Sonntag Nachmittag d. 19t. F.

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Mein Herzens süßer Mann ich will mir diesen stürmischen Sontag freundlich machen indem ich zu Dir eile an Deiner Liebe mich erquicke an Deiner süßen süßen Liebe – will Dir mein Herz ausschütten mein Trauter, Lieber! – Es ist wieder neuer Kummer in mir erwacht der mich recht drückt o mein Geliebter es ist das Unrecht das ich gegen  Luise von Willich [Schließen] Louisen habe das mich um so mehr drückt da es von der Art ist daß ich es niemals gut machen kann. Du frägst wodurch dies auf einmahl so lebendig wieder in mir erwacht ist – gestern da sie wieder empfindlich auf mich war und ich ihr das ewige Mißtrauen gegen mich vorwarf führte das eine Art von Erklärung herbei und ich sah in ihr Inneres den unendlichen Schmerz den ich ihr gemacht durch meine Kälte und Lieblosigkeit – es erschütterte mich tief – ihr der Armen die so freudelos ist und so zernagt ohnehin von ewigem Schmerz – – o mein Ernst fühle wie das Deine arme Jette drüken muß. Ich rede nemlich mehr von der vergangenen Zeit als von der jezigen – Gott weiß was ich gelitten habe, es weiß kein Mensch und es ist kaum zu glauben – | 31v

Ich war aber doch die Schuldige, ich hätte beim ersten Keimen der Kälte in mir wehren sollen, es immer im Auge haben sollen daß sie die Unglückliche war ich die Glückliche – Louise war was sie sein konnte daß ihre Schwächen und Eigenheiten mir innerlich wiederstanden dafür konnte sie nicht – ich hätte  lies: ihr [Schließen]ich immer mehr opfern sollen von meinem Glück. Ich glaubte alles gethan zu haben wenn ich sie nicht mit Worten kränkte, still schwieg wenn sie gereitzt gegen mich war und übrigens hin und wieder etwas zu befördern suchte wovon ich dachte daß es ihr Freude machen sollte, so beschwichtigte ich mein Gewissen über unser Mißverhältniß was anderen sonst unmercklich aber desto tiefer und unheilbarer eingerissen war. Ich sehe wohl ein es wäre besser gewesen wäre es auch zwischen uns öfterer zu offenbaren Zänkereien gekommen (was in der lezten Zeit wo es beßer war, häufiger geschah) als dieses Schweigen was Louise mir auf die allerschlimmste Art gedeutet. Gar oft habe ich ihr auch in herzlicher Aufwallung daß es anders werden müße – die Hand gereicht, auch faßte sie sie liebevoll und dennoch war es bald wieder beim alten. Was sie mir aber gestern Schuld gab als habe ich ein mahl wo sie sich herzlich zu mir geneigt, mich kalt hinweg | 32rgewendet, kann ich gar nicht glauben, kann mich deßen nicht entsinnen wenn ich sterben sollte – O Gott Ernst das halbe Jahr in Sargard alleine mit ihr es war zu schwer zu traurig, ich fühlte das tiefste Mitleiden mit ihr und wußte ihr nicht zu helfen. Unendlich viel von ihr verkannt gar oft in dem Besten mißverstanden, zog mich das immer mehr in mich zurück – ich konnte nicht meine Trauer nicht meine heiligsten Augenblicke mit ihr theilen. Ich konnte oft gar nicht leben so schwer lag es auf mich. Und oft in der Noth meines Herzens ruf ich aus Gott hat mir zu schweres auferlegt! Wie manchen bogenlangen Brief habe ich damals an Dich geschrieben, ich konnte mich aber nie entschließen es dir zu schicken weil ich immer fürchtete Louisen zu wehe gethan zu haben. Ich hatte es ganz gewiß gehofft  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfrieds Tod würde uns vereinigen, ich weiß auch welche Veränderung er in mir hervorbrachte – aber Louise kannte mich nicht und mißtraute mir immer.

Mein Ernst ist es nicht ein sehr bitteres Bewußtsein das ich aus meiner Vergangenheit in das schöne Leben mit hinüber nehme? Ich habe Louisens schönstes Bild das sie für  | 32v ihr Leben hatte, sich an das Glück ihres Bruders anzuschließen und darin ihr eigenes zu finden – zerstört – mein geliebter Ernst habe ich nicht Ursache recht traurig zu sein? Sie ist jezt recht unwohl und unendlich trübe immer. Gestern Nacht war ich auf als sie schon schlief, da stieß sie im Traume Töne aus die so zerreißend waren so schneidend klagend – ich kann es dir nicht beschreiben – es erschütterte mich recht. Es ist dunkel ich muß für diesmahl schließen ich komme aber heute Abend wieder und antworte  Vgl. Brief . [Schließen]auf deinen süßen lieben Brief –

Mein Geliebter o wie ich mich fest an Dich drüke in Liebe und Wehmuth, umfasse mit Deinen liebenden Armen die Seelige – die Betrübte –.

