Halle den 7ten März 09.

Ich habe einen Gruß von Ihnen mein theuerster Freund durch  Caroline Wucherer [Schließen] Karolinen erhalten und die Hofnung bald auch etwas von Ihnen schriftlich zu hören. Ich sehne mich recht sehr danach denn Sie wissen nicht wie nöthig mir jetzt männlicher und freundlicher Zuspruch ist. Ich habe von meinen Kräften mehr vermuthet als sie leisten und bin jetzt mehr als herunter.   Charlotte von Müffling , die Schwester der Caroline Wucherer , starb am 12.2.1809. [Schließen] Sie wissen welche schrekliche Begebenheiten hier indessen vorgefallen und ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen wie mich dieser Todesfall, der Jammer der Mutter und Karolinens und Müfflings plötzliche Ankunft den Tag vor der Beerdigung erschüttert haben. Ich konnte wohl Müfflings Schmerz ganz empfinden als wir sie zu Grabe   lies: begleiteten denn  [Schließen]begleiteten denn auch mir schien es als trüge ich alle Hofnungen des Lebens zu Grabe. So habe ich nun einige Wochen in der traurigsten Stimung verlebt und in der gewaltsamsten Spannung immer einen Brief von Ihnen erwartend indem ich es bis dahin aufschieben wollte mit Karolinen zu sprechen. Da dieser aber ausblieb habe ich endlich einen Augenblick ergriffen ihr ein Wort von meiner Lage zu sagen und seitdem bin ich noch weit niedergeschlagener  | 43v als vorher. Denn lassen Sie es mich immer gestehen lieber Schleiermacher es sei so thöricht es wolle, es hatten sich doch innerlich noch einige Hofnungen bei mir erhalten die nun ziemlich verlohren sind. Denn ihr Erblassen und ihre krampfhafte Versicherung ihrer herzlichen Theilnahme haben mir nur zu sehr gezeigt daß für mich nichts mehr zu hoffen ist. Dabei ist es beinahe unmöglich mit ihr allein zu sprechen und wenn es mir noch gelingt was mir hoffe ich sehr wohl thun müßte muß ich es lediglich dem Zufall verdanken. Es ist wirklich beinahe unerträglich sie immer zu sehen, sich immer mehr von dem unendlichen Werth dessen zu überzeugen was verlohren ist und dann den Gedanken um eine vielleicht nahe Zukunft nicht los werden können. Gott weis wie ich das alles tragen soll. Dazu ist die Mutter krank, oft höchst bitter und zeigt mir oft zu meinem Schreken einen Mangel an Fassung und religiösem Muth daß ich verstumme weil alles was ich ihr sagen möchte ihr hart und unverständlich scheinen müßte. Karoline ist auch nicht wohl, gewis weit weniger als sie es sich zu scheinen zwingt und Gott weis was sie alles quält. Hier könnte uns beiden nun vielleicht durch Worte geholfen werden aber die Umstände erlauben  | 44 es nicht, die Mutter weicht nicht aus dem Zimmer. Auch die Zeiten drücken sie jetzt sehr danieder und sie denkt nur immer daran wie sie um jeden Preis Haus und Fabrik los werden könnte. Da stehe ich nun zwischen allen diesen Leiden und erzwinge oft vielleicht schlecht genug eine erträgliche Ruhe und bin gewis der am meisten zu beklagende von allen weil ich sehen und entsagen muß und nicht einmal mit meinem liebsten Menschen hier mit Steffens davon etwas äußern darf. Ich muß mir durchaus auf eine andre Art etwas Luft verschaffen und denke daher gleich nach Ostern auf einige Wochen nach Dresden zu gehen, wenn es die wunderlichen politischen Verhältnisse erlauben, das ganze Zeug fängt an mir recht zuwider zu werden denn von allen Seiten zeigt sich nichts als Unentschlossenheit und Furcht.

Nun will ich Ihnen noch versprochenermaßen über die Vereinigung der Kirchen das Wichtigste sagen, denn die der Gymnasien ist selbst noch eine so chaotische Vermischung und es fehlt überall an allem daß ich nicht weis wie das Ding gehen wird. Der neue Unter Präfect von Schele ein Mann auf den man wie es scheint rechnen kann ließ mir in wenigen Monat wissen es seien Vorschläge zur Vereinigung aus Halberstadt da worin auf die von Dohlhoff und mir früher geschehene Vorstellung daß die französische Sprache beim Gottesdienst durchaus abgeschaft werden müßte, was dem Prüfenden  | 44v anfangs nicht recht hatte einleuchten wollen, Rüksicht genommen sei. Er berief darauf beide Consistorien zu sich und legte die Punkte vor, worin festgesetzt war daß die beiden Gemeinden ohne Unterschied der Sprache ohne separat Rechte oder gar separat Gottesdienstliche Versammlungen, mit Beibehaltung aller bisherigen Offizianten und Vereinigung der Kirchen Vermögen, eine einzige ausmachen sollten. Im Weigerungs Falle müsse nachgewiesen werden daß die französische Gemeinde ohne Zuthun des Staates zu bestehen im Stande sei. Alles dies wurde ohne Widerrede angenommen und in einer folgenden privat Versammlung beider Theile alle Details in Richtigkeit gebracht wovon der französischen Gemeinde Mittheilung geschah. Alle diese Verhandlungen sind vor 14 Tagen ungefähr der Regierung zur Bestätigung eingesandt und wir hoffen in Kurzem die Sache eingerichtet zu sehen. Meinem Collegen habe ich einen Theil des aus den Domkassen zufließenden Zuschußes überlassen und er wird sich gänzlich von den Geschäften zurükziehen. Unsre bisherige Kirche ist auf Kosten des Staates ausgeräumt und wird in ein Lazareth verwandelt. – Die Freude über dies alles wird mir aber sehr verbittert wenn ich bedenke wie ich dies und alles was auf meine äußeren Verhältnisse Bezug hat besonders in Beziehung auf meine gehoften glüklicheren Verhältnisse, eifrig betrieb. Ich habe oft Mühe mich zu fassen wenn ich die glücklichen ehelichen Verhältnisse meiner Freunde als ein mir vielleicht auf immer versagtes betrachte. Möchte ich doch auch Sie bald in dieser Lage wissen oder sehen nur vergessen Sie darüber nicht wie viel ich jetzt von meinen Freunden erwarten muß

Blanc

Zitierhinweis

3127: Von Ludwig Gottfried Blanc. Halle, Dienstag, 7.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006956 (Stand: 26.7.2022)

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