Mittwoch d 8t. März.

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So sehr ich mich alle diese Tage gesehnt habe mit Dir zu reden mein Ernst so habe ich doch wircklich keine ruhige Viertelstunde dazu gehabt. Unser  Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Friedchen , obwohl gar nicht gefährlich, ist doch recht krank gewesen, so daß er mich Nacht und Tag bei sich fest gehalten hat. Am Montage hatte ich gar großes Verlangen nach Dir mein süßes Leben – Du hattest mich gar zu innig bewegt, aber ich konnte doch zum schreiben nicht kommen.   Moritz von Willich  [Schließen]Der Leibarzt kam den Abend, so erfreuliche Erscheinung in Rüksicht Friedchens so unangenehm war mir übrigens in seiner Nähe zu Muthe. Er ist immer ausgezeichnet artig gegen mich und ich habe diesmal auch sogar über mich vermogt eine Empfehlung von Dir anzubringen. Er hat fürchterlich einmal über Dich zu mir herausgeplazt, nun ist er immer sehr verlegen, wenn von Dir die Rede ist, ich ignorire aber völlig jene Unterhaltung als hätte ich sie längst vergeßen. Sie war aber so komisch daß ich des heimlichen Lachens mich gar nicht erwehren konnte. Besonders war der Gegenstand daß es doch höchst unschicklich sei für einen Mann der Pro | 47vfessor der Moral, der Theologie sein wolle – allen Damen zu Füßen zu liegen. Aber wie kann ich mich nur so lange bei ihm aufhalten.

Ich hatte am Montage nicht die Freude liebe Freunde hier zu sehn, ich war ganz allein mit der sehr freundlichen  Sophie Schlichtkrull [Schließen] Sophie und größtentheils am Bette des kleinen Ehrenfried . Gestern kam ganz unerwartet unsere liebe Tante Baier mit  Julius Baier und vielleicht Wilhelmine Baier  [Schließen] Julius und Hannchen – wir freuten uns sehr. Und gestern Abend trat mit einmal auch  Hermann Baier [Schließen] Herrman herein der aber nur durchreiste denn heute Vormittag ist er schon wieder fort. Er war herzlich ohne offen zu sein wie ich es an ihm gewohnt bin.

Nachdem er mit großer Innigkeit sich über Dich geäußert hatte machte ich ihm Vorwürfe daß er Dir nicht schriebe; da meinte er, er würde es wenn er sich einmahl recht Muth und Freiheit fühle. Wir sprachen noch lang und breit darüber daß er Unrecht habe dazu einen besondern Moment abwarten zu wollen daß dir und ihm dadurch viel verloren gehe – das Ende war dann daß er es aufs neue versprach – Über  Alwine Kosegarten, die Verlobte Hermann Baiers  [Schließen] Alwine wechselten wir nur wenige Worte.

Heute sind Schlichtkrulls mit Tante nach Götemitz .

Die Aussicht Dir schreiben zu können erleichterte mir das zurükbleiben. Morgen früh reiset  | 48 Tante.  Vgl. Brief . [Schließen] Auffallend war es mir daß sie über Lotte Schwarz auch gerade so urtheilte und ihre Verbindung grade so ansah als wüste sie alles was die Gaß gesagt. Sie soll Nachricht haben daß Hasselbach sehr elend ist. Ich fürchte sehr daß aus der Verbindung nichts wird.

Sehr viel herzliches hat Tante mir für Dich gesagt mein Theurer.  Es ist dunkel geworden und ich habe nur noch Zeit Dir zu sagen wie ich heute in einer eignen Sehnsucht nach Dir – in einem wunderbaren Gemisch von Glükseeligkeit und Wehmuth hinaus in das trübe Blau geblickt – und daß ich nun in der Dämmerungsstunde an Deine Brust mich wiegen und den lieblichen Phantasien mich hingeben will mein lieber lieber Ernst!