Abends.

Louise fiebert ordentlich, also sind jene Töne nicht sowohl Ausdruck ihres innern Zustandes wofür ich sie nahm, gewesen, als der Anfang eines körperlichen Unwohlseins. Ich hoffe daß ihr Aufenthalt in Götemitz sie wieder erheitern wird, sie lebt sehr gerne mit der Kathen . – – Du siehst wie dies Eine mich nun wieder recht erfüllt – ich sehne mich sehr nach Antwort von Dir. | 33

 Vgl. Brief. [Schließen]Nun zu deinem lieben Briefe. Wie freut mich alles was du mir über deine Arbeiten sagst – ja ich würde mit inniger Theilnahme Dir zusehen und dem leisesten Winke gerne folgen um in dein stilles Stübchen hineinzuschlüpfen – Ach ja wohl geliebter Ernst habe ich immer auch viel Liebkosungen  lies: mitgelesen [Schließen]mitzulesen die nicht da standen, und wußte immer wo Dir am innigsten zu Muthe gewesen war – theurer süßer Ernst, Herzensmann wie göttlich sagst Du es mir immer wieder daß Du ganz mein bist, ich kann ja nun nichts mehr thun als dich so ganz zu nehmen – und Gott zu preisen – und zu schweigen von meinen Mängeln und mich getrost als dein Weib anzusehn – als das Weib deiner Seele, deines Herzens!  Aber Du böser lieber Mann hatte ich Dich nicht gebeten neulich zu meinen Redensarten kein ernsthaftes Gesicht zu machen? es war doch fast purer Scherz.  Vgl. Brief . [Schließen]Du hattest so viel von der interessanten Frau geredet daß ich mich ein bischen empfindlich stellen wollte, und da mischte sich etwas Wahrheit über mich selbst hinein, nemlich daß ich mich nicht interessant finde, was man eben in der Gesellschaft so nennt, davon redeten wir doch auch nur. Daß ich fürchte Du möchtest einen wesentlichen Mangel an meiner Seite empfinden davon habe ich doch wohl gar nicht geredet. Darüber habe ich  | 33v ja immer ganz dasselbe Gefühl gehabt wie  Vgl. Brief . [Schließen]Du hier aussprichst daß der erste solche Augenblick, der des Todes für unser Glück sein müßte, o Gott mein Geliebter ich hoffe wir werden ihn nicht erleben ich glaube Dir daß ich werde mit Dir theilen können alles was Du treibst und was dein Herz bewegt. O mein mein Ernst so bist du also wircklich ganz mein eigen! ich sehne mich nach dem Augenblick wo Du es mir mit Küssen versiegeln wirst – wo ich bis ins innerste davon durchdrungen sein werde Du Mein!

Süßer Ernst so sehr es mir auch am Herzen gelegen Dir alle meine Mängel recht vor Augen zu halten so ist mir doch nie eingefallen daß wir uns dabei beruhigen könnten wenn sie wircklich der Art wären daß sie Dir eine Lükke liessen. Gewiß mein Geliebter ist mein Gefühl über die wahre einzige Ehe immer ganz zusammentreffend gewesen mit Deiner Ansicht. Aber mich dünckt auch Dir muß dieser Wiederspruch einigermaßen einleuchten, daß ich wohl fühlte Deine ganze Liebe und wie Du dadurch mein seist – daß ich aber in der Reflexion über mich unmöglich so schnell dahin kommen konnte Dich dem Verehrten, Angebeteten  | 34 mich so kühn zur Seite zu stellen und zu wissen ich sei die einzige, rechte.

Sei nicht bange süßer Ernst daß ich mehr dein sein will als sich gehört, ich will schon die Menschen auch recht genießen die mir gefallen und von denen ich weiß daß es ihnen eben so ist – wenn Du nur am Ende nicht klagen wirst daß ich mich gar zu wenig um Dich bekümmere in Gesellschaft – Du erinnerst Dich wohl noch wie ich mich freute als Du mir damit zuvor kamst daß wir vor Leuten nichts von unsern Zärtlichkeiten preis geben wollten. Nein süßer Ernst Du magst hübschen Mädchen die Cour machen und treiben was du willst ich will Dich schon lassen ohne Eifersucht – solche himmlische Freiheit ist ganz köstlich und wohl rechtes Kennzeichen der wahren Liebe.

