Dienstag d 21t Febr.
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Was für verbuschelte Tage sind das gewesen daß ich noch gar nicht
habe dazu kommen können wieder mit Dir zu plaudern! Vgl. Brief und Brief.
[Schließen]Am Freitag habe ich einige Angst ausgestanden, die
gewöhnliche Zeit verging ohne daß ein Brief gekommen
wäre, er kam erst Nachmittags, und nun statt Sonntag
ist der lezte heute erst gekommen[.]
Ich bin nun dahinter gekommen daß das größtentheils
des Briefträgers Schuld ist und habe nun angefangen
ordentliche Untersuchungen anzustellen um ihn verklagen zu
können. Solch ein Taugenichts soll mich auch nicht einige
Stunden geschweige ein Paar Tage um Deine Briefe bringen.
–
Sonnabend war Anne (Nanny) Schleiermacher
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Nannys
Geburtstag. Beim Frühstük das heißt bei
uns immer gleich nach dem Aufstehn begrüßte ich sie mit ein
Paar Kleinigkeiten.
Dann mußte ich sie um 11 Uhr unter einem Vorwand zu
Reimers
schiken wo ihr eine Ueberraschung bereitet war, und Abends
waren einige Freunde hier. So
wird ein Geburtstag in der Regel begangen bei
uns. Aber wenn wir Deinen erst hier begehn theure Jette
dann soll mir das süßeste sein der erste Morgengruß den ich
dir bringen werde, der erste zeugenlose heilige Erguß der
Freude der zugleich der innigste Dank gegen Gott
sein wird. Es ist so herrlich und auch ganz nothwendig das
erste und innigste ganz unter sich zu haben an einem
solchen Tage, hernach aber müssen auch alle für die es sich gehört
Theil haben an der Freude. Nanny habe ich
diesmal schon recht vertröstet darauf daß es
künftiges Jahr besser sein würde; denn du wirst genauer wissen womit wir
sie erfreuen können, und sie wird sich dann nicht um alles
zu bekümmern brauchen wie sie diesmal noch den Kuchen selbst
bestellen mußte weil ich vergessen hatte zu rechter Zeit
eine von Reimers
Hause zur Vicewirthin zu bestellen.
Am Sonntag habe ich lies: in
[Schließen]ein meiner künftigen Kirche gepredigt. Es war der Anfang
der Passionszeit in der ich immer vorzüglich gern und mit
besonderer Andacht rede. Ich war auch ziemlich mit meiner
Predigt zufrieden wiewol ich weniger als sonst vorher hatte
ordentlich daran denken können. Den ganzen übrigen Tag konnte
ich aber auch nicht zu mir selbst kommen. Vormittags hatte ich ein Paar Geschäftsbesuche zu
machen und Mit | 26vtags und Abends waren wir bei
Albertis gebeten; ich machte aber zwischen durch noch ein Paar andere
Besuche ab.
Oft dachte ich daran ob du wol würdest mit Henriette Herz
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Jette
zusammen sein und wünschte es gar herzlich Dir und
ihr. – Graf Alexander von Dohna-Schlobitten, vgl. Brief
.
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Vorwürfe habe ich
mir schon ein Paarmal darüber gemacht daß ich Dir
noch immer nicht auf deine Frage nach Alexander geantwortet weil Du mein Schweigen so
leicht mißverstehen konntest.
Vgl. Brief
.
[Schließen]Nun Jette Dir einen Brief von ihm gelesen hat das
weniger Noth.