 Luise von Willich und die Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe, vgl. Brief. [Schließen] Du hast sehr Recht in dem was du an Louise schreibst daß die Kinder viel zu viel Ansprüche an uns Große machen – Glaube nur ich sehe und fühle alles fehlerhafte was von mir selbst und von den Andern begangen wird – aber dennoch – es ist einmal in einen solchen Zug hinein gerathen. Zuerst kämpfte ich mit aller Kraft dagegen und hatte dabei auch die größte Aufmerksamkeit auf mich. Allmählig aber da es wenig  | 48v fruchtete bin ich in das Extrem gerathen, zu sehr gehn zu lassen wie es geht und jeden thun zu lassen wie er will. Süßer Ernst ich bin ganz darauf gefaßt daß du mir Vorwürfe machen wirst wenn du die Kinder wirklich unartig findest und ich möchte Dich gern etwas darauf vorbereiten. In allem was Du mir über sie räthst verstehe ich Dich gewiß ganz gut, es ist mir immer so ganz einleuchtend – Und so bin ich auch ganz gewiß daß wenn wir erst bei Dir sind ich auch mit mir nicht mehr unzufrieden in Rücksicht auf die Kinder sein werde – alles wird ja schön dort zusammenstimmen, jeder Kampf und jede Sorge aufhören weil in uns nur ein Sinn lebt. So habe ich mich auch immer mit dem Gedanken getröstet daß die Kinder in das neue Leben keine Gewohnheiten mit hinüber nehmen werden. Sei nur gar nicht bange Herzensmann wenigstens nur kurze Zeit sollst Du ein geschlagener Mann sein, die Kleinen werden sich schon fügen und es wird ihnen selbst  korr. v. Hg. aus: wohlter wohler dabei sein. O Gott Ernst wenn ich denke wie viel Schmerz ich würde gehabt haben um die Kinder, und solchen der es sein darf – Und nun! o Geliebter und ich möchte mich nur in Dankgebete ergießen.

Ein kleines Bauernmädchen die hier im Hause ist findet sich immer ein mit den  | 49 Kindern zu spielen. Die Kinder haben sie gerne und ohne daß sie mir recht gefällt kann ich doch eigentlich nichts in ihr entdecken welches den Kindern wircklich schädlich sein könnte. Sie ist von außerordentlicher Natürlichkeit; aber sehr plump. Nur eins ist recht schlimm, ihre Sprache ist eine Zusammensetzung von Hoch und Plattdeutsch sonder gleichen, es ist ihr gar nicht beizubringen daß sie bei ihrer Sprache bleibt, weil die Kinder hoch sprechen so kommt es ihr auch so in den Mund und sie ist zu dum um das zu ändern – Du wirst erschreckken wie  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jette plappert. Der  Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Junge hat große Ähnlichkeit mit ihr sowohl im sprechen als in der Stimme.  Vgl. Brief . [Schließen] Uebrigens weiß ich doch nicht wie Louise Dir unser Leben so geschildert haben kann als wirthschafteten wir den ganzen Tag mit den Kindern, das ist doch gar der Fall nicht, recht eigentlich thue ich es nur in der Dunkelstunde und wenn der Junge sonst nicht schweigen will. Nun die Krankheit gekommen ist werde ich mich wohl eine Zeitlang ganz für ihn hingeben müßen. Ich hoffe aber er   lies: soll recht  [Schließen]sollrecht gesund danach werden. Ausgeblieben ist das Fieber noch nicht aber es ist nun gelinde.

Tante bat mich heute ihr Briefe von Dir  | 49v zu lesen, das that ich gerne. Es waren welche darunter von denen worin Du so muthwillig und gründlich zugleich über meine Mängel mich beruhigst, Tante lachte mich was rechtes aus daß ich so lamentabel schriebe. Sophie kam mir anders, die sagte, es sei purer Stolz von mir denn ich könne doch vorher wissen daß Du so antworten würdest, es müsse mir gar nicht einfallen zu fragen ob ich die rechte sei und was ich sei, ich müsse nur in Demuth hinnehmen