Ja wohl äußerst lächerlich wäre es und Deine bloße Zeichnung davon hat mich recht amüsirt nehmlich wenn wir geredet hätten und ich wollte dann sagen oder denken wie geistreich! Ich kann Dir doch versichern alter lieber süßer daß ich das noch nie gedacht habe, sondern ganz und gar durch und durch bist du für mich geistreich  | 34v und alles andere, kurz ganz herrlich!

Aber höre gehe mir mit Deiner Frau von  Wohl Friederike Wilhelmine von Zschock, vgl. Brief .  [Schließen] Zschokke .  Henriette Herz [Schließen] Jette mag sie gar nicht leiden und dann ahndet mir nicht viel besseres von mir.

 Vgl. Brief . [Schließen]Das ist ganz interessant wie Du die Männer da behandelst aber ernsthaft sage mir doch, verlohnte es sich doch nicht ihnen das wahre zu zeigen, sind doch wohl nicht manche darunter die dem Guten die Hand bieten würden wenn sie es erkennten, aber zu ohnmächtig sind es aus sich selbst zu erkennen? Schon hier auf Rügen ist manche Klage über Dich erschollen daß Du über bedeutende Gegenstände Dich gar nicht äußerst in Gesellschaft und Manche sind recht betrogen wenn sie etwas aufs Tapet brachten worüber sie nun grade gern von Dir belehrt sein wollten und Du hast dann entweder ganz geschwiegen, oder bist leicht entrirt in ihre Meinung ohne etwas eignes tüchtiges zu sagen, kurz ganz ähnlich wie Du es selbst beschreibst. Vorstellen kann ich mir ganz warum Du so zurückhältst denn oft wäre es wohl  Mt 7,6 [Schließen] die Perle vor die Säue geworfen wenn Du Dich äussertest, aber bisweilen geschieht doch Einigen zu nahe die wircklich gerne immer  | 35 das bessere aufnähmen. Süßer Mann hier auf Rügen mußt Du nur bisweilen fließen lassen wenn man so durstig an Dir zapft. Mit  korr. v. Hg. aus: Kahten Kathen hast du wohl gute Geduld gehabt all seine Sophismen anzuhören und bei ihm verdenke ich es Dir eben nicht wenn du ihn auf obige Weise behandelst. Aber genug geplaudert hätte ich wohl für ein mal

 Sophie Schlichtkrulll [Schließen] Sophie giebt mir einen ganz eignen Auftrag ich soll Dir sagen, daß ich immer thäte durchaus nur was mir beliebte und anstände und daß du dich in ein gutes Joch hineingäbst

Jette hat mir aufgetragen mich nach Wasser Transport zu erkundigen, ich will es wohl noch thun, doch denke ich daß wir beim Berliner Fuhrmann bleiben. Das andere soll sehr umständlich und kostspielig sein.

 Henriette Pauline von Willich und Ehrenfried von Willich (d.J.), vgl. Brief . [Schließen] Unsere Kinderchens sind sehr wohl und heiter. Jette kann vollkommen das b aussprechen aber einzeln, im ganzen Worte hat man viel Mühe  | 35v es heraus zu bringen aber an l und r ist gar nicht zu denken. Der Junge wird gewiß deutlicher reden. Es ist recht ein Elend daß sie schon einmahl ein bischen Frühlingsluft gewittert haben nun wollen sie immer hinaus und es ist doch wieder so rauh.

Den kleinen Sopha den Du Dir ausgebeten erhältst du nicht mein Lieber sondern einen dreisitzigen weil dieser mit Pferdehaare und der kleine mit Kuhhaar gestopft ist –

Wir haben einen kleinen Lieutenant hier, einen recht dummen Jungen der aber ganz charmant sein will es ist gar lästig daß ich immer mit dem Volk mich so viel einlassen muß.  Die unglückliche Geschichte ist für uns beendigt, der Mörder wird nach Stettin geführt, ich denke da lassen sie ihn wohl frei –

Lebe wohl mein ganz unaussprechlich geliebter süßer Ernst und grüße unsere  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny

Jette.

Zitierhinweis

3095: Von Henriette von Willich. Wohl Poseritz, Sonntag, 19.2.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006924 (Stand: 26.7.2022)

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