D 3t. März.

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Du wolltest ja daß ich Dir jeden Posttag etwas sagen sollte geliebter Ernst – wie gerne thue ich es auch, allein aus Besorgniß um mich darfst Du es nicht fordern – ich bin vollkommen gesund. Auch unser  Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Friedchen hoffe ich soll uns keine machen obwohl er ein wenig fiebert, ich werde aber doch den Arzt hohlen lassen wenn es nicht ganz schnell vorüber geht, und am Montag sollst Du gewiß wieder Nachricht haben. Der Friedle ist sehr eigensinnig und sehr zärtlich eins ums andre –  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jettchen wird jezt außerordentlich vernünftig, ihre Fragen gehn ins Unendliche, mache Dich nur auf Antworten gefaßt denn ich werde sie oft zu Dir schicken Lieber Mann. Ich habe seit  Luise von Willich [Schließen] Louise in Götemitz ist wieder mehr noch mein Leben mit den Kindern gehabt und dabei ist mir immer so wohl – obgleich ich mich auch leicht durch Arbeiten die ich gerne auf die Seite haben will, kann von ihnen abziehen lassen, aber ich büße es immer durch ein innerlich unwohltes Gefühl. Siehe ich spreche Dir eigentlich wenig von meinem Muttergefühl aber ich weiß doch daß Du es kennst wie wohl und innig es mir ist wie bald stilles Entzücken  | 41v bald heimliche Sorge in meiner Brust wechseln – Die Sorge wird aufhören wenn erst Dein väterliches Auge über sie wacht Du Theurer! Nirgends verwebt sich mir so innig und so rührend  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfrieds Bild mit dem Deinigen als wenn die kleinen Geschöpfe Vater rufen.

 Vgl. Brief . [Schließen]Als ich meinen lezten Brief an Dich fortgeschickt hatte fiel es mir einen Augenblik schwer aufs Herz wie es nur auf Dich wirken möge daß ich immer in Erinnerung der Vergangenheit das Unvollkommne so hervorziehe und Dir davon rede – aber es konnte mich doch nur leicht beunruhigen denn ich schrieb ja nur für Dich der Du alles das Schöne meines Lebens so durch und durch kennst daß es mir gar nicht recht einkommen kann Dir davon zu reden. Mir ist schon öfter diese große Einseitigkeit in meinen Briefen an Dich aufgefallen aber sie entsteht gewiß daraus, daß es mir nur immer Noth thut Dir meine Mängel und Fehler aufzudecken. In neuer Seeligkeit noch würde ich schreiben wenn ich einmahl mit mir selbst aufs  | 42 Reine käme, zufrieden mit meiner Natur, unbekümmert um mich selbst nur in Dir in unsern Kindern lebte – in euch ganz versänke seelig froh – O mein süßer geliebter Ernst wenn nun all das schöne Glück wirklich da ist wenn nun Herz am Herzen ich Dich ganz mein fühle – werde ich dann auch fühlen Deine schönen Weissagungen über mich in Erfüllung gehn oder wird das Gefühl meines Unwerths auch bis dahin dringen und noch etwas zurücklassen in dem sonst so ganz vollkommnen Glück –

Steigt es Dir denn nicht bisweilen auch nur vorübergehend auf daß Dir etwas unbefriedigtes bleiben könne in meinem Besitz? vermag denn nicht meine ewige Unsicherheit Dir einen Leisen Zweifel zu geben? Gott wie ich mich in Dich hinein arbeite und wie doch mein ganzes Leben an Deiner Liebe hängt – o mein Ernst!

 Vgl. Brief . [Schließen]Sage mir nur wie kamst Du darauf daß Dein Brief, als ich einmal hatte lange warten müssen, mich vielleicht nicht recht angesprochen haben möchte? Du bist ja immer gleich liebend, immer so gut und zärtlich. Hast Du es schon bei meinen Briefen eher erfahren?  | 42v Sage es nur mein Lieber. –

Friedchens halber sei ganz ruhig, die hitzigen Fieber ergreifen hier gar keine Kinder und gehn überhaupt nicht mehr so herum –

Ich schreibe diesen Brief an seinem Bette und er will fast immer die eine Hand halten daher ist er so unleserlich.

Mit ordentlicher Spannung horche ich allen politischen Neuigkeiten. Man hat hier jezt gewaltige Kriegsgerüchte, wäre Wahrheit darin so würden ja fürchterliche Zeiten allgemeinen Kriegs und Aufruhrs angehn – Mein guter Ernst der Mai ist so nahe und wie viel kann noch dazwischen liegen auch für uns – ich will aber nichts fürchten. –

 Anne (Nanny) Schleiermacher und Henriette Herz, vgl. Brief .  [Schließen] Daß unserer lieben Nanny Geburtstag jezt war hat mich überrascht, Jette hatte mir gesagt er sei im December, es thut mir leid daß ich nicht darum gewußt habe. Du wirst auch wohl nicht besonders an mich denken an den meinigen der den 6ten ist denn ich erinnere daß Du mich um meinen Geburtstag gefragt hast und daß ich vergeßen Dir zu antworten –

Du wirst mir aber doch besonders nahe  | 43 sein und ich werde wissen alles was in Dir würde vorgegangen sein hättest Dus gewußt.

In Götemitz bin ich noch nicht wieder gewesen habe aber nur gute Nachrichten von dort. Wir haben hier jetzt herrliches Wetter, ich geniesse den Sonnenschein aber nur im Zimmer ich war noch gar nicht ordentlich draußen. Schreib mir auch ja immer geliebter Mann was Du hoffest und fürchtest.

Ich bin viel bei Dir in unendlich süßen Phantasien leb wohl

Deine Jette.

Unter tausend Unterbrechungen ist der Brief geschrieben.

Ich habe erschrecklich viel geschrieben seit einiger Zeit wenn nur nicht wieder Briefe liegen oder verloren sind

Unsere Nanny grüße sehr herzlich

Zitierhinweis

3115: Von Henriette von Willich. Poseritz, Freitag, 3.3.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006944 (Stand: 26.7.2022)

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