Daß ich seiner gegen Ehrenfried von Willich
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Ehrenfried
weniger erwähnt als anderer Freunde hat großentheils
seinen Grund darin daß ich nicht wußte wieviel er von
Jettes
Verhältniß zu ihm wisse;
gesprochen indeß haben wir doch mehr von ihm als
geschrieben. Es ist aber auch überaus schwer über Alexander mit jemand zu reden der ihn gar nicht kennt; und
ich möchte nicht dafür stehn daß Du nicht durch mich eine
ganz falsche Vorstellung von ihm bekämest. Ich glaube du
kanst ihn aus einem Briefe an
Jette
besser kennen als durch alle Beschreibungen die ich dir machen
könnte. Auch mein Verhältniß zu ihm ist nicht recht leicht zu
beschreiben. Wenn man auf das Wesentliche sieht
stehn wir einander sehr nahe wir wissen jeder alles
wichtige vom andern, wir haben gegenseitig ein unbegrenztes
Vertrauen und sprechen wir über etwas so sagt jeder ganz
unverholen seine Meinung. Dabei lieben wir uns auch
persönlich sehr, sind sehr gern zusammen, und keinem ist an
dem andern irgend etwas bestimt zuwider. So sind wir dem
Wesen nach ganz wahre Freunde; aber es tritt doch in der
Erscheinung nicht ganz so heraus wie wol zwischen mir und
Andern. Gar nicht etwa als ob sein Rang oder seine Art ihn zu
behandeln eine Scheidewand sezte, Gott bewahre davon ist
auch nie im mindesten die Rede gewesen. Aber theils ist
eine ganze Seite in mir die in meinem Umgang mit Alexander nie recht herauskommt, das ist die leichte
lustige muthwillige, auch das nicht als ob er etwa Anstoß
daran nähme; aber sein Wesen ladet mich nicht ein mich
darin gehen zu lassen mit ihm, er selbst geht nicht hinein
und erwiedert es nicht, es liegt nicht in seiner Natur, und
so gebe ich ihm doch immer am liebsten das was ihm das
liebste ist – Kurz der Ernst bleibt immer das herrschende
in unserem Verhältniß, und wenn ich mir das einmal so recht
klar vorstelle so fehlt mir etwas darin. Theils hat
Alexander eine solche Art von Respect vor
mir die mich bisweilen drükt. Besonders wenn ihm etwas an
mir nicht recht ist muß es schon | 27 eine ganz eigene Bewandtniß haben, es muß
entweder in Verbindung stehen mit dem öffentlichen Leben
oder es muß längst vorbei sein wenn er mit mir darüber
reden soll; sonst hat er das Herz nicht. Das sind so die
Grenzen unseres Verhältnisses; innerhalb dieser
aber sind wir vollkommen zutraulich und offen und jeder des Anderen
ganz gewiß.
So haben wir über Eleonore Grunow, Schleiermachers ehemalige
Liebe
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Eleonoren
fast niemals gesprochen; ich konnte wol merken daß
ihm das ganze gar nicht recht war aber frei heraus hat er
mir nie seine Meinung gesagt. – Unsere Verbindung süße Jette ist übrigens hier nun so
bekannt daß sie wol auch davon wissen muß. Wie sie darüber
denken und fühlen mag darüber kann ich mir auch nicht eine
Vermuthung machen so wenig vermag ich mich in ihren jezigen
Zustand hineinzudenken. Daß sie jemals sollte in unser
Leben gehören kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber gewiß steht Dir noch eine
sehr interessante Lektion bevor wenn Du unsere
Correspondenz lesen willst.
Du wirst dann sehen wie mir die Friedrich Schleiermacher: „Vertraute Briefe über
Friedrich Schlegels Lucinde“ (1800)
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Lucindenbriefe
lies: freilich
[Schließen]freilch nur Gelegenheit gaben die eine Seite von ihr
darzustellen von der sie am
bewunderungswürdigsten und schönsten erscheint
und du magst dann urtheilen wie ich diese aufgefaßt
habe.
Wirst Du aber auch wünschen daß mir noch einmal die Gelegenheit
kommen mag auch Dich so darzustellen meine süße Geliebte?
ich wünsche es mir wol und in einem
selbständigen Werke an Frische soll es mir auch dazu nicht
fehlen, wenn ich nur Ruhe dazu sähe und Zeit. Du bist
Mutter
Aber es soll mir auch nichts wesentliches fehlen wenn es
nicht so kommt. Du bist Mutter süßes Herz und darum bedarf
es gar nicht für Dich einer solchen Darstellung. Friedrich Schleiermacher: „Vertraute Briefe über
Friedrich Schlegels Lucinde“ (1800) und „Die Weihnachtsfeier“ (1806),
vgl. Brief
. Friedrich Schlegels Schwester in Dresden ist Charlotte
Ernst.
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Die Ernestine in
den Briefen und die in der Weihnachtsfeier
sind gewissermaßen dieselbe Person.
Ich kann nicht sagen daß ich
Jemanden bestimmt damit gemeint; ich
weiß nur daß mir ein Bild dabei vorgeschwebt, was
ich mir selbst nach Erzählungen die vielleicht nicht die
getreuesten waren entworfen habe von einer Schwester von Schlegel in
Dresden
. Wenn er mir von ihr erzählte gestaltete sich diese Figur in mir
die ich hernach so
aufgeführt
über den ursprünglichen Text geschriebenausgeführt
habe. Aber nun muß ich dem
Plaudern ein Ende machen und noch ein weniges arbeiten mein
liebes Herz; Schleiermacher las im WS 1808/09 im Vorfeld der
Universitätsgründung über die Theorie des Staates, vgl. A. Arndt u. W.
Virmond: „
Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis)
“ (1992), S. 304.
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denn ich habe noch zwei Stunden an meiner
Politik
aufzuschreiben.
