d 16t. Feb. 9.

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Mein süßer geliebter Ernst ich komme zu Dir mich recht zu erquicken – von Dir komt mir ja neues Leben, in Dir thut sich ja eine ganze Welt mir auf – an Deiner Brust kann ich ja von mir werfen alles was nicht in unser schönes friedliches Leben hinein gehört. – Nur ganz kurz was der Gegenstand alles denkens und sprechens und empfindens in diesen Tagen war  am linken Rand ⎡ nur von mir gilt das nicht ganz . Am Dienstag hat ein Soldat einen reisenden  Häusler sind Kleinbauern, denen das Haus, aber kein bzw. wenig Land gehört.  [Schließen]Viehhäusler erstochen, beide sind sehr berauscht gewesen, und alle Umstände machen wahrscheinlich, daß der Soldat, ein sonst sehr ordentlicher und von seinen Obern vorzüglich geliebter Mensch der sonst nie betrunken gewesen ist, die That ganz ohne Vorsatz, ganz bewußtlos in der Trunkenheit gethan hat. Der Unglückliche hat Frau und Kinder. Hier im Dorfe hat sich das Unglück zugetragen, morgen versammelt sich das Gericht und die Ärzte hier. Wäre die Sache erst beendigt und der Mensch gerettet wozu wohl wenig Hoffnung ist. Wie  Sophie Schlichtkrull und Luise von Willich [Schließen] Sophie und Luise angegriffen waren kannst du dir kaum denken.   | 28v Eine andere Unruhe haben wir noch ob unser Bedienter der jenen Soldaten immer begleitet hat und vielleicht sehr gereitzt, auch noch könnte in Strafe gezogen werden.

Ich hatte heute Nachmittag auf eine Stunde einen lieben Besuch von  Charlotte von Kathen und Henriette Herz [Schließen] Lotten und Jetten , ich war nemlich allein zu Hause, alle Uebrige sind in Garz . Ich soll Dich so unendlich herzlich von Jette grüßen, und von Lotte auch.

Ich habe endlich auch einen Brief von  Hermann Baier [Schließen] Herrman gehabt worin er mir von seiner Verbindung spricht – er sagt wie dies Glück ganz nothwendig in sein Leben verschlungen sei so daß es nie davon hätte getrennt werden können. Dann trägt er mir auch sehr herzliche Grüße an Dich auf und Du möchtest in fester Hoffnung auf ihn verbleiben – auch wie er es in seinem Amte sehr schwer habe, aber auch den hohen Seegen davon in sich verspüre.

 Alwine Kosegarten, Verlobte Hermann Baiers [Schließen] Allwine muß entweder ganz außerordentlich mädchenhaft zart sein oder sie will auch sonderbar sein. Sie hat zu Julien die doch von langer Zeit her ihre Freundin ist, kein Wort von Herrman geredet, sondern immer  | 29 wo diese herzlich ihr entgegenkam,  ausgebeut: hier im Sinne von ausgewichen [Schließen]ausgebeuget . Dies ließe ich noch gelten. Aber auch Herrmans Schwester  Johanna Baier [Schließen] Hannchen die bei ihr in Greifswald war hat auch weder durch eine Umarmung noch durch einen Blick die schwesterliche Annäherung empfunden. Ich enthalte mich des Urtheils ob die Delicatesse so weit gehen kann ein schon öffentlich bekannt gemachtes Verhältniß gänzlich durch sein Wesen zu verläugnen. Kosegarten hat mir viel freundlicher für Dich durch die  wohl Charlotte von Willich, 2. Frau des Heinrich Christoph von Willich [Schließen] Willich sagen lassen, er bittet Dich sehr Du mögest immer Quartier bei ihm nehmen wenn Du durch Greifswald reisest – das thust Du auch wohl?   Benda will gerne mit Dir zusammen reisen, er wird wohl selbst an Dich schreiben. Anfang Mai’s wird er wohl noch nicht können.

 Gemeint war Charlotte von Kathen, vgl. Brief .  [Schließen] Ueber Deinen Brief muß ich Dich noch etwas fragen, hat denn Lotte Dir schon gesagt daß ich noch nicht so geliebt als jezt? und welche Lotte?

 Vgl. Brief . [Schließen]Den Vertrag wegen des nicht vergleichens den Du mir vorschlägst wird mir wohl nicht schwer zu halten werden süßer Ernst, denn das Vergleichen ist gar nicht meine Art, und wenn Du meinst daß das was ich Dir über mich schrieb daraus  lies: her|vorgegangen [Schließen]her  | 29v vorgegangen sei, so thust Du mir wircklich unrecht. Ich weiß recht gut daß das vergleichen bei Menschen meistens ganz sinnlos ist.

