willich mitschickte, vgl. Brief . [Schließen]Deine Predigt hat Jettchen – angemeldet, aber nicht geschikt – ich hoffe doch und freue mich dazu – bin auch ruhig, daß du, auch wo du mit Affekt öffentlich redest, dich nicht von ihm überwältigen läßest – Inquisitiones sind doch unangenehm, wie man mir neulich eine auf nichts weniger als Hochverrath andrehete, mit der es aber so erbärmlich ausfiel, daß man nur froh seyn wird, wenn ich zum Verstummen der Gegner schweige – Es ist die Zeit der Partheien und des Kampfes; ich hüte mich für Persönlichkeiten und Kleinlichkeiten, stelle mein eignes Intresse gerne für diese Zeit hie und da zurük; gehe aber für die mir anvertraute Heerde, den geringeren Mann insonderheit, dem Wolfe grade aufs Leib, habe ihn schon einige Mahl an der Gurgel gepakt – er fletschte die Zähne und schlich sich davon – Todt machen mag ich ihn doch auch eben nicht; es hat alles sein Nutz und Frommen – er hält Heerde und Hirten wach und ein räudiges Schaf kann man ihm gerne zuwerfen, so werden die andren nicht angestekt. Und so wollen wir Fürbaß gehen, lieber Bruder, du in deinem grössern, ich in dem kleineren Zirkel – es ist ein Gewinnst dieser Zeit, daß auch manche sonst schlechte doch den Guten gewahr und zu ihm hingezogen und für das Gute gewonnen werden –

An Jettchen schikke ich Morgen schon dies Blatt ab – wann es wohl zu dir kömmt?   Vgl. Brief . [Schließen] deins vom 22 Februar habe ich allererst den 8 hujus erhalten – gieb mir also keiner Wiedervergeltung Schuld – Alle Grüsse habe bestellt, nur die noch nicht an die noch schlafende Aue

Dein CvWl.

Zitierhinweis

3135: Von Heinrich Christoph von Willich. Sagard, Sonnabend, 11.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006964 (Stand: 26.7.2022)

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