Ich möchte
mir nur noch die Zeit lassen vorher dich recht gründlich
zu küssen und zu umarmen. Es kann etwas viel darauf gehn
dabei, das ist wahr wenn ich das so recht behaglich treibe
aber laß es dir nur gefallen du wirst es doch noch oft
müssen. Vgl. Brief
.
[Schließen]Zuerst muß ich Dich dafür küssen daß Du Dich von
meinem Muthwillen so hübsch hast anstekken lassen,
und ordentlich wiewol etwas verschämt
und vielleicht nur auf kurze Zeit aus dem
Schnekenhäuschen der Demuth
herauskamst. Wenn ich Dir nun sage daß wie Deine
Demuth mich übermüthig | 27v gemacht hat, so es
wol ganz natürlich ist, daß der Uebermüth mit dem
Du mir drohst mich demüthig machen wird, demüthig
über das überschwengliche Glük daß Du so ganz von
allen Seiten die rechte bist – sieh so ist das
wieder eine ganz ganz andere Art von
Küssen. Ach Gott wie werde ich nur von diesen ein Ende finden!
Es wird mir dabei einfallen, daß es doch noch immer zehn
Wochen sind bis ich Dich sehe und habe, und nun werde ich
Dich fest umarmen und mich an deine Brust legen und mich
da eine süße Weile schaukeln, und dann noch einen langen
Kuß und gute Nacht.
Donnerstag d. 23t. Gestern war schon wieder ein leerer Tag liebste Jette
an dem ich nicht zu Dir reden konnte, wiewol ich
unaufhörlich um Dich gewesen bin.
Recht lebendig habe ich mir gedacht wie nun nachdem
Luise von Willich
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Luise
weg ist die
Kinder aus erster Ehe der Henriette von
Willich
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Kinder
alle Wirthschaft mit Dir allein betreiben werden.
Warlich ihr habt euch die kleinen Geschöpfe zu sehr lassen
über den Kopf wachsen, und ich kann Dich recht beklagen
wenn ich denke wie sie Dich
zerarbeiten. Ich bitte dich wenn sie Dich total müde
gemacht haben so zwinge Dich nur nicht aufzubleiben um mir
zu schreiben und kürze Dir ja nichts ab von Deinem Schlaf
da Du nun schon des Morgens davon verlierst.
Thue Du nur halb soviel um recht gesund zu bleiben wie ich thue
um es über der Zeilerecht
wieder
zu
werden. Ich bade sogar
was ich eigentlich kaum bei meinen Geschäften verantworten
kann wegen der Zeit die es kostet.
Henriette Pauline Marianne von Willich, vgl. Brief
.
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Jettchens Grämlichkeit
nach dem Mittagsschlaf würde ich nicht mit der
Ruthe curiren, ausgenommen Du müßtest
ihr begreiflich machen können daß das keine Strafe
sein soll sondern ganz eigentlich eine Kur. Aber in
die Einsamkeit würde ich sie jedesmal schikken,
und dann vorzüglich suchen dem physischen auf die
Spur zu kommen. Vielleicht erhizt sie sich zu sehr
im Schlaf und schwizt viel wovon Kinder leicht grämlich werden.
Ehrenfried von Willich (d.J.), vgl. Brief.
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Wenn sie sich Ehrenfrieds Despotismus
selbst gefallen läßt, so störe sie doch darin ja
nicht, es ist eine herrliche Vorschule um eine trefliche
Hausfrau zu werden.
Aber im Ernst; wenigstens als ein Unrecht gegen sie
darfst Du es nicht ahnden, sondern nur als ein Unrecht
gegen dich wenn er ihr etwas abnehmen will was du ihr
gegeben hast, und das doch auch nur bisweilen und wo er es
schon fühlen kann daß die Sachen bei ihm nicht in den
rechten Händen sind. Ach es
ist ungeheuer schwer über dergleichen im Allgemeinen zu
sprechen; ich verlasse mich nur darauf daß Du schon
errathen wirst wie ich es meine kannst du doch meine Hand so
gut lesen. – Nun hätte ich noch so viel zu plaudern über
dein süßes Geplaudre, und kann nicht mehr aber ich
schließe dich recht eng an meine Brust und drüke die
innigsten Küsse auf deine süßen Lippen. Ja ganz ganz Dein
Ernst.
Vgl. Brief
. Textanmerkung: Heinrich Christoph von Willich,
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Heinrich Christoph von Willich,
[Schließen]Hier hast Du einen Brief an Willich
in Sagard;
am linken Rand
Bl. 26
[Schließen]nächstens bekomst Du unfehlbar einen an unsre
Lotte
Pistorius
.
Zitierhinweis
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