 Vgl. Brief . [Schließen]Ein recht himmlisches Bild ist es welches du mir da ausmahlst wenn wir nehmlich Alle wie Deine Schülerinnen um Dich herum sitzen werden und Du uns sättigest aus Deinem Schatze. Große Jette schien durch das liebliche Bild auch recht ergriffen zu werden.

Ganz Frühlingsmäßig wird hier schon die Luft und die Lerchen sollen schon fleißig schwirren ich habe sie selbst noch nicht gehört. Immer mehr naht sie heran die schöne Zeit – wo mit dem Aufblühen der Natur auch unser schönes Leben beginnt – o mein Herzens-Ernst! ein wunderbares Gemisch von Freude und von Wehmuth ist in mir wenn ich an mein Scheiden von hier denke – von den lieben Menschen die so liebevoll in ihrer Mitte mich aufnahmen die so mit mir litten und mich trugen –   Charlotte von Kathen  [Schließen]von meiner geliebten Schwester – von der süßen Natur die so tröstend und erfreuend sich an mein Herz gelegt – Und dann die unendlich schöne Welt die in dir sich mir aufthut – in Dir allein mein Geliebter ganz so reich ganz so herrlich auch ohne  | 30 des schönen Umhangs von Genüssen die mein Leben noch als Zugabe erfreuen werden – Ach Ernst  Sophie Schlichtkrull und Luise von Willich, Schwestern des verstorbenen Ehrenfried von Willich [Schließen]unsere Schwestern Sophie und Louise ! ihretwegen mag ich gar nicht an die Trennungsstunde denken. Sophie hatte zu sehr nur ihre einzige Freude in den Kindern gesezt – Mit verhaltenem Schmerz redet sie oft davon wie ihr alles leer sein würde künftig, wie die köstlichen Früchte sie nur schmerzvoll erinnern würden an der Kinder Freude – und alles wohin ihre Augen fiele würde sie erinnern an die lieben Geschöpfe die sonst sie beglückten – Ich weiß nicht wie sie es tragen wird, und wie traurig für Beide daß sie fast auf gleiche Weise von ihren Empfindungen übermannt werden. Sophie wird leichter krank wenn sie etwas trauriges trift, darin beherrscht Louise sich mehr, sie ist aber noch weit stärker gereitzt, verliert mehr sich selbst und die edle Haltung – Mir ist oft unbegreiflich wie sie so sein und leben kann bei allem was oft innerlich sie bestürmt, ich weiß gewiß ich wäre längst aufgerieben wenn ich so  | 30v viel immer fühlen sollte. Ich hoffe erstaunlich darauf daß deine Gegenwart viel in Beiden beruhigen und stärcken wird. Sage mir nur bald ein freundlich Wörtchen für sie, es thut ihnen sehr wohl von Dir – Sophie meinte neulich ich schriebe wohl nie ein Wort von ihnen da thut sie doch Unrecht, ich habe doch oft von ihrer Güte geredet.

Die  wohl Amalie Hahne [Schließen] Hane bittet Dich sehr das botanische Buch für sie nicht zu vergeßen. Von den Sagardschen viel herzliche Grüße.

 Henriette Herz und Alexander von Dohna-Schlobitten, Schleiermacher und Eleonore Grunow sowie Friedrich Schlegel und seine Frau Dorothea führten außer- bzw. voreheliche Liebesbeziehungen [Schließen] Gar manche Unterredung über solche Verhältnisse wie Jette mit Alexander Du mit Eleonore oder Friedrich Schlegel mit seiner jetzigen Frau – entspinnen sich unter unsern Frauen hier, deren Gefühl nun gegen jedes solches Verhältniß durchaus streitet. Ich soll dann sagen wie mir zu Muthe ist und obwohl ich glaube recht zu fühlen und zu sehen, so kann ich mich doch gar nicht darauf einlassen eine Erklärung zu geben eben weil sie doch keinen Eingang finden würde, da bin ich ihnen nun ganz unerklärlich weil sie mich nicht im geringsten leichtsinnig gekannt sonst, und sie glauben wircklich daß ich schon etwas weltliche Grundsätze angenommen  mit Einfügungszeichen über und unter der Zeilewovon sie Dich allerdings auch nicht ganz frei halten und nicht recht wissen wie sie es mit dem Religiösen vereinigen sollen – Daß Louise  am linken Randdie so viel mit euch gelebt, euren Sinn noch nicht versteht, nicht kennt das ganz einfache  mit Einfügungszeichen am linken Rand von Bl. 30 reine worauf es ankomt, das ist mir unbegreiflich. Süßer Mann ich schließe Dich innig an mein Herz –

Zitierhinweis

3085: Von Henriette von Willich. Poseritz, Donnerstag, 16.2.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006914 (Stand: 26.7.2022)

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