Mit dem Stolz hat sie doch weiß Gott unrecht –



Mein süßer Ernst ich erhielt an meinem Geburtstage Einliegendes von Louisens Hand. Du findest in dem Zettelchen an mich den Wunsch daß ich es Dir mittheile – Ich habe ihr sehr herzlich geantwortet und  Vgl. Brief . [Schließen]ihr meine innern Vorwürfe über mein Unrecht gegen sie ausgesprochen. Sie ließ mir gestern durch Sophie sagen sie habe mir noch nicht antworten können, aber ich möge Dir nur das bewußte Blatt schicken. Ich glaube unser Verhältniß wird eine ganz andre Gestalt gewinnen nach dieser Eröffnung und das wird mir sehr wohlthuend sein auch für die Entfernung –

Ich habe nun schon lange Zeit jeden Posttag geschrieben, erhältst Du wohl meine Briefe richtig? mir ist oft unruhig deshalb – Sophie hat mir noch aufgetragen Dir viel herzliches über Dein Kommen zu sagen. Sie meinte heute sie würde doch einige  | 50 Tage auch in Sagard mit uns zusammen sein; ich glaube sie ahndet unsern Vorsatz und wird ganz dazu einstimmen. Vorbereiten soll ich Dich aber auch daß die Aufnahme nicht so gut sein würde als in andern Zeiten daß du sehr würdest vorlieb nehmen müssen –

Eines trift sich wircklich recht unangenehm daß nehmlich der Mai grade der  eifrigste (nach Meisner „Schleiermachers Briefwechsel mit seiner Braut“ (1919), S. 366) [Schließen]hildeste Arbeitsmonat ist wo es auf dem Lande zu stürzen geht. Das Übrige geht uns weiter nichts an als daß wir die Wirthin wo wir eben sind, nicht viel werden geniessen können aber mit den Fuhrwerken wird es recht schlimm sein. Schlichtkrull hat schon im voraus fallen laßen daß er kein Pferd würde übrig haben und für Geld wird es auch gar nicht immer zu haben sein, und dann sehr theuer. Es ist mir recht fatal Dir solche Stöhrungen zeigen zu müßen, ich thue es aber lieber schon jezt als wenn sie Dich nachher hier überfallen nachdem Du Dir alles leicht und schön gedacht – Sage mir doch sobald Du es mit Gewißheit weißt wann Du komst – geliebter Mann kaum noch 8 Wochen – wie schnell werden sie hingehn – und dann habe ich Dich und dann bist Du ganz mein und immer und ewig unzertrennlich!

Wäre Dir doch recht ungestört wohl auf meinem Rügen, und das Wetter uns recht günstig –

 Vgl. Brief.  [Schließen]Dein süßes Geschenk werde ich gewiß zuerst  | 50v an unserm Tage tragen – Mein geliebter Ernst ich habe wieder recht viel geplaudert nun will ich auch aufhören. Mit was für politischen Gerüchten trägt man sich hier! ich weiß nie soll ich wünschen oder fürchten daß sie wahr sind – Sage mir doch wie dir zu Muthe ist –   Die Franzosen sind alle fort von hier und man erwartet Mecklenburger .

Es ist fatal daß die

 Vgl. Brief . [Schließen] Ich meine daß meine andern Nahmen Sophie Charlotte sind, im nächsten Briefe will ich es mit Gewißheit sagen.

Guter süßer Mann leb wohl und sage bist Du mir auch noch immer so gewaltig gut?

Ganz Deine Jette –

 Sachanmerkung:

Höre ... seid –] 
Vgl. Brief .

Nanny] Anne (Nanny) Schleiermacher
 [Schließen]
Höre Lieber mit dem Fuhrmann das muß doch nun in Richtigkeit, und ich muß es wissen daß es mir nachher nicht über Hals und Kopf komt. Ich lasse mir alles gefallen wenn Nanny gar zu gerne will daß er zurückkomt wenn ihr noch da seid –

Zitierhinweis

3130: Von Henriette von Willich. Poseritz, Mittwoch, 8.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006959 (Stand: 26.7.2022)

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